Queere Nothilfe Ukraine:Die Angst vor den russischen Todeslisten

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Biertrinken und Spendensammeln im Münchner Sub, dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum: Stephanie Hügler (rechts) mit Nastya, die Anfang März von Odessa nach München gekommen ist. (Foto: privat)

Die queere Community hat in kurzer Zeit 500 000 Euro für die Ukraine gesammelt. Allein in München kamen schnell 80 000 Euro zusammen. Geld, das so dringend gebraucht wird wie noch nie, sagt Stephanie Hügler.

Interview von Sabine Buchwald, München

Direkt nach Kriegsausbruch haben sich zahlreiche Organisationen aus der LGBTIQ-Community zum bundesweiten Bündnis "Queere Nothilfe Ukraine" zusammengeschlossen. Seitdem konnten mehr als 500 000 Euro an Spenden gesammelt werden. Allein in München kamen schnell 80 000 Euro zusammen. Laut der Organisatoren wurde bislang noch nie bei einer LGBTIQ-spezifischen Spendenaktion in einem ähnlichem Zeitraum so viel Geld gegeben. Stephanie Hügler, 51, engagiert sich bei "Munich Kyiv Queer". Seit mehreren Jahren hat sie Kontakt in die Ukraine. Sie unterstützte etwa den Aufbau eines Chores in Odessa und war schon zwei Mal dort. Sie erlebte die Hafenstadt als "wunderschön und blühend". Ihre Sorge gilt den Menschen, die dort ausharren oder kämpfen, aber auch queeren Leuten, die hierher gekommen sind und Sicherheit suchen. Im Gespräch macht die Wissenschaftsjournalistin konsequent kleine Pausen zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung.

SZ: Frau Hügler, woher kommt die große Spendenbereitschaft?

Stephanie Hügler: Queere Menschen hatten es in Osteuropa, auch in der Ukraine, schon immer sehr schwer. Homo- und Transphobie sind dort noch immer verbreitet, vor allem unter Nationalisten und Religiösen und den Ewiggestrigen. Das wissen viele Münchner:innen, weil wir als Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer diesbezüglich schon seit zehn Jahren Aufklärung betreiben und die queere Community in der Ukraine unterstützen. Viele wollten hier nach Kriegsbeginn sofort etwas tun, das Einfachste ist dann erst einmal zu spenden.

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Von Jacqueline Lang

Wie haben Sie bislang geholfen?

Wir setzen uns mit politischen Aktionen, Kulturprojekten und Workshops für die Menschenrechte von LGBTIQ in unserer Partnerstadt Kiew und darüber hinaus ein. Die Lage in der Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren, speziell seit 2014, zwar erheblich verbessert, was die gesellschaftliche und auch die rechtliche Lage von queeren Menschen angeht. Aber vor allem in den von Russland besetzten Gebieten im Donbass und auf der Krim gibt es immer noch besonders viel Ausgrenzung und Hass. LGBTIQ-Organisationen wurden als ausländische Agenten eingestuft. Viele Ukrainer:innen hatten und haben Angst vor russischen Todeslisten, wie es sie 2017 in Tschetschenien gab. Viele sind schon früh von dort geflohen. Wir haben die Community dort immer wieder mit Geldspenden unterstützt.

Wofür wird das gespendete Geld jetzt eingesetzt?

Anfangs ging es auch viel um Fluchthilfe und um eine Basis-Ausstattung mit Schlafsäcken und Lebensmitteln für Menschen, die dort ihre Nächte in Bunkern verbringen müssen. Derzeit helfen wir Leuten, die wegen des Kriegs nicht arbeiten können und über kein Einkommen mehr verfügen, die ausgebombt wurden oder die sich in den eingenommenen Gebieten verstecken müssen, weil sie anscheinend sonst zum Dienst in der russischen Armee gezwungen würden. Wir unterstützen sogenannte Shelter, wo queere Menschen Unterschlupf finden, mit einem Bett, Essen, Beratung und Medizin versorgt werden, insbesondere mit HIV-Medikamenten und Hormonen für Transpersonen.

Welche Rolle spielt die Städtepartnerschaft zwischen München und Kiew?

Durch die Städtepartnerschaft kam es unter anderem 2012 zur Gründung unserer Gruppe. Seitdem haben wir unter anderem eine gut funktionierende Pride-Kooperation. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie sind jedes Jahr Delegationen aus München zum Pride nach Kiew und aus Kiew zum CSD nach München gereist. Es gibt mittlerweile auch zu anderen Organisationen in der ganzen Ukraine Kontakte. Das hat zur Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTIQ dort beigetragen. Beim ersten Pride-Marsch 2013 lief dort auch Münchens damaliger Bürgermeister Hep Monatzeder mit. Ohne ihn wäre der Erfolg nicht möglich gewesen. Das zeigt, wie wichtig die politische Unterstützung aus München ist. Der Pride im vergangenen Jahr in Kiew war wohl erstmals völlig gewaltfrei. Wir waren auf einem guten Weg. Und das steht jetzt alles in Frage.

Was hören Sie jetzt von den Menschen, mit denen Sie in Kontakt stehen?

Die meisten sagen: ,Es geht mir gut'- und dann wird der Zoom-Call unterbrochen, weil gerade mal wieder die Sirenen heulen und die Leute in den Keller müssen. Es ist unvorstellbar! Wir erleben die ganze Bandbreite: traumatisierte Geflüchtete, verzweifelte Schwule und Trans-Leute, die nicht außer Landes reisen dürfen, weil sie in ihrem Pass als männlich definiert sind. Wir wissen von Menschen, die hungern, weil sie keinen Job und kein Geld mehr haben und ausgebombt sind. Es sind auch Aktivist:innen gestorben im Zuge der Angriffe, und wir haben Kontakt zu vielen mutigen LGBTIQ, die in der Armee, im Zivilschutz oder in ihrer Stadt ihr Land verteidigen. Was es so hart macht: Wir kennen die Leute ja alle, es sind unsere Kolleg:innen, Freund:innen, auch zum Teil Familienangehörige.

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Der Krieg wird wohl noch länger dauern. Was kann man tun?

Ganz ehrlich: Wir brauchen noch mehr Geld und wir brauchen vor allem auch private Unterkünfte. Die Mittel werden uns nämlich schon wieder knapp. Die Hilfsanfragen aus der Ukraine nehmen derzeit wieder zu. Und hier in München brauchen wir geschützte Unterkünfte für queere Menschen, besonders für Regenbogenfamilien und ältere. Man muss nicht unbedingt selbst queer sein, um queere Menschen bei sich aufzunehmen. Wir wollen unbedingt vermeiden, LGBTIQ als besonders vulnerable Gruppe in Massenunterkünften unterzubringen, wo sie eventuell wieder auf Homo- und Transphobie treffen.

Wie groß ist die Hilfsbereitschaft jetzt noch?

Leider nimmt sie ab, wir bekommen auch nur noch wenige neue Angebote von privaten Gastgeber:innen. Wer jetzt schon Gäste hat, möchte diese vielleicht auch nicht mehr ewig beherbergen - verständlicherweise. Wir erwarten demnächst eine größere Umzugswelle, die wir mit unserer Gruppe und dem Bündnis "Queere Nothilfe" irgendwie stemmen müssen. Wir spüren: Die Leute haben sich an den Krieg gewöhnt, der erste Schock ist verpufft, aber für uns geht die Arbeit weiter. Wir sind hochmotiviert, aber inzwischen einfach auch manchmal erschöpft.

Weitere Infos unter https://munichkyivqueer.org/startseite/

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