Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Kleiner Wurschti

Unser Autor kennt Hunde als Bewacher, nicht als Mitbewohner. Lange vermied er es, Tiere zu verniedlichen. Jetzt sagt er Sätze, für die er sich einst schämte.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Vor wenigen Tagen wurde der Hund meiner Kollegin eingeschläfert. Er war krank und erlag seinem Schicksal. Zum Abschied habe ich ein Foto von ihm gemacht, er hieß Benni. Seine Spitznamen waren: Mäuschen, Maus, Mäusemann, Mäusekönig, Hundekind, Schlingi, Hundemaus, Hundeschatz und mein Schatzilein.

Kaum ein Schatz und kaum ein Satz werden mir derart in Erinnerung bleiben: "Sauba sog i, mein Schatzilein, fein hast des g'macht!" Der Satz stammte von meiner Kollegin. Und jedes Erdloch wäre mir recht gewesen, mich vor Fremdscham zu verkriechen. Der Eindruck wurde verstärkt: "Mein Herzi, mein Schatzi!", sagte sie. Was will sie nur? Warum diese übertrieben leise, behutsame Stimme? Daraufhin kam ein Hund auf die Frau zu, und hüpfte ihr in die Arme.

Ja servus, du kleiner Wurschti. Ja wauzo, feines Hundi. Feines Wuaschti für den Wacki!

Ja spinnt der Bayer? In Syrien wäre es peinlich für einen Mann, so mit Tieren zu sprechen. Man würde ihm Begriffe wie Schande andichten. Dort haben Hunde in der Regel aber eine ganz andere gesellschaftliche Rolle: Sie sind nicht Mitbewohner, sie sind Bewacher.

Wenn man nie ein Haustier besessen hat, wird man es nicht verstehen können - und das darf man niemandem vorwerfen. Die Verniedlichung eines Wesens, das einem als Außenstehendem in erster Linie als kläffendes Sabbermaul erscheinen mag, kann einem nicht adäquat vorkommen. Im Gegenteil. Es ist dieser Erdloch-Moment.

Die Frage ist, wie es dem Schnecki geht. Kann er den Redner überhaupt noch ernst nehmen? Auch die Kinder in der Mittagsbetreuung - wo ich arbeite - sagen zueinander: Du bist ein Schnecki. Oder ein Schatzi! So wird aus dem Kind, dem etwas heruntergefallen ist, schnell mal ein "Trampelchen" und aus dem langsamen Schorsch ein "Schnecki". Das ist - nach dem Erdloch-Moment - der zweite Nachteil dieser verniedlichenden Redeweise: Man weiß manchmal nicht mehr, ob das Gesagte wirklich ernst gemeint ist oder nicht.

Die Wünsche nach Erdlöchern werden weniger, wenn man Nachbar eines Haushundes ist. Noch mehr als das. Man sagt plötzlich Sätze, für die man sich einst massiv geschämt hätte.

Jedes Mal, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, hüpft mittlerweile Nachbarshündin Rosi zu mir ins Zimmer, winselt kurz und bekommt dann ein Leckerli von mir. "Na Rosi, hast du Hunger? Feines Hundi, mein Schnuckibutzi!" Wahlweise sage ich auch Lumpi, Schnecki, Schlingi oder Schatzilein.

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SZ vom 19.06.2021/lfr
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