Süddeutsche Zeitung

Ein Jahr Krieg in der Ukraine:Ein System am Limit

Fast 25 000 Menschen aus der Ukraine sind vor dem Krieg nach München geflohen. Auch wenn längst nicht alle geblieben sind, ist die Unterbringung der Geflüchteten für die Stadt ein Kraftakt.

Von Sven Loerzer

Vor einem knappen Jahr begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, in die Flucht getrieben hat. Seit April 2022 hat die städtische Erstanlaufstelle, die inzwischen in den ehemaligen Räumen des Goethe-Instituts an der Dachauer Straße untergebracht ist, fast 25 000 Geflüchtete aus der Ukraine versorgt. Wie viele dann weiterreisten, lässt sich nicht genau sagen. Knapp 17 000 Geflüchteten gewährte das Kreisverwaltungsreferat Aufenthalt, die meisten fanden trotz der schwierigen Wohnungssituation privat Aufnahme.

In der ersten Zeit hakte es wegen der großen Zahl der täglichen Ankünfte noch an verschiedenen Stellen, doch seitdem bewältigt die Landeshauptstadt die gewaltige Aufgabe der Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten ohne die schrillen Töne, die andernorts zu hören sind. Dabei bewegt sich auch München häufig am Limit. "Die freien Bettplätze reichen bei den aktuellen Ankunftszahlen nicht mal mehr für eine Kalenderwoche", erklärt ein Sprecher des Sozialreferats, "daher sind wir auf Abverlegungen in die umliegenden Landkreise angewiesen." Täglich kämen zwischen 40 und 60 Menschen aus der Ukraine in die städtische Erstanlaufstelle.

Seit Anfang des Jahres hat auch München eine Zeltstadt auf den Messe-Parkplätzen errichtet, die aber spätestens Mitte März abgebaut werden muss. Dort stünden 400 Betten sofort zur Verfügung, weitere 1600 sind in Reserve. Bislang allerdings musste die Notunterkunft nur zu einem kleinen Teil und nur kurzfristig genutzt werden. Nach Angaben des Sozialreferats waren bis zu 150 Plätze jeweils für ein bis vier Nächte belegt, um die Zeit bis zu einer Weiterverlegung in oberbayerische Landkreise zu überbrücken.

"Als Ersatz für die Zeltstadt stehen in der Erstanlaufstelle Dachauer Straße bis Mitte März etwa 690 Betten bereit", erklärt ein Referatssprecher, bislang waren es nur 330. "Zudem ist es gelungen, ab März etwa 600 Betten in drei Hotels für ein Jahr anzumieten." Die Ausschreibung hierfür war bereits im Herbst erfolgt. Aufgrund der langfristigen Planung geht das Sozialreferat derzeit davon aus, dass keine Schulturnhallen genutzt werden müssen. Für die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine gibt es derzeit vier Leichtbauhallen, zwei ehemalige Gewerbegebäude, vier Hotels und eine ehemalige Jugendherberge mit insgesamt 2100 Bettplätzen, von denen Mitte vergangener Woche noch 260 frei waren.

Bei der Schaffung längerfristiger Unterkünfte, die vor allem auch die Leichtbauhallen ablösen sollen, ist die städtische Taskforce gut vorangekommen. Derzeit würden 15 Standorte mit knapp 3600 Bettplätzen projektiert. Der Realisierungsstand sei sehr unterschiedlich: "Einzelne Projekte sind schon in Betrieb, bei anderen sind die Verhandlungen über langfristige Anmietungen noch nicht abgeschlossen." Gegen Ende des Jahres sollen erste Modulbauten in Freiham stehen, weitere Standorte würden dann 2024 folgen. Für diese benötige man noch die Zustimmung der Regierung von Oberbayern und Stadtratsbeschlüsse. Im vergangenen Jahr sind rund 150 Objekte auf eine mögliche Eignung für die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine überprüft worden.

Vor diesem Hintergrund wünscht sich Sozialreferentin Dorothee Schiwy, "dass Bund und Land den erheblichen Personalaufwand, den wir als Kommune haben, auch berücksichtigen und finanzieren". Außerdem müsse über eine bessere Verteilung der Geflüchteten nachgedacht werden: "Uns gehen einfach die Flächen aus." Gerade in Ballungsräumen sei es zurzeit für Geflüchtete schwierig, dauerhaft Fuß zu fassen. Denn es fehle an Wohnungen, Kitaplätzen und Platz in Bildungseinrichtungen.

Doch die Stadt muss nicht nur Flüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. Im Ankunftszentrum der Regierung von Oberbayern haben sich nach Angaben eines Regierungssprechers die täglichen Zugangszahlen von Asylsuchenden seit Jahresanfang aber "zunehmend stabilisiert", vergangene Woche waren es im Tagesschnitt 32 Personen. Im Januar lag der Schnitt noch bei 50 Personen. In der Aufnahmeeinrichtung Oberbayern sind insgesamt derzeit knapp 1000 Menschen untergebracht. In den 18 von der Regierung betriebenen, derzeit voll belegten Gemeinschaftsunterkünften im Stadtgebiet leben knapp 2000 Menschen, die meisten aus Nigeria, Afghanistan und Somalia. Dazu kommen in den städtischen dezentralen Unterkünften etwa 2700 Asylsuchende.

Nicht nur die hohen Zugangszahlen, sondern auch der Wohnungsmangel führe dazu, dass die Unterkunftsplätze knapp sind, weil Menschen, die eigentlich ausziehen könnten, dort bleiben müssen, weil sie keine Wohnung finden, heißt es von der Regierung von Oberbayern. Hoch seien auch die Einreisezahlen bei den humanitären Aufnahmeprogrammen des Bundes, etwa für afghanische Ortskräfte. Rund 800 Personen aus diesen Programmen lebten derzeit in sieben Münchner Übergangswohnheimen. Die Regierung sei ständig auf der Suche nach neuen Unterkünften, allein vier seien seit Kriegsbeginn akquiriert worden.

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