Uhrmacher:Ticken für den ewigen Kalender

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Präzision seit mehr als 60 Jahren: Stephanie Sattler-Rick in ihrem Familienbetrieb in Gräfelfing. (Foto: Stephan Rumpf)

In Gräfelfing entstehen einzigartige Großuhren. Ein Besuch bei Stephanie Sattler-Rick, deren Mitarbeiter die Zeit mit Zahnrädern einfangen.

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Ein Uhrenpendel kann durchaus Angst machen. Wenn es zum Beispiel knapp acht Meter lang ist, Dutzende Kilogramm wiegt und über dem Eingang zum Familienbetrieb Erwin Sattler hängt, durch den die Kunden das Gebäude in Gräfelfing betreten. Es ist kein Ticken, was dieses Megapendel bei jedem Schwung macht, es ist ein hallendes Tacken. Alle zweieinhalb Sekunden. Zweieinhalb Sekunden?

Dass es sich bei der Hausuhr um ein ungewöhnliches Modell handelt, liegt allein schon an der Größe. Normalerweise geht es bei der 1958 gegründeten Firma um Milligramm und Hundertstel von Millimetern, wenn die 20 Mitarbeiter an den Sattler-Großuhren arbeiten. Vom Metalllager im Erdgeschoss bis zur Endfertigung im ersten Stock kann es schon mal zwei Jahre dauern, bis eine der Uhren das Haus verlassen kann. Meistens geht sie an Liebhaber, die auch einen sechsstelligen Betrag für so ein tickendes Möbelstück ausgeben wollen. Und die wissen, dass ein Pendel nicht akustisch die Sekunden anzeigt. "Ein Pendel steuert, wie schnell eine Uhr läuft", sagt Stephanie Sattler-Rick, eine schmale Frau, die zurückhaltender wirkt als sie ist.

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Ein Besuch bei Sattler ist ein Besuch einer alten Zeit. Handarbeit, Präzision und ein wenig Ruhe, keine Fließbandhektik. "Neunundneunzig Komma neun Prozent der Teile stellen wir selbst her", sagt Stephanie Sattler-Rick. Zwar auf modernen Maschinen, aber es sind eben die Bauteile von früher. Sattler-Rick ist die Tochter des Gründers Erwin Sattler. Als der sich entschied, auf Luxus-Uhren zu setzen, ging es darum, die Handwerkskunst der Uhrmacher wie vor hundert Jahren umzusetzen.

Vom Messingblock über die Herstellung und den Zusammenbau bis zum versandbereiten Paket alles selbst zu machen. Auf diesem Weg werden pro Uhr etwa 600 Teile benötigt, Spezialisten wie etwa Polisseure, die an Schleifmaschinen arbeiten, und die Fähigkeit der Uhrmacher, Zeit möglichst präzise in einem Uhrengehäuse, das aus Gewichten, Zahnrädern, Kugellagern und Zeigern besteht, zu fixieren.

Bei Sattler fertigen sie Uhren, in denen die durch Gewichte gespeicherte Energie so präzise in die Mechanik abgegeben wird, dass ihre Uhren nach einem Monat höchstens zwei Sekunden falsch gehen. Ganggenauigkeit nennt das der Uhrmacher. Der spricht auch von der Quarzkrise oder von Uhrenbewegern und meint dabei nicht seine Kunden mit Armbanduhren. Die gibt es selbstverständlich auch in der Lohenstraße.

Sattler-Rick hat ihr Büro neben der Fertigung im ersten Stock. Wenn sie durch die Gänge geht, hört man ihre Schritte nicht. Es ist vielleicht eine Art angelernte Dezenz und Aufmerksamkeit bei allen Bewegungen wie sie jemand hat, dessen Beruf es ist, feinste Präzisionsgeräte zu überwachen.

"Es gibt Leute, die setzen sich mit Genuss vor ihre Uhr und hören ihr beim Ticken zu"

Ein Rundgang in so einer Großuhrenmanufaktur ist auch eine Art innere Einkehr. Wo in Ruhe an Zeitmessern gearbeitet wird, bekommt Zeit eine andere Bedeutung als nur die einer Ressource, die dauernd knapp ist. Gerade in diesen Zeiten, in denen man vermuten könnte, dass ein Ticken der Wanduhr zu Hause bei manchen beklemmende Gefühle auslöst. Eine akustische Manifestation der Vorstellung, gefangen zu sein. Doch Sattler-Rick lächelt da nur und sagt: "Es gibt Leute, die setzen sich mit Genuss vor ihre Uhr und hören ihr beim Ticken zu."

Sattler-Rick geht runter ins Erdgeschoss und zeigt dort auf raumhohe Rohre aus Messing, Stahl und Aluminium, ganz hinten in der Werkstatt. Das Rohmaterial. Im Erdgeschoss geht es um Präzision und Härte. Maschinen, jede so groß wie ein Auto, werden je nach benötigtem Bauteil programmiert und fräsen aus Rohlingen das Bauteil. Fräsen, nicht stanzen. Das ist einer der Gründe, warum eine Uhr "locker 300 Jahre" hält, wie Sattler-Rick sagt.

Und nicht nach 20 Jahren kaputt ist. Je härter das Material, aus dem Zahnräder und Platinen sind, desto weniger verschleißen sie und desto weniger verziehen sie sich. Die Dreher, Fräser und Zerspanungstechniker arbeiten deshalb an hartgewalztem Messing. Sind die Teile fertig, werden sie galvanisiert, zum Beispiel hauchdünn mit Gold beschichtet, einen Hundertstel Millimeter dick. Das verhindert die Oxidation der Bauteile und damit auch deren physikalische Veränderung, "über Jahrhunderte".

Die fein gefrästen Bauteile aus dem Erdgeschoss wie zum Beispiel "Gehäuserückwandbuchsen" oder "Stundenstaffelsterne" mit zwölf Zähnen für je eine Stunde werden zu Hunderten im Lager aufbewahrt. Aus einem Kilogramm Messing, Materialwert fünf Euro, werden dann Dutzende dieser Sterne, Stückwert fünf Euro. Einen Stock weiter oben werden die Teile zusammengebaut. Dort sitzt an diesem Freitag auch ein Uhrmacher und bombiert. Das bedeutet, dass er einen Zeiger mit der Feile abrundet. "So etwas kann keine Maschine besser", sagt Sattler-Rick. Und der 3D-Plastikdrucker? "Die Teile müssen ja extrem hart sein, sonst halten sie eben nicht."

Die Mondphasenanzeige ist handgemalt. (Foto: Stephan Rumpf)

Nebenan sind die Plätze, an denen die Uhrmacher die Bauteile zu einer Uhr zusammenbauen. Wochenlang. Insgesamt sind es 600 Uhren pro Jahr. Welche mit Schlagwerk, welche ohne, mit Pendeln, mit einer Unruh wie die Tischuhren, die deshalb auch transportierbar sind. Bei einer Unruh wird ein Ring durch eine Feder in schnellem Wechsel mal in die eine und mal in die andere Richtung gedreht. Dadurch entsteht bei diesen Uhren der konstante Gang.

Sattler-Rick spricht über ihren Betrieb mit der Routine aus Tausenden Verkaufsgesprächen. Sie, das jüngste Kind des Gründers, ist für den kaufmännischen Bereich verantwortlich, führt die Geschäfte. Ihre älteste Schwester ist angestellte Uhrmacherin, hat den Beruf des Vaters erlernt.

Erwin Sattler lernte beim Uhrengeschäft Huber in der Münchner Maximilianstraße und machte sich dann selbständig. Zunächst baute er Tischuhren und kaufte die fertigen Uhrwerke. Bis zur Quarzkrise. So nennen die Fachleute die Zeit, als Ende der Sechzigerjahre die ersten elektronischen Uhren auf den Markt kamen und bald erschwinglich wurden. Taktgeber für die Uhr waren nicht mehr ein Pendel oder eine Unruh wie bei den herkömmlichen Uhren, sondern ein Quarz. Die neuen günstigen Uhren stürzten die Branche in eine schwere Krise.

Erwin Sattler beschloss daraufhin, erst recht auf hohe Qualität zu setzen und begann, auch Uhrwerke selbst zu bauen, eben so wie vor 100 Jahren. Er begann, einen Markt für tickende Anachronismen zu schaffen, wie Sattler-Rick sagt. Denn klar ist: Niemand braucht eine Großuhr für 118 000 Euro, wie sie zum Beispiel gerne von Kunden aus dem arabischen Raum in Gräfelfing geordert wird. Nur, warum werden sie dann gekauft?

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"Zunächst einmal ist die Großuhr zu einem Einrichtungsgegenstand geworden", sagt Sattler-Rick. Großuhren nennt man alle Uhren, die nicht am Handgelenk getragen werden. Ob sie nun auf Tischen stehen, an der Wand hängen oder auf dem Boden stehen. "Und so eine Uhr fasziniert die Leute." Wie kann es sein, dass ein Kasten von der Größe eines Ziegelsteins so mit Zahnrädern und Co zusammengebaut ist, dass er nach dem Aufziehen vier Wochen lang beinahe ohne Gangverlust die Zeit anzeigt, dazu noch die Mondphasen und auch noch dazu die Stunden schlägt. "Je mehr Komplikationen, desto besser", sagt Sattler-Rick und zuckt nicht mit den Mundwinkeln.

Was für jeden Nicht-Uhrmacher wie eine schlechte Nachricht klingt, viele Komplikationen, ist in der Uhrensprache gleichbedeutend mit: viele Funktionen. Jede einzelne Funktion braucht Energie, die ja bei den Pendeluhren in Form eines aufgezogenen Gewichts gespeichert ist, das ganz langsam ein Drahtseil abspult. Und dann müssen zig Zahnräder und Kugellager so zusammenspielen, dass eben um zwölf Uhr nicht nur der große und der kleine Zeiger auf zwölf stehen, sondern auch noch eine Glocke geschlagen wird. Und dann gibt es noch die Sattler-Super-Uhr, die mit einem ewigen Kalender.

Der Kalender zählt die Schaltjahre mit und den darin vorkommenden 29. Februar. "Es muss also eine Vorrichtung gebaut werden, die in der Lage ist, ein bestimmtes Zahnrad nur alle vier Jahre einmal zu bewegen." Sattler-Rick ist im Verkaufsraum im ersten Stock angekommen, hinter und neben ihr ticken und zirpen und klacken die Uhren. Verschiedene Modelle, verschiedene Größen, verschiedene Preise, die gleiche Faszination.

Sattler-Rick sieht sich um. Selbst nach so langer Zeit ist sie immer wieder selbst fasziniert von den Uhren und dem, was ihr Vater etabliert hat. Der 89-Jährige kommt auch noch immer jede Woche vorbei, er wohnt nur zwei Straßen weiter.

"Eine Uhr strahlt Gemütlichkeit aus"

"Auf eine Art ist eine Uhr ja auch etwas Lebendiges. Die Leute leben mit ihnen." Das Ticken als Puls. Sattler-Rick trägt selbstverständlich Armbanduhr, nur eine an diesem Freitag, andere tragen auch zwei. Die Sammler haben ja das Problem, dass Automatik-Uhren bewegt werden müssen, damit sie funktionieren. Was der Pendeluhr das Gewicht, ist der Automatik-Uhr der sogenannte Rotor, in dem sich je nach Armbewegung ein Gewicht dreht, das dadurch immer wieder eine Feder spannt. Mechanisch gespeicherte Energie, die dann die Zahnräder antreiben kann. Deshalb gibt es bei der Firma Sattler auch Uhrenbeweger. Das ist so eine Art elektronischer Gassigeh-Service.

Während der Gassigeher den Hund abholt und wohl verrichteter Dinge und mit viel Auslauf aufgezogen wieder zurückbringt, ist ein Uhrenbeweger ein Gerät, das die Uhr für den Besitzer bewegt, wenn der gerade nicht kann. Die Uhr wird auf eine Halterung geschnallt, die sich permanent in alle Richtungen dreht. Dafür gibt es sogar einen Safe, mit 20 Bewegern drin. Kostet 90 000 Euro und ist das, was man landläufig unter einem Nerd-Spielzeug verstehen würde. Aber es gibt eben in der Szene Aficionados, die Automatikuhren sammeln. Oder die sich eine Sattler-Großuhr kaufen und versuchen, die noch weiter zu optimieren.

Tick, Tack. Der Raum um Sattler-Rick ist erfüllt mit dem Klacken kleiner Kästen. "Man fühlt sich nicht alleine gelassen, wenn man so eine Uhr um sich hat", sagt Sattler-Rick. Wenn für den einen das Uhrenticken in sonstiger Stille das ultimativ Einsame darstellt, ist es für den anderen genau das Gegenteil.

"So eine Uhr strahlt Gemütlichkeit aus", sagt Sattler-Rick. Gemütlichkeit bei einem nervig tickenden Kasten, obwohl man die Zeit auch ohne Ticken im Smartphone hätte? So kann man das sehen. Kunde wird, wer Liebe für Handarbeit und Verständnis und Interesse an Physik hat. Und schon auch genug Zeit. Genug, um sie einfach mal vor einer Uhr zu verbringen. Sattler verkauft sogar Bausätze. Damit kann man noch mehr Zeit verbringen. Und dann ist so ein Gerät eben an sich schon ein Zeitzeugnis. Aus einer uralten Epoche, auch dazu gedacht, es an die nächste Generation weiterzugeben. Unverwüstlich.

Die Uhr tickt. Der Satz hat auf einmal eine ganz andere Bedeutung, wenn man bei der Firma Sattler sitzt. Bei den Uhrologen. Es ist ein Rhythmus, ja vielleicht sogar das gefühlt Lebendige, eine Art Puls eben, der einem da von Zahnrädern und perfekter Handwerkskunst vorgespielt wird. Auf jeden Fall etwas beruhigend Beständiges.

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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