Iliya ist schweigsam. Er sitzt am Tisch und hat ein kleines, schwarzes Matchbox-Auto dabei, das er ein bisschen gelangweilt hin- und herfahren lässt. Er blickt seine Mama an, die ihm gegenüber sitzt, dann verschwindet das Auto in seiner Hand. Sein Blick sagt, obwohl sein Gesicht fast ganz hinter der FFP-2-Maske verschwindet, ganz klar: Muss ich wirklich so lange hier sitzen?
Der Siebenjährige hat mehrere vergrößerte Lymphknoten, sogenannte Lymphome, im Bauch: bösartige Tumore. Er wird in der onkologischen Kinderklinik der München Klinik Schwabing behandelt. Eigentlich galt er schon als geheilt, doch dann kehrte der Krebs Ende 2021 zurück - und der Krieg in der Ukraine brach aus.
Ein paar Therapien konnte er noch zu Hause in Dnipro, 400 Kilometer südöstlich von Kiew, machen. Die letzte Behandlung dort war am 28. Februar. Dann legten die Ärzte in der Ukraine der Familie nahe, lieber zu fliehen. Die Ärzte hätten, sagt Iliyas Mama Liliya Shcher, "keine Möglichkeit gesehen, in dieser Zeit weiter zu behandeln".
Iliyas Befund und die Befunde vieler anderer Kinder werden über verschiedene Stiftungen in der Ukraine, Polen und in der EU an die Krankenhäuser verschickt. Damit die Kinder "sinnvoll an die onkologischen Zentren der Städte verteilt werden können", erklärt Julia Hauer, Chefärztin des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin. Und damit jedes Kind der Diagnose entsprechend gut behandelt wird. Liliya Shcher, 30, fuhr am 1. März los. Ohne ihren Mann, ohne den Vater. Erst mit dem Zug nach Lwiw, dann mit dem Bus über einen "grünen Korridor" nach Polen und schließlich nach Deutschland.
Im onkologischen Zentrum der Kinderklinik Schwabing wird Iliya gründlich untersucht und zwei Wochen stationär behandelt. Die Therapien in der Ukraine und in Deutschland sind sich "sehr ähnlich", sagt Hauer. Wenn es kleine Unterschiede gibt, dann in der Dosierung oder der Kombination der Medikamente.
Der Siebenjährige bekommt Chemotherapie-Blöcke. Eine Woche Behandlung, zwei bis drei Wochen Pause. In dieser "Pausenzeit" befindet sich Iliya gerade. Keine leichte Zeit, denn weil zum Beispiel die Zahl seiner weißen Blutkörperchen durch die Therapie gerade sehr reduziert ist, sei er "extrem infektanfällig". Eine komplette Krebs-Therapie dauert ein halbes bis ein dreiviertel Jahr.
An die 70 neu an Krebs erkrankte Kinder werden pro Jahr in der Kinderklinik Schwabing behandelt. Sieben Kinder aus der Ukraine werden gerade onkologisch versorgt. Früh habe man gewusst, sagt Hauer, dass viele krebskranke Kinder aus dem Kriegsgebiet kommen werden.
Man habe sich gut darauf eingestellt. Und vor allem versucht, ein Netzwerk zu schaffen: Die Stiftung der Kinderklinik München-Schwabing, private Hilfe, kirchliche Strukturen, die eigenen Ärzte und Pflegefachkräfte - mit großem Engagement hätten alle geholfen und vor allem nach geeigneten Unterkünften gesucht. Denn es sei für die Familien und für eine gute Behandlung wichtig, sagt die Chefärztin, dass sie "relativ nahe an der Klinik" wohnen können. Das Kind brauche nur Fieber zu bekommen, da sei es wichtig, schnell "zu uns kommen zu können".
Iliya ist langweilig. Aber Julia Hauer hat ihm mit Kuli auf zwei Bögen Papier eine kurvige Straße gemalt. Mit Ampeln, Zebrastreifen und sogar Parkplätzen. Das Spielzeugauto fährt diese Straße nun zigmal ab. Iliya schweigt noch immer. "Seit dem Krieg, seit der Flucht ist er sehr verschlossen", sagt die Mutter. Aber jetzt, seitdem sie hier sind und eine Unterkunft haben, sei er "ruhiger geworden" und beginne, sich zu erholen.
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Iliya hält es nicht mehr auf dem Stuhl. Er saust raus zu seiner jüngeren Schwester. Zum Spielen. Sie weiß, dass ihr Bruder krank ist. Aber beide Kinder wissen nicht, was er genau hat. Auch kennt der Junge das Ausmaß der Erkrankung nicht. "Wir haben erklärt, dass da in seinem Körper ein böser Käfer sitzt, der keine Angst vor einem Messer hat", erzählt Liliya Shcher. Und als der Krebs wiederkam, habe ihr Sohn nur gesagt, dass der Käfer eben wieder weg müsse. Er frage wenig, er akzeptiere, dass er behandelt werden müsse, sagt die 30-Jährige. Sehr ruhig, sehr gefasst.
"Die Kinder haben ein gutes Gespür, wie es ihnen wirklich geht", sagt Chefärztin Hauer. Oft wollten sie mit ihrer starken Haltung die Eltern schützen. "Aber alles, was die Kinder uns aktuell fragen, beantworten wir Ärzte auch." Die Kinder würden - im Gegensatz zu den Erwachsenen - im "hier und jetzt" leben. Wenn das "jetzt" gut sei, sei alles gut. Iliya geht es gerade klinisch gut.
Sie funktioniere irgendwie, sagt die Mutter. Ihr Mann ist noch in der Ukraine
Der Alltag der kleinen Familie ist schwierig. Alle verstehen die Sprache nicht. Aber sie sind viel draußen, auf den Spielplätzen, im Englischen Garten. Bei den vielen Anmeldungsformalitäten habe ihr zum Glück jemand geholfen, sagt die Mutter. Sie selbst funktioniere irgendwie. Richtig erholen könne sie sich nicht. "Mein Mann ist doch zu Hause geblieben", sagt sie langsam. Tränen laufen über die Wange unter die Maske.
Chefärztin Hauer ist bewusst, wie groß die Herausforderungen für die Eltern sind. Da sei die Sorge um das Kind, die Angst, ob sie hierbleiben können. Man versuche auch, psychologische Betreuung anzubieten. Aber Hauer ist klar, dass es damit nicht getan ist. Natürlich, sagt sie, müssten die Familien auch "soziale Integration" erfahren. Das gehe über die medizinische Versorgung hinaus, sei aber notwendig. Hauer spricht von einer "Schnittstelle", die noch ausbaufähig sei. Mittlerweile ist unter anderem ein Hilfsfonds Ukraine der Deutschen Krebshilfe eingerichtet. 2,5 Millionen Euro stehen bereit. Mit dem Geld sollen Familien finanziell unterstützt werden. "Das ist gut, denn die Familien müssen in der Lage sein, hier zu leben", sagt Hauer.
Iliya lächelt. Das erste Mal. Er hat Ostereier geschenkt bekommen und versteckt sie schnell in seinem orangefarbenen Pullover, der eine Tasche mit Reißverschluss hat. "Er hat Angst, dass die Schwester sie bekommt", sagt Liliya Shcher. Und auch sie lächelt. Iliya wird wohl wieder ganz gesund. "Seine Heilungschancen", sagt Julia Hauer, "sind gut."