München und seine Dirigenten:Gute Noten für die Taktgeber

Valery Gergiev feiert an diesem Donnerstag seine Premiere mit den Münchner Philharmonikern. Dank großer Vorgänger wie Celibidache, Sawallisch oder Jansons wird der Musikbetrieb in der Stadt seit Jahrzehnten leidenschaftlich diskutiert. Ein Überblick

Von Harald Eggebrecht

Dirigenten sind eine besondere Spezies, sonst würde es um sie nicht so viele Anekdoten, Skandale und Sensationen geben. Gerade in München haben große Dirigenten dafür gesorgt, dass der Musikbetrieb leidenschaftlich diskutiert wird, dass Zuneigungen und Ablehnungen heftig aufeinander treffen. Das reicht von stürmischer Liebe bis zu kühler Reserviertheit. Eins aber haben alle Pultheroen verdient: Respekt, auch jene, die die Stadt nicht so sehr in ihr Herz geschlossen hat.

Hier konkurrieren seit dem Krieg gleich drei Musikinstitutionen von Weltrang miteinander ums Publikum, und damit auch um die Dirigenten als attraktive Zugpferde. Die Bayerische Staatsoper, die Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Mit allen dreien verbinden sich größte Namen, die nicht nur jeder Münchner Musikfan kennt, sondern die gleichsam ins Gedächtnis der Stadt und der Musikgeschichte eingegangen sind: Bruno Walter, Hans Knappertsbusch, Joseph Keilberth, Carlos Kleiber, Wolfgang Sawallisch, Eugen Jochum, Rafael Kubelik, Lorin Maazel, Rudolf Kempe und ganz gewiss der Dirigent, den auch außerhalb der Stadt die Musikwelt mit München identifiziert: Sergiu Celibidache. Wie sehr die Münchner Maestri lieben können, zeigt die Ehrenbürgerliste: Neben Komponisten wie Richard Strauss, Carl Orff und Werner Egk haben aus der Musik nur die Kapellmeister Franz Lachner, Hans Knappertsbusch und Sergiu Celibidache diese besondere Ehrung erreicht.

Im 19. Jahrhundert hatte Franz Lachner aus einem zuvor ziemlich schlampigen Musikerhaufen ein hochklassiges Opernorchester gemacht. Das imponierte sogar Richard Wagner, obwohl sich die beiden überhaupt nicht mochten. Um die Jahrhundertwende wurde Felix Mottl als Hofoperndirektor und grandioser Wagner-Dirigent nicht nur in München verehrt. Richtig verliebt waren die Münchner zwischen 1913 und 1922 in Bruno Walter, den auch Thomas Mann sehr hoch schätzte. Walter, einst Assistent von Gustav Mahler, emigrierte wegen der Nazis in die USA, doch da galt er bereits als einer der bedeutendsten Dirigenten des Jahrhunderts. In München erneuerte er das Repertoire und blieb mit seiner feurigen Art, seinem Charme und Feinsinn bis heute in bester Erinnerung.

Ihm folgte Hans Knappertsbusch, der es bei den Münchnern wegen seiner Geradlinigkeit und Knurrigkeit zu einem richtigen Spitznamen brachte. Der "Kna" mochte nicht probieren, als das Orchester doch bei einem schwierigen Stück Proben durchsetzte und dann bei der Aufführung etwas schief ging, raunzte "Kna": "Das kommt von eurer Scheißprobiererei!" So deftig ging es nach dem Krieg unter den jungen Ungarn Georg Solti und Ferenc Fricsay wohl nicht zu. Joseph Keilberth, der mit leichter Hand selbst schwerste Partituren verdeutlichen konnte, galt auch nicht als großer Probierer, aber als wunderbar inspirierter Leiter am Abend. Sein plötzlicher Tod 1968 am Pult während der Aufführung von "Tristan und Isolde" erschütterte München und die ganze Musikwelt.

