Prozess in München:132 500 Euro Geldstrafe für Abriss des Uhrmacherhäusls

Prozess in München: Der Schriftzug "Denkmal und Ensemble gekillt" ist auf einem Schild an einer Häuserlücke zu lesen, in der bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl gestanden hat.

Der Schriftzug "Denkmal und Ensemble gekillt" ist auf einem Schild an einer Häuserlücke zu lesen, in der bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl gestanden hat.

(Foto: Matthias Balk)

Das Amtsgericht München spricht den Eigentümer und einen Bauunternehmer wegen Sachbeschädigung schuldig. Der Prozess wirft auch ein Licht auf die harschen Methoden auf dem Münchner Immobilienmarkt.

Von Lea Kramer

Hinter der Maske ist nicht erkennbar, wie Andreas S. das Urteil aufnimmt. Ganz gelegen kommt es ihm offenbar nicht, vor allem zeitlich. Kurz vor Ende der Ausführungen von Richter Martin Schellhase verlässt S. den Saal B 275 des Strafjustizzentrums in München. Er muss zum Flughafen. "Danke, schöne Sommerferien", sagt der 45 Jahre alte Eigentümer des Uhrmacherhäusls beim Hinausgehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Amtsgericht München hat Käufer Andreas S. und seinen Mitangeklagten, den Bauunternehmer Cüneyt C., wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Nötigung schuldig gesprochen. Sie hätten gemeinsam geplant, das denkmalgeschützte Uhrmacherhäusl in Obergiesing an zwei Tagen im Spätsommer 2017 mutwillig illegal abzureißen, so sieht es das Gericht. Eigentümer S. habe auf dem Grundstück an der Oberen Grasstraße ein neues größeres Haus bauen wollen, entsprechende Zeichnungen gebe es.

Zuvor hatte S. den Mietern des Hauses wegen Eigenbedarf gekündigt und ihnen daraufhin das Wasser abgedreht, den Strom abgeschaltet sowie Dachziegel am Haus entfernt. Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten gemeinschädliche Sachbeschädigung und Nötigung beziehungsweise Beihilfe vor, die Verteidigung forderte Freispruch. Das Gericht folgt in vielen Punkten der Einschätzung der Staatsanwaltschaft und hat Andreas S. zu einer Geldstrafe von 132 500 Euro verurteilt. Der Baufirmenchef Cüneyt C., der den Abrissauftrag ausführte, muss 4400 Euro Strafe zahlen.

Der Richter bescheinigt dem Hauseigentümer "äußerste kriminelle Energie"

"Ich gehe davon aus, dass es einen Plan gab, das Uhrmacherhäusl abzureißen", sagt Richter Schellhase in seinem Urteilsspruch. Ein Versehen durch zwei miteinander verwechselte Baustellen - wie es die Verteidigung immer wieder versuchte hatte, glaubhaft zu machen - passt für den Richter nicht ins Bild, zumal einige der beauftragten Handwerker niemals von einer anderen Baustelle als jener in Obergiesing gehört hatten. "Dass eine Verwechslung alles erklären solle, halte ich für unzutreffend", sagt Schellhase. Darüber hinaus sei das Kleinhaus aus dem 19. Jahrhundert, das als Einzelbaudenkmal in der Liste des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD) steht und Teil der als Ensemble geschützten Feldmüllersiedlung ist, mit aktiver Nachhilfe unbewohnbar gemacht worden. "Ich bin davon überzeugt, dass es eine Kaltentmietung gab", so der Richter weiter.

Hauseigentümer Andreas S. sei mit "äußerster krimineller Energie" vorgegangen, um die im Gebäude verbliebenen Mieter zu vertreiben. Auf Bildern habe man gesehen, dass Wasser in das Haus eingetreten und es dadurch "eine einzige Eistruhe" geworden sei. Der Angeklagte habe eine Gesundheitsgefährdung der Mieter in Kauf genommen. "Das ist schlichtweg unanständig", sagt Schellhase. Die Vorgehensweise, dass Cüneyt C. am Tag nach dem ersten Abrissversuch mit der Schaufel des Baggers wild auf die Fassade eingeschlagen habe, hätte für Passanten ebenfalls gefährlich sein können, so der Richter.

