Süddeutsche Zeitung

Hilfsaktion:"Wir haben jedes Krankenhaus in Bayern angeschrieben"

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Die LMU-Studentinnen Daryna Kechur und Khrystyna Shchurovska organisieren medizinische Hilfstransporte für die Ukraine - vom mobilen Röntgengerät bis zum OP-Tisch. Die Nachfrage reißt nicht ab, doch die Suche nach neuem Material wird schwieriger.

Von Stephan Handel

Sie sagen, sie seien nicht überrascht worden vom Krieg. "Jeder, der die Situation seit 2014 verfolgt hat, wusste, was kommen würde", meint Daryna Kechur. Und ihre Kommilitonin Khrystyna Shchurovska sagt: "Wir haben uns die Frage gestellt: Wir sind hier - was können wir tun?"

Was können zwei 24-jährige Medizin-Doktorandinnen aus der Ukraine hier in München tun, um ihren Landsleuten mehr als 1000 Kilometer entfernt zu helfen in einem mörderischen Krieg, der keine Gnade kennt? Offensichtlich eine ganze Menge - Kechur und Shchurovska sind Mitglieder der "Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland". In ihr organisieren sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Mediziner aus dem osteuropäischen Land. "Derzeit arbeiten wir auf drei Hauptfeldern", sagt Shchurovska: "Die Hilfslieferungen, Hilfe für die Geflüchteten hier in München und der Kampf um die Rechte der Mediziner in der Ukraine, die oftmals während der Einsätze erschossen werden - ein klares Kriegsverbrechen."

Die Hilfe für die Geflüchteten verbindet sich mit dem Studienfach der beiden: Die LMU hat eine Ambulanz für die ankommenden Ukrainer gegründet, und die beiden Studentinnen sind - neben weiteren Kommilitonen - perfekt als Dolmetscher wie auch für die telefonische Erst-Anamnese. "Das ist schon anders als eine gewöhnliche Anamnese", sagt Shchurovska. Viele Gespräche begännen mit den Worten: "Am soundsovielten ist unsere Stadt bombardiert worden. Dabei sind auch alle medizinischen Aufzeichnungen verloren gegangen". Die Patienten in der Ambulanz bringen schwere, zum Teil chronische Erkrankungen mit, Herzinfarkte, Nierenleiden, Krebserkrankungen, sie benötigen die kontinuierliche Versorgung auf höchstem medizinischen Niveau - die die Medizinstadt München ihnen ohne weiteres bieten kann.

Rund 20 junge Menschen aus der Ukraine studieren derzeit an der LMU Medizin - sie gehören zu den gut 7000 Ukrainern, die hier lebten, bevor der Krieg ausbrach und Tausende weitere Ukrainer nach München flohen. Daryna Kechur findet eines ganz erstaunlich: "Jeder tut etwas. Alle wollen helfen. Sogar die Geflüchteten, sobald sie sich ein bisschen eingelebt haben, kommen und fragen, was sie tun können."

Kechur ist in Bayern für die Koordination der Hilfslieferungen verantwortlich. Damit aber etwas koordiniert werden kann, müssen erst Sachen organisiert werden, die in der Ukraine gebraucht werden. Dabei hilft es, dass die hiesigen Studenten gute Kontakte in die Heimat haben: durch ehemalige Kommilitonen, durch ihre Verbindungen zu anderen Studenten oder einfach durch verwandtschaftliche Beziehungen: Sowohl Kechurs wie Shchurovskas Eltern sind Ärzte, das knüpft ein neues Teil an das Verbindungsnetz.

Die andere Hälfte der Arbeit ist, in Deutschland Menschen, Firmen, Institutionen zu finden, die über Dinge verfügen, an denen in der Ukraine Mangel besteht. "Wir haben jedes Krankenhaus und jede Medizinfirma in Bayern angeschrieben mit der Bitte um Hilfe", sagt Kechur. Mit Erfolg: Bislang sind 60 Transporte aufgebrochen, Mercedes Sprinter mit je einer Tonne Zuladung. "Das ist besser als große Lastwagen", sagt Kechur. "Die fahren schneller und schaffen die 1100 Kilometer in 24 Stunden."

Bei der Organisation der Spenden hilft oft auch das Glück: Da hat eine Pharmafirma eine Charge eines Medikaments, das bald abläuft - so etwas stellt sich kein Apotheker gern ins Regal. "In der Ukraine ist das kein Problem", sagt Daryna Kechur, "weil die ganze Menge sowieso in ein paar Tagen aufgebraucht ist." Großer Bedarf besteht auch an sogenannten Tourniquets, das sind Geräte zum Abbinden von Extremitäten bei stark blutenden Verletzungen - in Deutschland selten benötigt, in Kampfsituationen aber im täglichen Einsatz, zudem relativ billig in der Anschaffung: Um die 35 Euro kostet ein Gerät.

Es sind aber nicht nur die Kleinigkeiten, die Daryna Kechur organisiert: Eine Klinik schafft sich einen neuen OP-Tisch an und spendet den alten, noch funktionsfähigen. Ein niedergelassener Arzt braucht ein Ultraschallgerät und entschließt sich, das gebrauchte nicht zu verkaufen, sondern für die Ukraine zur Verfügung zu stellen - eine besonders wichtige Ausstattung, denn damit können Flüssigkeitsansammlungen im Körperinneren, also etwa innere Blutungen festgestellt werden. Besonders stolz ist Danyra Kechur, wenn sie einen oder mehrere C-Bögen aufgetrieben hat - das sind mobile Röntgengeräte, benannt nach ihrer Form, die an einen OP-Tisch herangeschoben werden können und so zum Beispiel minimalinvasive Eingriffe unter permanenter Bildgebung erlauben.

Die Spenden gehen nur zum Teil ans Militär, das meiste in die allgemeine Gesundheitsversorgung. "Die Ukraine hat gute Ärzte", sagt Kechur. "Aber ihnen fehlt momentan vieles an Material. Auch deshalb flüchten die Menschen nach Westeuropa." Und manches Material aus Deutschland eignet sich nicht für den Kriegseinsatz: Einmal waren mehrere Notarzt-Rucksäcke geliefert worden - kamen aber postwendend zurück: Sie waren, wie in Deutschland üblich, in Orange gefärbt, damit der Notarzt beim Einsatz auf der Autobahn auch gesehen wird. Für einen Militärarzt im Einsatz wäre ein solches Stück lebensgefährlich: Der gegnerische Scharfschütze würde sich freuen, wenn er sein Opfer so leicht erkennen könnte.

Nur eine Besorgung ist den ukrainischen Helfern noch nicht gelungen: gepanzerte Sanitätsfahrzeuge, weil die Angreifer offenbar nichts davon abhält, auch Rotkreuzwagen zu beschießen. "Das ist wahrscheinlich schon eine politische Frage", sagt Daryna Kechur. "Aber wir bleiben dran." Wie auch an allen anderen Hilfsgegenständen - allerdings wird es zunehmend schwieriger, Sachen zu bekommen, nachdem die meisten möglichen Spender schon einmal gegeben haben. "Aber der Bedarf reißt nicht ab", sagt Daryna Kechur.

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