Süddeutsche Zeitung

Streit um Schadstoffe:Die Luft wird besser - und auch Söder kann aufatmen

  • Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof lehnt die Verhängung einer Zwangshaft gegen Ministerpräsident Markus Söder und Umweltminister Thorsten Glauber ab.
  • Die Deutsche Umwelthilfe hatte Zwangshaft für die beiden Politiker beantragt, weil sie in München keine Diesel-Fahrverbote verhängen.
  • Einer der Gründe, die der Freistaat gegen Dieselfahrverbote vorbringt, ist die seit 2017 erheblich verbesserte Luftqualität.

Von Dominik Hutter

Der Freistaat Bayern wird wohl auch künftig nicht aus einer Gefängniszelle heraus regiert. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) lehnt die Verhängung einer Zwangshaft gegen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) ab - obwohl der Freistaat seit Jahren einen rechtskräftigen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ignoriert, in dem ein Konzept für Dieselfahrverbote angeordnet wird.

Für einen Gefängnisaufenthalt der verantwortlichen Politiker gebe es jedoch keine Rechtsgrundlage, attestiert Henrik Saugmanndsgaard Øe, dessen Position nicht der eines Staatsanwalts, sondern eher eines juristischen Gutachters entspricht. Eine abschließende Entscheidung ist damit noch nicht gefallen. Doch folgen die Luxemburger Richter in den meisten Fällen der Empfehlung des Generalanwalts.

Der EuGH war vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeschaltet worden. Die Münchner Richter hatten wissen wollen, wie weit sie gehen dürfen, um ihre Entscheidung aus dem Jahr 2017 durchzusetzen. Denn auch Zwangsgelder haben seitdem die Staatsregierung nicht dazu bewegen können, ihr Nein zu Dieselfahrverboten zu überdenken. Was daran liegen könnte, dass die Maximalsumme einer solchen Strafe bei lediglich 10 000 Euro liegt und obendrein nur von einer Kasse des Freistaats in eine andere wandert.

Die Deutsche Umwelthilfe, die den Freistaat verklagt hatte, schlug daher das Instrument der Zwangshaft vor. Denn tatsächlich ignoriert der Freistaat schon sehr viel länger den Willen der Justiz. Die Entscheidung von 2017 bestätigte lediglich einen Spruch des Verwaltungsgerichts von 2012, in dem die Richter ebenfalls schon wirksame Schritte zur Verbesserung der Münchner Luft angemahnt hatten.

Inzwischen werde das Limit für Stickstoffdioxid nur noch an wenigen Stellen überschritten

Auch der Luxemburger Generalanwalt, der am Donnerstag seinen Schlussantrag vortrug, fand kritische Worte zur Haltung des Freistaats. Dessen Weigerung, dem Richterspruch nachzukommen, könne "sowohl für die Gesundheit und das Leben der Menschen als auch für die Rechtsstaatlichkeit gravierende Folgen haben". Zudem werde in der Charta der Europäischen Union ein Grundrecht der Bürger auf einen "wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf" garantiert.

Nur: Das ebenfalls in der Charta festgeschriebene Grundrecht auf Freiheit stehe noch darüber. Wer dies einschränke, also Söder und andere Politiker in Zwangshaft schicken wolle, benötige dafür zumindest eine klare und vorhersehbare gesetzliche Regelung, so Saugmanndsgaard Øe. Die es in Deutschland schlicht nicht gebe.

Ein weiteres Problem sieht der Generalanwalt darin, dass gar nicht klar sei, wer eigentlich von Zwangshaft betroffen sein könnte. Da die wichtigsten Amtsträger in Bayern parlamentarische Immunität genössen, könnte es passieren, dass die Verantwortung in der Staatshierarchie nach unten durchgereicht wird - auf die Ebene der Behörden. Deren Chefs dann möglicherweise ins Gefängnis müssten, während sich die eigentlich verantwortlichen Politiker dieser Maßnahme entziehen.

Wobei dann noch zu prüfen sei, ob man von hohen Beamten überhaupt erwarten dürfe, eine gerichtliche Entscheidung umzusetzen, die ausdrücklich der Auffassung der Dienstvorgesetzten widerspricht. Der Generalanwalt erinnert daran, dass sich der EuGH bereits mit der Luftverschmutzung in Deutschland beschäftigt: Die EU-Kommission habe wegen Nichteinhaltens der Grenzwerte eine Vertragsverletzungsklage eingereicht.

Einer der Gründe, die der Freistaat gegen Dieselfahrverbote vorbringt, ist die seit 2017 erheblich verbesserte Luftqualität. Inzwischen werde das Limit für Stickstoffdioxid nur noch an wenigen Stellen überschritten. Dazu passen Zahlen des Münchner Umweltreferats, das an diesem Donnerstag die Messwerte fürs dritte Quartal 2019 veröffentlichte. Im Vergleich zur Jahresbilanz 2018 hätten sich die Mittelwerte der ersten neun Monate 2019 erneut verbessert, freut sich Umweltreferentin Stephanie Jacobs. Die Zahlen sind allerdings vorläufig. Denn der maßgebliche Wert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter ist ein Jahresmittelwert, der erst Ende Dezember feststeht.

Für Entwarnung ist es dennoch zu früh. Noch immer wird - nach den Zahlen für drei Quartale - an elf der inzwischen 44 städtischen Messstellen der Grenzwert überschritten. Am schlimmsten sieht es an der Paul-Heyse-Straße zwischen Bayer- und Schwanthalerstraße aus. Dort liegt die vorläufige Jahresbilanz bei 57 Mikrogramm. Weitere Negativ-Kandidaten sind die Ring-Abschnitte der Chiemgau- und Tegernseer Landstraße. Und die Landshuter Allee, die aber zum staatlichen Messnetz gehört.

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SZ vom 15.11.2019/amm
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