Giesing:Ein Versehen, ein Aussetzer und ein Haufen Steine

Giesing: Das Uhrmacherhäusl in München wurde 2017 abgerissen. Jetzt wird es einmal mehr zum Fall fürs Gericht.

Das Uhrmacherhäusl in München wurde 2017 abgerissen. Jetzt wird es einmal mehr zum Fall fürs Gericht.

(Foto: BLfD/dpa)

Der Besitzer des ehemaligen Uhrmacherhäusls soll einen Bauunternehmer beauftragt haben, das denkmalgeschützte Haus abzureißen. Vor Gericht erklärt er seine Unschuld, der Baggerfahrer spricht von Fehlern.

Von Susi Wimmer

War alles nur ein Versehen, ein Fehler und dazu noch ein "krisenhafter Aussetzer", wie die Verteidiger meinen? Oder hat Andreas S. im Sommer 2017 dem Bauunternehmer Cüneyt C. den Auftrag gegeben, das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl in Giesing dem Erdboden gleich zu machen, um auf dem Grundstück eine größere und gewinnbringendere Immobilie hochzuziehen? Dieser Frage wird das Amtsgericht München nun an mehreren Prozesstagen nachgehen. Es sind 31 Zeugen geladen, und eines ist schon zum Prozessauftakt klar: Richter Martin Schellhase verfolgt das Verfahren mit äußerster Akribie. Das bekam Cüneyt C. am ersten Verhandlungstag zu spüren.

Für die Verteidiger von Andreas S., 44 Jahre, sowie von Cüneyt C., 51 Jahre, war die Marschrichtung eindeutig: "Schuld ist die Öffentlichkeit und die Presse", sagte etwa Rechtsanwalt Rüdiger Schilke. Die Anwälte von S. erklärten, man habe Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, weil man einen Freispruch anstrebe. In dem Strafbefehl war S. zur Zahlung von 90 000 Euro verurteilt worden.

Der Mann werde "zum Sündenbock" für die Gentrifizierung gemacht

Ihr Mandant wolle heute nicht reden, aber möglicherweise sei S. nicht "der rücksichtslose Spekulant" als der er in den letzten Jahren gebrandmarkt wurde. "Es gibt keinen Nachweis, dass er das Haus abreißen hat lassen", erklärte Anwalt Maximilian Müller. Der Mann werde "zum Sündenbock" für die Gentrifizierung in München gemacht, sagte sein Verteidiger. "Er ist eben kein Immobilienhai, sondern erwarb das Uhrmacherhäusl, um nach der Sanierung selbst einzuziehen." Ob man auch etwas zur "kalten Entmietung" sagen wolle, fragt Richter Schellhase. "Auch hier Freispruch", antwortet Verteidiger Florian Opper.

Was zuvor die Staatsanwältin in ihrer Anklageschrift anprangerte, klang nicht so ganz menschenfreundlich: Im Sommer 2016 hatte Andreas S. das Uhrmacherhäusl samt Grundstück für 650 000 Euro gekauft. Das denkmalgeschützte Häuschen in der Oberen Grasstraße war zu dem Zeitpunkt bewohnt. Zwei Mietern soll S. einen vierstelligen Geldbetrag geboten haben, wenn sie ausziehen. Sie gingen darauf ein.

Dachziegel entfernt, damit es hineinregnet

Thomas R. (Name geändert) und seinen Eltern soll der neue Eigentümer 5000 Euro offeriert haben, aber die Familie blieb. Es folgte eine Mieterhöhung via Brief sowie die Kündigung wegen angeblichen Eigenbedarfs. Und um sicher zu gehen, dass R. wirklich auszog, soll S. mit Hilfe von Sebastian O. in den Wintermonaten das Wasser abgedreht, den Strom abgeschaltet, die Haustür ausgehängt und Dachziegel entfernt haben, damit es hineinregnet. Am 6. Februar 2017 gab Thomas R. schließlich auf.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Andreas S. der Firma von Cüneyt C. im März 2017 zwar schriftlich einen Auftrag zur Sanierung des denkmalgeschützten Häuschens gab, jedoch mündlich der Abriss in Auftrag gegeben worden sei. Für Dritte sollte der Eindruck entstehen, dass der Abriss ein Versehen sei, so die Staatsanwaltschaft. Deshalb sei auch geplant gewesen, dass Andreas S. an den vereinbarten Tagen der Tat auf Sardinien weilte.