Wolfgang Sawallisch, der gebürtige Münchner, war kein Glamourstar, aber seine dirigentische Kompetenz stand immer außer Zweifel, er war die Zuverlässigkeit und Sicherheit in Person, von 1971 bis 1992 fungierte er als Generalmusikdirektor der Oper. So seriös und gediegen Sawallisch war, so flamboyant, faszinierend und erotisierend war zur gleichen Zeit im Nationaltheater jener Dirigent, der nicht nur die Münchner, sondern überall das Publikum geradezu in Ekstase versetzte: Carlos Kleiber, ein einzigartiges Taktstockgenie. Obwohl er nur wenige Werke aufführte in Oper und Konzert, obwohl er oft absagte und als heikel im Umgang galt, wuchs sein Ruhm weltweit ins Sagenhafte. Die Münchner haben ihn heiß geliebt. Zubin Mehta und Kent Nagano haben dann den internationalen Standard des Nationaltheaters gefördert und neue Töne angeschlagen. Doch seit 2013 Kirill Petrenko, den manche Musiker wegen seiner gründlichen, unentwegten Probenarbeit anerkennend auch "Penetrenko" nennen, die musikalischen Geschicke des Staatsorchesters lenkt, haben die Opernbesucher endlich wieder ein Objekt für leidenschaftliche Zuneigung. Dazu tragen neben Petrenkos imponierender musikalischer Qualität auch seine Bescheidenheit und Freundlichkeit unbedingt bei.

Beim Bayerischen Rundfunk formte zuerst Eugen Jochum auf allgäuerisch väterliche Art und mit Akribie ein Ensemble der Sonderklasse. Doch als Rafael Kubelik kam, verwandelte dessen musikalischer Wärmestrom das Orchester, jetzt erst erlangte es seinen unverwechselbaren Klangcharakter, den die größten Dirigenten so hoch schätzen. Kubelik begeisterte nicht nur mit Dvořák, Smetana oder Janáček, sondern er machte hingebungsvoll die Münchner mit dem Werk Gustav Mahlers bekannt. Wie Kleiber ist auch Kubelik ein unvergessener Meister der Herzen. Nach dem konzilianten Briten Colin Davis übernahm dann der Taktstockvirtuose Lorin Maazel das BR-Orchester. Mit ihm kamen Starglanz und moderner Orchesterschliff. Die Münchner merkten, wie sehr dieses großartige Orchester nun nach jeder Façon glänzt. Das hat sich unter Mariss Jansons nur verstärkt. Er ist ein Publikumsliebling durch Ehrlichkeit und Engagement. Auch kämpft er seit vielen Jahren um den Bau eines neuen Konzertsaals, den München als enorm wachsende Stadt dringend braucht.

Der Maestro aber, den nahezu alle Münchner kennen, auch wenn sie noch nie im Konzert waren, ist Sergiu Celibidache, der die Philharmoniker siebzehn Jahre bis zu seinem Tode 1996 als Generalmusikdirektor leitete. Er verkörperte den monumentalen Patriarchen, der sich um alles kümmert, ebenso wie den Star und den Orchester- und Musikerzieher. Zahllose alte und junge Münchner haben seine offenen Proben kostenlos besucht, haben gestaunt, wie intensiv beim Musikmachen gearbeitet wird. Was unter Rudolf Kempe begann, das setzte "Celi" nicht nur fort, er schuf unerbittlich ein "Weltorchester", wie er es versprochen hatte. Er war erratisch, schwierig und zugleich wirklich Münchens Musikdirektor. Lorin Maazel hat einmal mit Spaß und Bewunderung gesagt, der Schatten "Celis" werde noch fünfzig Jahre über der Stadt liegen. Das haben seine Nachfolger James Levine und Christian Thielemann wohl gespürt. Und auch der neue Chef, das an diesem Donnerstag seine Premiere gebende Kraftpaket Valery Gergiev, wird es, vor allem bei den Symphonien Anton Bruckners, mit "Celis" mächtigem Schatten zu tun bekommen. Mit seinem cholerischen Temperament, seinem Charisma, seinem Eigensinn und seiner südlichen Grandezza passte Celibidache nach München wie kein Zweiter.

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