Urteil am Landgericht München:Missbrauch in der Wendeschleife

Urteil am Landgericht München: Der Angeklagte wird im Landgericht München I in den Verhandlungssaal geführt.

Der Angeklagte wird im Landgericht München I in den Verhandlungssaal geführt.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Mit Plüschtieren und Schokolade lockte U-Bahnfahrer Marcel S. zwei Jungen in seinen Zug und missbrauchte sie. Dafür muss er jetzt für mindestens drei Jahre in Haft.

Von Susi Wimmer

Der U-Bahnfahrer, der Kinder in seine Züge lockte und in Wendeschleifen sexuell missbrauchte, ist am Freitag von der 3. Jugendkammer am Landgericht München I zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Richter Matthias Braumandl begründete den "moderaten" Schuldspruch damit, dass die sexuellen Handlungen nicht so massiv gewesen seien und man bei den Geschädigten keine körperlichen oder psychischen Folgen erkannt habe. Und: Da Marcel S. bei den Taten unter offener Bewährung stand, kommen die zwei Jahre aus seiner vorangegangenen Verurteilung noch hinzu. "Da haben Sie einige Jahre im Gefängnis vor sich", so Braumandl.

Das Lockmittel des U-Bahnfahrers war ein putziges Plüsch-Einhorn. Das nahm er mit in die Führerkabine während seiner Dienstfahrten - und er nutzte das Stofftier auch als Profilbild, wenn er in Chatgruppen und auf diversen Social-Media-Kanälen unterwegs war. Dort schmuggelte er sich in Chat-Gruppen Minderjähriger ein - und gab sich selbst als Kind aus. Wenn er es dann geschafft hatte, sich mit einem einzelnen Minderjährigen weiter per Chat zu unterhalten, verschickte er Nacktbilder und Videos von Kindern oder von sich selbst. Teilweise forderte er die Kinder auf, ihm ebenfalls Bilder zu schicken.

In 18 Fällen sprach die Jugendkammer den 23-Jährigen des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig, hinzu kamen noch Delikte wie das Beschaffen von Kinderpornografie sowie der Besitz und Verbreitung derselbigen.

"Ich habe schwere Fehler begangen", sagte Marcel S. vor Gericht

Erst im Dezember 2019 war Marcel S. wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Nicht einmal ein Jahr später nahm er Kontakt zu dem zwölf Jahre alten Leon B. (Name geändert) auf. Marcel S. habe gewusst, dass er die Minderjährigen damit ködern konnte, im Führerhaus einer U-Bahn mitzufahren, sagte Richter Braumandl im Urteil.

Marcel S. bestellte den Zwölfjährigen an eine U-Bahnstation, wo er zustieg. Dann fuhr er mit dem Buben entweder in eine Wendeschleife oder in die Abstellanlage an einer Endstation. Dort näherte er sich dem Kind, küsste es oder versuchte, es zu begrapschen. Oder er entkleidete sich und führte in Anwesenheit von Leon B. sexuelle Handlungen an sich selbst durch. Einmal, an der Endstation Fröttmaning, schenkte er dem Buben ein Armband und Schokolade, eher er ihn gegen die Wand presste und küsste. Ähnlich handelte Marcel S. bei einem anderen Burschen. Ihn bestellte er an den U-Bahnhof am Hauptbahnhof, wo er dann anfing, ihn zu befummeln.

Gleich zum Auftakt der Verhandlung hatte Marcel S. alle Tatvorwürfe eingeräumt und sich entschuldigt. Er habe schon immer Probleme gehabt, Nähe und Distanz einzuschätzen. "Ich habe schwere Fehler begangen", räumte er ein.

Das Urteil aus 2019 sei dem Beschuldigten "offensichtlich egal" gewesen, so der Richter

"Wir haben hier kein Monster sitzen", meinte Richter Matthias Braumandl im Urteil. Er schätze den Angeklagten als durchaus freundlichen, höflichen und reuigen Menschen ein. Auf der anderen Seite habe S. gezielt Lockmittel eingesetzt, um seine Opfer zu ködern. "Und wenn die Zuneigung nicht erwidert wurde, dann konnten Sie durchaus auch unangenehm werden und Druck ausüben", so Braumandl zu dem 23-Jährigen.

Das Gericht stufte es als "eklatant" ein, dass das Urteil aus 2019 dem Angeklagten "offensichtlich egal" gewesen sei. Zugute hielt die Kammer Marcel S., dass er seit eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitze, "unter erschwerten Coronabedingungen". Und man habe es als Jugendkammer, bei der die maximal zu verhängende Strafe bei 15 Jahre liege, oft mit weitaus massiveren Taten zu tun. Bei Marcel S. seien hauptsächlich sogenannte "Hands-off-Delikte" zu verurteilen gewesen, also die Verbreitung oder Beschaffung von kinderpornografischen Bildern oder Videos.

Benedikt Stehle und Thomas Novak, die Verteidiger von Marcel S., sagten gegenüber der SZ, sie würden keine Revision gegen das Urteil einlegen.

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