Typisch deutsch:Schafe Gottes

Kirchenglocken

Kirchenglocken sind ein ungewohntes Geräusch für viele Zugereiste.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Unser Autor hat in seiner Heimat Syrien schon mal den Muezzin gegeben. In München musste er sich mit dem anfangs schwer erträglichen Läuten der Kirchenglocke arrangieren.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ich schreckte nicht nur einmal hoch aus meinem Bett. Dieser wiederkehrende Gong mitten in der Nacht, der ein wenig an einen Alarm erinnert. Vielleicht habe ich in Syrien zu viele Flugzeugangriffe erlebt. Wo ich doch den Ursprung dieses Gongs längst kannte.

An meinem ersten Tag in Bayern hielt ich das Kirchturmläuten zunächst für eine Herde von Schafen. In Erinnerung an das syrische Schäfer-Dorf meiner Großmutter, wo man ständig das Läuten von Schafsglocken in den Ohren hatte. Hier aber war das einzige Schaf weit und breit ich selbst.

Kirchenglocken sind so etwas wie die Schafe Gottes. Wenn ich etwa am Weihnachtsabend in der Kirche sitze und die Glocken läuten höre, konzentriere ich mich immer sehr darauf, alles richtig zu machen. Ich erinnere mich noch gut an den Besucher aus Deutschland, der in Rakka laut mitsang, als er die Worte unseres Muezzins hörte - und im Anschluss Beifall klatschte. Solche Fehler möchte ich vermeiden.

Kirchenglocken und Muezzins eint, dass sie die tägliche Routine unterbrechen. Der Unterschied besteht darin, dass die meisten Glocken mittlerweile elektrisch gesteuert werden und der Muezzin den Klang mit Gesang erzeugt. Der Bayer schont also seine Stimmbänder, während der Syrer Strom spart - und nur fünf Einsätze pro Tag hat. In meiner Zeit im Dorf der Schafhirten wurde ich selbst einmal gebeten, Muezzin zu sein. Die Dorfbewohner teilten mir ihre Meinung über die Qualität meines Gesangs mit, nicht alle haben mich gelobt.

Meine Begeisterung für Glockengeläut hielt sich zunächst ebenfalls in Grenzen. Warum müssen sie ihre Kirchtürme stündlich strapazieren, ganz zu schweigen von all den Sondereinsätzen im Dezember? Ich hatte zunächst meine neue Heimat-Gemeinde im Verdacht für diesen eng getakteten Gong-Zyklus. Kirchseeon - der Name ist Programm.

Meine Auseinandersetzung mit dem Glockenläuten zog weite Kreise. Womöglich könnte ein Antrag im Gemeinderat helfen: Fünf Glocken-Konzerte statt derer 24. Also orientalisch-verträgliche Kirchturmpolitik. Nachdem mir jedoch zu Ohren kam, dass so gut wie alle katholischen Kirchenglocken einem Prinzip folgen, verwarf ich die geniale Idee.

Die Glocken erinnern mich an das persönliche Gebet zu Hause oder während der Arbeit. Vielen meiner Freunde habe ich diese Dinge erklärt, bevor sie in ein muslimisches Land reisen. Ich erinnere mich wieder an Gäste aus Spanien im Orient, die das Ertönen des Gebetsrufs als Einladung zu einer öffentlichen Party interpretierten und mich fragten, ob ich mit ihnen Tanzen gehe.

Von Kirchseeon fahre ich gerne nach Wasserburg, das mich stark an das christliche Viertel von Damaskus erinnert. Hier wie da steht eine Kirche direkt gegenüber einer Moschee. In Damaskus veranstalteten der Muezzin und die Glocke manchmal ein Religions-übergreifendes Konzert. Man kann sich an alles gewöhnen. Dennoch empfehle ich jedem Araber als Vorbereitung fürs Bayernland ein Wochenende im Schäfer-Dorf meiner Oma.

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