Der Veränderung am Ort begegnen will Bürgermeister Stefan Schelle.
(Foto: Stefanie Preuin)Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle will jedenfalls verhindern, dass die Dorfgemeinschaft absorbiert und immun gegen die Befürchtungen der Vereinsvorsitzenden wird. Vor einigen Monaten hat der CSU-Politiker dem Magazin Spiegel gesagt: Der Druck auf den Immobilienmarkt "gefährdet unsere Identität". Der Dax-Vorstand sei in Oberhaching herzlich willkommen, "aber der macht uns nicht den Jugendtrainer beim Fußballverein." Die Vereine als Dienstleister - in Anspruch genommen von denen, die das gesellschaftliche Angebot als Einbahnstraße betrachten.
Wenige Wochen später sitzt Schelle am Besprechungstisch in seinem Büro im Rathaus. Auf dem Tisch steht Filterkaffee, draußen ist es bereits dunkel geworden. Für ihn steht fest: "Oberhaching ist kein gesichtsloser, anonymer, austauschbarer Vorort von München." Eine Gemeinde entwickle dann eine eigene Identität, wenn Menschen diese als eigene Heimat begreifen. "Gleichgültigkeit und Egoismus zerstören eine Gemeinde", sagt er.
Weil sich das Problem mit den hohen Preisen schon lange angebahnt hat und es sogar Doppelverdiener schwer haben, sich ein Eigenheim zu leisten, gibt es in der Gemeinde seit vielen Jahren ein sogenanntes Einheimischenmodell. Schelle verteidigt es geradezu dogmatisch. Die Entwicklung irgendwie aufhalten und auch normalen Leuten das Leben hier ermöglichen - es wurde zu seinem Paradigma.
Mit dem Konzept sollte es vorrangig Ortsansässigen ermöglicht werden, zu einigermaßen normalen Konditionen Wohneigentum zu erwerben. Weil allerdings die EU-Kommission dahinter Ungleichbehandlung witterte, leitete sie 2009 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Im Mai 2017 konnten sich schließlich das Bundesbauministerium und der Freistaat Bayern mit der Kommission einigen. Von nun an wurden neben der langjährigen Ortsansässigkeit auch Engagement in den Vereinen berücksichtigt: Einheimischenmodell light.
Gut für Schelle und viele seiner Amtskollegen. Das Konzept sei ein wichtiger Baustein, um die soziale Struktur zu erhalten, sagt er. Die Hürden sind dennoch hoch. Als 2016 Doppelhausgrundstücke vergeben wurden, suchte man Bewerber zwischen 21 und 60 Jahren mit mindestens einem Kind oder "nachgewiesener Schwangerschaft", die entweder zehn Jahre ununterbrochen in der Gemeinde arbeiteten oder mehr als fünf Jahre dort lebten. Er und die Gemeinderäte hätten bei den Kriterien Wert darauf gelegt, dass unter anderem Familien mit Kindern gute Chancen haben.
Im vergangenen Jahr mussten allerdings fünf von 19 Häusern im Bieterverfahren verkauft werden, weil im Rahmen des Kriterienkatalogs nicht genügend solvente, kinderreiche Einheimische gefunden wurden. Das Angebot stellte sich als zu teuer für viele Oberhachinger heraus.
Seit 2002 ist Stefan Schelle nun Chef im Rathaus. Den typisch oberbairischen Zungenschlag hat er sich bewahrt. Er mache keinen Unterschied zwischen neuen und alten Bürgern, sagt er - sondern "zwischen einem Einwohner, der hier nur wohnt, und einem Bürger, der sich in die Gemeinschaft einbringt und engagiert". Der Rathauschef pflegt eine Facebook-Seite namens "Stefan Schelle, unser Bürgermeister von Oberhaching". Dort muss er auch Kritik einstecken, etwa beim Thema Einheimischenmodell: "Herr Schelle, Sie sind echt witzig. Wer bitte ist denn noch groß Einheimischer in Oberhaching?", schrieb mal jemand.
16 Jahre im Amt zeigen jedoch, dass sein Erfolgsrezept der Volksnähe bestens funktioniert. Wer ihn als Provinzler abtut, unterschätzt ihn. Schelle bedient sich gerne bei den großen Denkern: Wenn er niveaulose Meinungsschlachten in sozialen Netzwerken anprangert, zitiert er den Bayernkönig Ludwig I., will er die Unwissenheit der Stadtplaner beanstanden, greift er zu Albert Einstein.
In seiner Freizeit liest er das Buch "Bowling alone" von Robert D. Putnam, der darin beschreibt, dass Leute, die alleine zum Bowling gehen, sich selten sozial engagieren - und so analysiert, wie Veränderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft vonstatten gehen. Im Buch geht es vor allem um den Niedergang der Vereinskultur als Indikator für den sozialen Wandel.
"Wenn jemand 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeiten muss, dann wird das mit einem Ehrenamt zwar schwierig, aber nicht unmöglich.", sagt Schelle. Er wird nicht müde zu betonen, dass die, die sich hier teure Häuser leisten, sich nicht zwangsläufig weniger engagieren. Aber er räumt ein: "Die Hoffnung haben jetzt wohl alle nicht, dass in absehbarer Zeit die Immobilienpreise sinken." Also überlegte der Bürgermeister vor vielen Monaten, wie er dagegen angehen könnte. Im September schrieb er auf seiner Facebook-Seite einen Appell an die Öffentlichkeit. Zwischen den Zeilen steht der Verdacht, die Neuen im Ort hätten womöglich einfach Hemmungen, im Verein aufzuschlagen:
Nach mehr als vier Monaten nennt er die Bilanz seiner Bin-dabei-Aktion ganz in Ordnung. Bisher hätten sich ungefähr zehn Leute gemeldet. Demnächst würden die Gespräche geführt, um die Interessenten an Vereine zu vermitteln. Zehn von ungefähr eintausend, die jedes Jahr nach Oberhaching ziehen. Das klingt nicht viel, doch Schelle gibt sich positiv: "Es sind zehn Chancen für Oberhaching."
In der Gemeinde hat man sich also für ein Kompositum aus Einheimischenmodell und Partnervermittlung für Vereine entschieden, um den Nebenwirkungen der hohen Immobilienpreise zu begegnen. Oberhaching, so möchte er verstanden werden, will einen Weg finden, auch Normalverdienern etwas zu bieten. "Ich bin Optimist, wahrscheinlich eine Berufskrankheit", sagt Schelle.
Das muss er auch sein, denn aus seiner Sicht steht einiges auf dem Spiel. "Wenn Gemeinschaften im Ort auseinanderfallen, weil es mit dem Ehrenamt für einige zu viel wird, dann können wir das nicht mehr reparieren. Dann verlieren wir ein Stück Identität.