Typisch deutsch:Zum Dahinschmelzen

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Kerzen in Restaurants - als Garant für schöne Atmosphäre oder zur Tarnung von üblen Gerüchen? (Foto: Florian Peljak)

Unser Autor wunderte sich lange über den Sinn von Duftkerzen. Warum den Geruch von heißem Wachs einatmen, wenn man den Duft leckerer Mahlzeiten genießen könnte?

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Der Raum funkelt im Flutlicht von Glühbirnen und Kerzenleuchtern, die in ausgefallenen Flaschen gehalten und auffällig in der Mitte des Tisches platziert sind. Als wären sie Wegweiser zu diesem vor Kraft strotzenden Ort. Durch die kombinierte Stärke beider Lichter wird der Raum transparent. Mit der invasiven Beleuchtung kann man erkennen, ob auf dem Tisch zu wenig Salz und Pfeffer steht. Oder ob zu viel Öl um das Steak herumschwimmt. Auch die Gesichter strahlen besser. Bis sich einer die Finger am Kerzenständer verbrennt.

Die Hingabe der Menschen in Bayern für das Schmelzen von Kerzen auf einem Tisch war mir in meinen frühen Tagen in München so fremd wie das Halten eines Hundes im Haus. Ich versuche oft, die Punkte zu verbinden, warum in aller Welt Menschen sich freuen, wenn sie den Geruch von heißem Kerzenwachs einatmen. Wo sie doch durch dieselben Nasenlöcher den Duft von leckeren Mahlzeiten genießen könnten.

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Von Bayern bis ins nigerianische Lagos genießt jeder Mann irgendeine Form der Katharsis, wenn er bestimmte Dinge tut. Sei es das Schmelzen von Kerzen oder das Zerknacken von Hühnerknochen. Vielleicht weckt die Kerzenkultur in Bayern einen Geist der Kameradschaft. In der Art, wie man ihn in Kirchen in Nigeria findet, in denen die Menschen zusammenkommen und im Kerzenschein beten, um Dämonen auszutreiben.

Der Kauf von Kerzen gilt in vielen Haushalten Nigerias, die sich keine Stromversorgung in ihren Häusern leisten können, schlicht als zu teuer. In Bayern hingegen ist es fast schon verboten günstig, ganze Kerzen-Sets zu kaufen und sie tagein, tagaus wegzuschmelzen. Das ist purer Luxus. Und das muss man nicht immer verstehen: Wenn die Flammen der Kerzen wenigstens dazu dienen würden, ein halb gar gewordenen Stück Fleisch zu braten. Besser noch, wenn der Geruch der Flammen aus der Kerze therapeutisches Potenzial hätte.

Nicht nur in Restaurants, auch in vielen Haushalten sind Kerzen Opfer der Ästhetik. Spezielle Spiegel sollen die Wirkung des Flackerlichts gar noch verstärken. Kerzen entpuppen sich in den meisten Häusern als sichtbare Freunde, an Weihnachten, an Geburtstagen und in lauen Spätsommernächten.

Zufällig stolperte ich vergangene Woche über verschiedene Kerzensammlungen, als ich versuchte, Lufterfrischer für mein Zimmer zu kaufen, um den schweißtreibenden Geruch der sengenden Hitze des Sommers zu vertreiben. Überraschenderweise wurden diese Kerzen als Garant für angenehmen Raumduft angepriesen. Da kamen mir Restaurants in den Sinn. Stehen wegen des Geruches dort so viele Kerzen. Manchmal würde ja auch ein Deo helfen.

Neugierig, wie ich bin, habe ich mich natürlich trotzdem für die Brombeer-Kerze entschieden. Nach einer persönlichen Begegnung mit dem anmutigen Duft half mir dieser wundersame Schmelz-Zylinder zu einer Nacht voll erholsamen Schlafs. Mittlerweile kann ich gar nicht mehr genug Kerzen um mich herum haben. Es ist einfach zum Dahinschmelzen.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 21.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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