Typisch deutsch:Syrisches WG-Hopping quer durch Europa

Eine Passkontrolle mitten in der Nacht weckt keine angenehmen Erinnerungen bei unserem Autor.

Eine Passkontrolle mitten in der Nacht weckt keine angenehmen Erinnerungen bei unserem Autor.

(Foto: dpa)

Unser Autor aus Syrien genießt seine neu gewonnene Reiselust - bei der ersten Passkontrolle im Nachtzug erschrickt er dennoch.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Anfang August spazierte ich durch Münchens Straßen und wunderte mich, so wenige Einheimische zu sehen. Eine kurze Recherche ergab: München hat das Reisefieber gepackt. Es stellte sich also nur die Frage, warum ich dann noch hier stehe. Viele meiner syrischen Journalistenkollegen haben das vom Krieg zerstörte Land in den vergangenen Jahren verlassen und sind irgendwo in Europa untergekommen. Warum also nicht mal einen Europatrip machen?

Typisch deutsch

Ihre Flucht hat drei Journalisten nach München geführt. In der wöchentlichen Kolumne "Typisch deutsch" schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben. Alle Kolumnen der Serie "Typisch deutsch" finden Sie hier.

Meine erste Reise nach meiner Ankunft in Deutschland ist drei Jahre her. Damals war das durchaus chaotisch. Ich besuchte seinerzeit syrische Freunde in ganz Bayern - sie lebten größtenteils in Flüchtlingscamps, Turnhallen und Traglufthallen - in Auffangzentren oder anderen Massenlagern. Es war bedrückend zu sehen, wie meine Freunde so hausten, ohne Privatsphäre und Individualität. So wurde der syrische Krieg auch hier in Bayern irgendwie sichtbar.

Fehlende Aufenthaltsgenehmigung und Sprachprobleme machten große Reiseaktivitäten damals unmöglich. Diesmal sollte vieles anders sein. Zur Vorbereitung führte ich mit meiner Frau Debatten. Ob wir zuerst Ahmad in den Niederlanden besuchen? Oder vorher bei Ali in Österreich vorbeischauen? Wir träumten davon, uns alle wiederzusehen.

Als ich auf Facebook erklärte, dass ich eine Reise plane, luden mich viele Freunde zu sich ein. Ich wusste nicht, wo ich anfangen und aufhören sollte. Ein syrisches Sprichwort sagt: "Wenn du einen Freund in einem Land hast, hast du dort auch ein Haus zum Wohnen!" Schließlich probierten wir sämtliche Reiseoptionen aus, Bus, Zug, Fahrrad, Taxi und zu Fuß. Alles war super, bis auf den großen Koffer meiner Frau.

In Österreich ging es nach Kufstein in eine Burg mit mittelalterlichem Gefängnis. Wir sahen Holzfiguren, die eine Folterszene nachstellen - ähnlich wie man das heute noch in syrischen Gefängnissen macht. Als wir so dastanden, kamen wir mit zwei Einheimischen ins Gespräch, die uns zu einem Lagerfeuer in ihrem Garten einluden. Allerdings verstehe ich bairisch besser als österreichisch.

Unsere Reise führte uns per Nachtzug nach Zürich, Amsterdam und Mailand. Obwohl wir im Abteil kaum schlafen konnten, und ich die Füße meiner Frau beinahe im Gesicht hatte, war es trotzdem gemütlich. Plötzlich klopfte jemand an die Scheibe, es war die Passkontrolle. Meine Frau bekam einen Schrecken. Es war gegen vier Uhr morgens, und ich musste für einen Moment daran denken, wie ich zum ersten Mal die Stimme eines europäischen Grenzpolizisten hörte. Dieser Mann sah nur kurz meine Papiere an und sagte zu uns: "Schöne Reise!"

Mailand ist eine amüsante Stadt, weil ich dort im Gegensatz zur nördlichsten Stadt Italiens für einen Einheimischen gehalten und auf der Straße auf Italienisch angesprochen wurde. Ähnlich ging es uns auf der letzten Station der Reise in Barcelona. In Syrien haben wir als Kinder die Fußballspiele des FC Barcelona im Fernsehen geschaut. Wir warfen damals Papierflieger auf die Landkarte von Europa und sagten zum Spaß, dort, wo dein Flieger landet, wirst du hinreisen. Nichts ahnend, dass es wirklich einmal dazu kommen würde.

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