Am 31. August rollte ein Bagger mit einem Mitarbeiter der Firma von Cüneyt C. in der Oberen Grasstraße an und schlug mit der Schaufel gegen die Fassade. Anwohner stellten sich vor den Bagger und informierten die Polizei. Die Stadt erließ einen sofortigen Baustopp. Tags darauf tauchte Cüneyt C. selbst in dem Bagger vor dem Uhrmacherhäusl auf und riss es binnen weniger Minuten ab. "Ein krisenhafter Aussetzer", so nannten es die Verteidiger. C. selbst will, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, wenn er über diesen Tag redet. Da gehe es um seine Kinder und um Schicksalsschläge in seinem Heimatland Türkei. Dem folgt das Gericht.

Doch zuvor will Martin Schellhase die geschäftlichen Dinge abklopfen. Cüneyt C. erzählt, dass er ein Projekt in Neuenstein nahe Stuttgart angenommen habe: Abriss eines Hauses mit Neubau. Seine Teilhaberin aber habe ihn finanziell nicht mehr unterstützt, so habe er dringend Geld benötigt. Das Angebot von Andreas S., das Uhrmacherhäusl zu sanieren, sei für ihn "lukrativ" gewesen. Seine Frau habe ihm bei der Disposition seiner sechs Arbeiter geholfen.

Auf der Baustelle in Neuenstein sollte ein Bagger Bauschutt abtransportieren. Seine Frau habe die Maschine an die falsche Adresse geschickt, nämlich nach München. Er aber habe seinem Mitarbeiter klar gesagt, er solle mit einem weiteren Kollegen nach Neuenstein fahren und Bauschutt beseitigen. "Und dann fährt er nach München und reißt ein Haus ein?", fragt der Richter. Und was mit dem zweiten Mitarbeiter sei, der offenbar auch alles falsch verstanden habe? "Er kann nicht so gut deutsch", meint C.

Das kleine Häuschen muss wieder aufgebaut werden

Dann hält Schellhase dem Angeklagten noch eine von ihm gefertigte Baubeschreibung vor, die auf mehrere Wohneinheiten schließen lässt. "Das war für das Projekt in Neuenstein", sagt C. Wieso der Plan an Andreas S. ging und warum oben auf dem Schreiben "Obere Grasstraße" steht, dafür hat C. keine Erklärung. "Wie jeder Mensch mache ich auch Fehler", sagt er. Überhaupt kann er sich zum Teil gar nicht erinnern oder er weicht den Fragen des Gerichts aus.

Die Befragung durch das Gericht zieht sich. Der Tag, an dem C. das Uhrmacherhäusl zerstörte, wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen. Bereits jetzt schon sind Prozesstermine bis in den Juli hinein terminiert. Das Uhrmacherhäusl in Giesing ist nicht zum ersten Mal Bestandteil einer Gerichtsverhandlung: Erst im vergangenen Jahr urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass das kleine Häuschen in seinen historischen Gebäudemaßen wieder aufgebaut werden muss.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusStädtische Wohnungsgesellschaft
:Wenn die Anwältin des Vermieters anruft

Ein Bewohner im Prinz-Eugen-Park befürchtet, dass die Gewofag ihn loswerden will, weil er beharrlich Mängel anprangert. Das Unternehmen bestreitet das. Dass es im Haus Probleme gibt, bestätigen aber auch die Nachbarn.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: