Verkehrspolitik:Der große U-Bahn-Zank

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Seit 2010 der erste Zug der Linie U 3 in den Bahnhof Moosach rollte, ist in München kein einziger neuer U-Bahn-Abschnitt mehr im Bau. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Grünen wollen bei der Kommunalwahl mit Leidenschaft für den MVV punkten. Damit haben sie eines der ersten großen Streitthemen im Wahlkampf aufgebracht.
  • SPD und CSU sind nämlich überzeugt davon, die Grünen seien maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Ausbau der U-Bahn zum Erliegen gekommen ist.
  • Im Münchner Presseclub widerspricht die grüne OB-Kandidatin Katrin Habenschaden am Donnerstag: "Das stimmt schlicht und ergreifend nicht."

Von Dominik Hutter, München

"Für U-Bahn-Bau statt Dauerstau", lautet der Reim auf dem Plakat, darunter ist ein dynamisch wirkender Triebwagen vor der Kulisse der Frauenkirche zu sehen. Die Grünen wollen mit Leidenschaft für den MVV punkten - und haben damit eines der ersten großen Streitthemen im Kommunalwahlkampf aufgebracht. Denn die Konkurrenten SPD und CSU schäumen vor Wut ob dieser vermeintlichen Anmaßung, die bei beiden politischen Dreikönigstreffen ausführlich zur Sprache kam.

Münchens CSU-Vorsitzender Ludwig Spaenle ist nach eigenen Angaben beinahe vom Fahrrad gefallen, als er erstmals einen Plakatständer mit dieser "politischen Lüge" passierte. Und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) findet es "schwer nachvollziehbar", wenn Tatsachen völlig verdreht würden und sich die Grünen nun "als U-Bahn-Befürworter, ja als U-Bahn-Förderer" darstellten.

Mit diesen Plakaten wollen die Grünen ihre Leidenschaft für den MVV zeigen. Die Konkurrenten schäumen vor Wut. (Foto: Robert Haas)

Die Grünen, davon sind SPD und CSU überzeugt, seien vielmehr maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Ausbau der U-Bahn zum Erliegen gekommen ist. Was die Öko-Partei völlig anders sieht. "Das stimmt schlicht und ergreifend nicht", erklärte die grüne OB-Kandidatin Katrin Habenschaden am Donnerstag im Münchner Presseclub.

Fakt ist: Seit 2010 der erste Zug der Linie U 3 in den Bahnhof Moosach rollte, ist in München kein einziger neuer U-Bahn-Abschnitt mehr im Bau. Ungewöhnlich für eine Stadt, die seit dem ersten Spatenstich im Jahr 1965 ihr Tunnelnetz kontinuierlich auf inzwischen gut 100 Kilometer verlängert hat. Und eigentlich sollte es ja weitergehen. 2008 präsentierte die damalige rot-grüne Koalition ein ehrgeiziges Ausbauprogramm, in dem neben der Tram-Westtangente und einer Straßenbahn nach Freiham auch schon die U 9 vorkam. Gebaut wurde in den seitdem verstrichenen zwölf Jahren nichts davon. Die U 5 nach Pasing, eine vergleichsweise kurze und leicht zu realisierende Strecke, lag damals auf Eis.

Kurz vor Weihnachten, als Habenschaden im Stadtrat wieder einmal ihre Liebe zur U-Bahn bekundete, schritt der zornige CSU-Bürgermeister Manuel Pretzl zum Mikrofon und zitierte genüsslich aus der Parteizeitung Grüne Mamba, in der sich die Stadtratsfraktion damit brüstet, den Weiterbau der U 5 nach Pasing verhindert zu haben. Im November 2002 war das, und die Grünen hatten ihrem Koalitionspartner SPD ein Ja zur U 5 zugesagt, wenn - was unwahrscheinlich war - der Bund die üblichen Fördersummen für die Strecke springen lässt. "Mit dieser Formulierung sollte es möglich sein, den Bau dieses unsinnigen U-Bahn-Projektes doch noch abzuwenden", steht in dem Artikel, den der grüne Verkehrsexperte Jens Mühlhaus verfasst hat. Beim Dreikönigstreffen hatte Kristina Frank, die OB-Kandidatin der CSU, ebenfalls diesen Text parat und nutzte ihn für einen Angriff auf die grüne Verkehrspolitik. Deren U-Bahn-Bilanz sei ein "Armutszeugnis".

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Die grüne Spitzenfrau Habenschaden schäumt, wenn sie mit solchen Vorwürfen konfrontiert wird. Mit einem Artikel von 2002. "Das ist fast 20 Jahre her", ärgert sie sich. "Man muss doch den Kontext sehen." Damals sei eine völlig andere Zeit gewesen: die Phase der Haushaltskonsolidierung, München steuerte gerade auf sein Schulden-Allzeithoch von 3,4 Milliarden Euro zu, die Kassensituation galt als besorgniserregend. Und die Bevölkerungsprognosen hätten damals keinen allzu starken Zuwachs vorhergesagt. Die jetzige Situation sei eine völlig andere, betont Habenschaden. Darauf wolle man reagieren. Mit dem Bau der U 9 unter anderem, aber auch mit der Verlängerung der Linie U 4 ins geplante Neubaugebiet im Nordosten und der U 5 nach Pasing und später bis Freiham.

Beim Ausbau des Nahverkehrs, so betont die Politikerin, müsse man auf sämtliche Verkehrsmittel setzen. Auch die U-Bahn. Man dürfe aber nicht einseitig nur deren Ausbau predigen, denn der dauere einfach sehr lange. Trambahnen und vor allem neue Busstrecken könne man deutlich schneller haben. Habenschaden plädierte für mehr Busspuren. Das sei mit ein paar Strichen auf dem Asphalt getan.

Dass seit vielen Jahren bei der U-Bahn nichts geschehen sei, so Habenschaden, könne man doch nicht einfach nur der damals recht überschaubaren grünen Stadtratsfraktion vorwerfen. Tatsächlich ist aber sogar die CSU bei diesem Thema eher zurückhaltend mit Seitenhieben gegen den Bündnispartner SPD, der ja damals mit an der Regierung war. Bei den Sozialdemokraten kursiert zur U-Bahn-Politik von Rot-Grün folgende Theorie: Die SPD habe ja gewollt, aber das sei mit den Grünen schlicht nicht zu machen gewesen. Koalitions-Räson. Ein Geben und Nehmen.

Die U 5 nach Pasing, um die es in der Grünen Mamba geht, war und ist übrigens auch unter Verkehrsexperten umstritten. Denn sie verläuft unmittelbar parallel zur viel befahrenen Stammstrecke der S-Bahn, die mit dem zweiten Tunnel in den kommenden Jahren noch weiter ausgebaut werden soll. Und sie erschließt mit Pasing einen Bahnhof, der schon jetzt sehr gut auf der Schiene angebunden ist. Das ist auch der Grund, warum die Grünen 2002 so zuversichtlich waren, dass kein Fördergeld fließt - die Strecke erfüllt voraussichtlich nicht die Kriterien des Kosten-Nutzen-Vergleichs. Die Stadt will sie jetzt auf eigene Kosten bauen.

© SZ vom 10.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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