Typisch deutsch:Lebendige Wolpertinger

Typisch deutsch: Kamelreiten im Oberland - eine Erfahrung, die unserem Kolumnisten nah ans Herz ging. (Symbolbild)

Kamelreiten im Oberland - eine Erfahrung, die unserem Kolumnisten nah ans Herz ging. (Symbolbild)

(Foto: Claus Schunk)

Unser Autor hatte in seiner früheren Heimat nie auf dem Rücken eines Kamels gesessen - erst im bayerischen Oberland bekam er seine erste Reitstunde.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ich hatte in meinem früheren Leben wenige Tiere kennengelernt, eigentlich fast nur Schafe. In Bayern habe ich Wildschweine, Rehe und Eichhörnchen erlebt. Der Ebersberger Forst macht es möglich. Die Frage ist: Was ist hier nicht möglich? Sie stellte sich einmal mehr, als ich diesen Herbst zu Besuch bei bayerischen Kamelen eingeladen war. Ich machte einen Witz, dass ich bereits im Landtag gewesen sei. Doch die Einladung war ernst gemeint.

Bayerische Kamele? Eine Form von lebendiger Wolpertinger? Wie Weißbiergläser im Wüstensand?

Eine Stunde südlich von München erreicht man einen großen Bauernhof mit einem Kamelstutenstandbild und weiß-blauer Fahne. Auf einem Schild steht: "Servus alaikum!" Und tatsächlich: In einem Stall mit Holzdach saßen auf Heu und Stroh gut 20 Kamele und fraßen gemütlich vor sich hin. Man möchte meinen, dass es für mich wie eine Rückkehr in die Vergangenheit war. Wie ein Oberbayer, der nach einer langen Reise wieder heimkehrt und die Tür zum Kuhstall öffnet. Falsch gelegen. So einen Anblick hatte ich bis dato weder in meiner alten Heimat Syrien noch in Afrika erlebt.

Eine meiner seltenen Begegnungen mit Kamelen in Syrien - wo in weiten Teilen des Landes das Auto als Fortbewegungsmittel vorgezogen wird - ist noch nicht so lange her. Es war kurz nach dem Aufkommen des IS im Land. Unterwegs in ländlicher Region bei Palmyra kam ich an einer Straßenecke vorbei und wunderte mich, warum es so komisch roch. Als ich näherkam, sah ich Fetzen von Fleisch und Fell auf dem Boden liegen: Es waren Körperteile von Kamelen, die ein Luftangriff getötet und in Stücke gerissen hatte. Die Angreifer hatten offenbar eine Karawane des IS vermutet und ihre Raketen abgefeuert. Sie trafen jedoch Händler, die unterwegs Richtung Wüste waren.

Ich selbst war nie auf dem Rücken eines Kamels gesessen. Und das Erlebnis von Palmyra trug nicht zwingend dazu bei, dass meine Motivation erheblich gesteigert wurde. Im Gegenteil: Kamelrücken verband ich alsbald mit verschmortem Fleisch. Gleichwohl hatte ich genauso wenig Appetit darauf, diese Tiere zu verzehren.

Zurück in Bayern. Mit diesen großen Tieren sollte ich nun im Süden Münchens auf Ausritt gehen. Mit Petra, Laila, Hassan und Kamal - so hießen die Tiere, welche sich noch kauend für die Tour ertüchtigten. Als sie sich schließlich aufrichteten, sah ich meine Aufstiegschancen erheblich sinken. Sogleich brachte der Tourführer eine Leiter. Kurz darauf saß ich auf Laila und die Karawane zog los.

Es folgte ein orientalisch anmutendes Abenteuer mitten im Oberland. Wüstenschiffe im Laubwald. So konnte ich die Eichhörnchen in den Bäumen und die Kamelhöcker aus der Nähe betrachten - und die Alpen in der Ferne. Vor arabischen Zelten in bayerischer Natur sahen wir dem Sonnenuntergang zu, während sich Laila und die anderen kauend erholten. Dieser Tag ging mir - wie wir auf Syrisch sagen - qarib min al-qalb - nah ans Herz.

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