Der Prozess stützt sich vor allem auf Indizien

Warum C. überhaupt am Tag nach dem ersten Abrissversuch zur Baustelle kam, ließ sich auch während des drei Monate dauernden Prozesses nicht abschließend klären. Zwar hatte der Bauunternehmer gestanden, das Uhrmacherhäusl mit dem Bagger in einer psychischen Ausnahmesituation zerstört zu haben, nachdem er einen Anruf vom wütenden Hauseigentümer - damals im Urlaub auf Sardinien - erhalten hatte. Dieser wiederum bestritt das und versicherte, nur an der Sanierung seines Anwesens interessiert gewesen zu sein. Und so stützte sich der Prozess vor allem auf Indizien.

Chatverläufe, Telefonanrufe oder Nachrichten: Vieles davon ist von den Beteiligten gelöscht worden, bevor es zur Verhandlung kam - "das steht meines Erachtens fest", sagt Richter Schellhase. Auch Schriftstücke oder andere Dokumente, die einen in Auftrag gegebenen Abriss des Denkmals unmissverständlich beweisen würden, konnten während der elf Prozesstage nicht zutage gefördert werden. Ebenso fehlte unter den mehr als 30 geladenen Zeugen eine entscheidende Person: Baggerfahrer M. Das ist jener Mitarbeiter von Cüneyt C., der am 31. August 2017 das erste Loch in die Fassade des Uhrmacherhäusls geschlagen hatte und von einem Anwohner aufgehalten wurde. M. ist von der Polizei vernommen worden, mittlerweile allerdings unauffindbar. "Wenn der Plan aufgegangen wäre, hätte Herr M. als Sündenbock herhalten müssen und man hätte ihm den gesamten Abriss angelastet", sagt Richter Schellhase.

Als den eigentlichen "Sündenbock" sieht die Verteidigung hingegen ihren Mandanten, Eigentümer Andreas S. Dieser sei durch "öffentliche Hetze" vorverurteilt worden, die Staatsanwaltschaft habe einen zweiten Täter konstruiert, obwohl es ja ein Geständnis gab. "Mit diesem Urteil sind wir nicht einverstanden und werden Rechtsmittel einlegen", sagt Rechtsanwalt Maximilian Müller nach der Urteilsverkündung.

Wer ein Denkmal zerstört, muss künftig mit noch höheren Strafen rechnen

Der Fall rund um den illegalen Abriss des Uhrmacherhäusl hatte überregional für Aufsehen gesorgt. In der öffentlichen Debatte ging es auch darum, welchen Einfluss private Investoren und Immobilienfirmen auf die Veränderung gewachsener Stadtteile haben. Im Frühjahr dieses Jahres hat der Bayerische Landtag die Strafen für Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz erhöht. Hier sind künftig bis zu fünf Millionen Euro Geldbuße fällig, bisher waren es 250 000 Euro.

Die Trümmer des Uhrmacherhäusls liegen noch immer vor Wind und Wetter geschützt unter einer Abdeckung. Die Stadt München hat verfügt, dass das kleine Haus in seinen historischen Gebäudemaßen wieder aufgebaut werden muss, diese Rechtsauffassung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) im Sommer 2021 bestätigt. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist daher erleichtert, dass der Eigentümer nun auch vor dem Amtsgericht belangt worden ist. "Über die Höhe der Strafe kann man streiten, aber feststeht: Wer Mieter rausekelt und denkmalgeschützte Häuser illegal abreißt kommt damit nicht durch!", sagt er.

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:Eiskalt entmietet und zerstört

Der Eigentümer des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls soll Bewohner genötigt und das Handwerkerhaus ohne Genehmigung abgerissen haben. Anfang Mai startet nun der Prozess gegen Andreas S.

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