Luitgard Thomas-Hollunder ist seit 34 Jahren Lehrerin am Gymnasium Oberhaching.
(Foto: Stefanie Preuin)Wer Luitgard Thomas-Hollunder besucht, dem fallen zunächst die vielen Minis, Cabrios und SUVs auf dem Parkplatz auf. Die Lehrerin ist seit 34 Jahren am Gymnasium Oberhaching und Mitglied in der erweiterten Schulleitung. In zwei Jahren wird sie in Pension gehen, sie wirkt jedoch viel jünger als 64. Wenn sie nicht gerade Deutsch oder Latein unterrichtet, berät sie in diesem Büro seit 16 Jahren Schüler und Eltern. An der Tür zu ihrem Büro hängt ein kleines Plakat im Stil eines Ortsschildes: Das Wort "Ponyhof" ist rot durchgestrichen - darunter steht: "Reale Welt".
Früher, als sie hier anfing, waren viel mehr Schüler noch die Kinder von Landwirten. "Die gingen vor der Schule noch in den Stall, bevor sie zum Unterricht kamen." Die Klientel sei eine andere geworden seit 1984: Anders als damals wachsen ihre Schüler heute viel behüteter auf, sagt Thomas-Hollunder. Bildung habe generell einen hohen Stellenwert in der Gemeinde: In vielen Elternhäusern gebe es immer noch eine abonnierte Tageszeitung. Und Kinder, die Nachhilfe benötigen, bekommen welche. Nur wenige können sich Klassenfahrten, Theaterbesuche oder die Pflichtlektüren nicht leisten. "Die Eltern unterstützen, was wir anbieten", sagt sie.
Als sie an die Schule kam, habe sie kurz darüber nachgedacht, nach Oberhaching zu ziehen. Ihr gefällt die Gemütlichkeit und die Stimmung im Ort, sagt Thomas-Hollunder. Trotzdem ist sie froh, es nicht getan zu haben: "Sonst wäre ich dauernd in der Sprechstunde." Sie blieb stattdessen in Ottobrunn, wo ihre Familie seit Generationen lebt. Auch dort ist ihr Haus heute deutlich mehr wert. Auf den benachbarten Grundstücken sei viel nachverdichtet worden. Manche hätten innerhalb von zwei Jahren hundert Prozent Gewinn gemacht, sagt sie. Wer hier kaufe, der sei entweder Gutverdiener oder Erbe, in jedem Fall aber reich. Manche ihrer früheren Kollegen gingen woanders hin, wo es günstiger war. Sie blieb hier.
Der bitterkalte Wind pfeift draußen vor dem Vereinsheim des FC Deisenhofen, der den Namen eines Ortsteils trägt. Drinnen riecht es nach getragenen Sportschuhen. Ein paar Jugendliche wärmen sich gerade auf. Das Haus wurde vor einigen Jahren neu gebaut, damals rechnete der Vorstand nicht damit, dass es heute alleine 26 Jugendmannschaften geben würde. Mittlerweile finden auf dem Gelände jede Woche mehr als hundert Trainingseinheiten statt. Eigentlich könnte der FC schon wieder einen Anbau vertragen. Das ist auch das Verdienst von Martin Schmid, der als Präsident des Vereins den Fokus auf nachhaltige Jugendarbeit richtet: Die Trainer kommen heute aus den eigenen Reihen.
Seit 2006 ist Schmid Vorsitzender. Der 59-Jährige lebt seit seinem dritten Lebenstag in Ödenpullach, einem kleinen Ortsteil mit weniger als hundert Einwohnern. Bis 1983 hat der Landwirt selbst gespielt, dann hörte er auf. Zu gefährlich wegen des Verletzungsrisikos.
Den klassischen Nachwuchsmangel hat der Verein nicht. Im Gegenteil: "Wir platzen aus allen Nähten", sagt der Vereinsvorsitzende. Allerdings, wer es sich heute noch leisten kann, in Oberhaching ein Haus zu kaufen, der gehört zu den "Erlesenen", wie Schmid sie nennt. Es seien jene, die einen hohen Preis dafür gezahlt haben, um im Ort zu wohnen, dementsprechend hätten sie hohe Erwartungen an das öffentliche Leben. Es ist ein Narrativ von uns und denen.
"Manche glauben, weil sie den Jahresbeitrag zahlen, sind wir verpflichtet, ihre Kinder zu bespaßen", sagt er. "Die haben gar nicht im Kopf, dass der Trainer das ehrenamtlich macht." Doch Schmid will sich nicht falsch verstanden wissen: Nicht jeder Neubürger ist so und Ausnahmen gibt es auch im Fußballverein.
München und das Umland Wenn Vereine wie Dienstleister behandelt werden Zum Video Artikel
(Video: Süddeutsche Zeitung )Obwohl sich der FC vor neuen Mitgliedern kaum retten kann, hat er Geldsorgen. "Kostenmäßig kommen wir nicht mehr über die Runden", sagt Schmid, "und ohne Spenden könnten wir gar nicht überleben." Bald wird man deshalb den Mitgliedsbeitrag anheben. Der Vorstand habe lange gezögert, denn auch in der reichen Gemeinde Oberhaching, wo die Grundstücke absurde Preise erzielen, gibt es Gewinner und Verlierer: Eltern, die ihren Kindern keine Schulbücher finanzieren können und erst recht nicht den Jahresbeitrag im Sportverein.
Für solche Fälle macht der FC Ausnahmen. "Das sind zwar im Verhältnis nicht viele, aber man darf sie nicht übersehen", sagt Schmid. Von der Gemeinde kommen Zuschüsse, doch am Ende sind es Ehrenamtliche, die Hecken schneiden, Rasen mähen, sich kümmern, wenn das Abwasser mal nicht fließt. Der Jugendleiter des Vereins investiert jede Woche circa 30 Stunden seiner Freizeit in das Amt - im Prinzip ein unbezahlter Zweitjob.
Ludger Voss, der demnächst mit dem Hausbau in Oberhaching beginnt, kommt eigentlich aus Nordrhein-Westfahlen. Seine Frau stammt aus Singapur. "Wir haben immer in der Stadt gewohnt", sagt er. Dann macht Voss eine nachdenkliche Pause und lächelt zurückhaltend. "Wir sind gespannt. Aber man ist ja mit der S-Bahn schnell in der Stadt." Noch wirkt er nicht überzeugt davon, dass ihm Oberhaching dasselbe bieten kann wie München. Für ihr künftiges Leben in der Stadtrandgemeinde haben sie sich entschieden, damit ihre Kinder im Grünen aufwachsen können. "Sie werden sicher im Fußballverein spielen." Seine Frau hätte vielleicht Lust, sich ehrenamtlich zu engagieren, was sie bereits in anderen Bereichen tut. Ob er selbst auch Mitglied in einem Verein wird? "Mal sehen", sagt er.
Anderswo in Deutschland kämpfen Gemeinden gegen Überalterung und Dorfsterben. In München und seinem Umland klingt das nur nach einer Dystopie, die niemals eintreten wird. Hier müssen die sich Kommunalpolitiker stattdessen fragen, wie sie Wachstum und rasant steigenden Baupreisen begegnen sollen. "Diese sogenannten Dörfer sind schon lange keine Dörfer mehr", sagt Stadtplaner Thierstein von der TU.
Als Schweizer hat er sich die nötige Distanz bewahrt. "Manche Bürgermeister und Politiker tun so, als könnte man etwas bewahren, das sich schon lange verändert hat". Da werde Dorf gespielt. "Natürlich machen da immer noch dieselben mit, die schon immer da gewohnt haben, die gelten dann als Dörfler", sagt er. Es sei Aufgabe der Bürgermeister, auch die Neuen in den Gemeinden mit ihren Kompetenzen, aber auch ihren Bedürfnissen zu integrieren. Das seien nämlich nicht diejenigen, die ihr Leben lang den Trachtenverein unterstützen, sagt Thierstein.