Typisch deutsch:Leuchtfeuer der Hoffnung im Herbst

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Anfangs war unser Autor vom bayerischen Herbst und dem schaurigen Treiben an Halloween abgeschreckt - mittlerweile erkennt er im Herbst auch Zeichen der Hoffnung. (Foto: imago images/Pixsell)

Der Herbst in der Heimat unseres Autors ist sehr kurz, staubig und trocken. Mit dem Regenwetter in Bayern konnte er sich anfänglich nicht anfreunden. Aber dann beobachtete er Eichhörnchen und Igel.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Der November ist für manche Bayern ein gefürchteter Monat. Nicht nur, weil ihn die Menschen mit furchterregenden Halloweenfratzen einläuten, die aus Kürbissen geschnitzt sind - meine erste Begegnung mit einer solchen Maske brachte mich vor lauter Schreck und Angst zu einem Straßenseitenwechsel. Es sind, das wurde mir schnell klar, vor allem die Unwägbarkeiten des Wetters, warum so mancher im November einen Flug nimmt dorthin, wo die Sonne wartet. Der Knackpunkt: Im November mischen sich Sturm, Regen und Frost und bisweilen gar Schnee. Dazwischen blitzt auch mal die Sonne durch die Wolken, und so darf der November mit Fug und Recht als der April des Herbstes bezeichnet werden.

Als geflüchteter Syrer kann man dem November lange nicht entkommen, das liegt an Aufenthaltsbestimmungen und allem, was dran hängt. So ist ein Nebeneffekt der neuerlichen Corona-Einschränkungen, dass die Menschen in Bayern ein Gefühl dafür bekommen dürften, wie es ist, wenn man einer ungeliebten Jahreszeit ausgesetzt ist.

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Bewerbungen verfassen - das hat unser Autor in Syrien nie gelernt. Stattdessen lernte er, Liebesbriefe zu schreiben.

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Was also tun? Man versucht, sich zu arrangieren. Ich begann damit, Eichhörnchen zu beobachten. Eines von ihnen war womöglich sauer, weil Schulkinder ihm Futter vor der Nase wegschnappten. Kinder, die Kastanien sammelten und daraus lustige Figuren fertigten, die mich stets daran erinnern, wie meine Mutter in Syrien Früchte zu Marmelade verarbeitete oder Obst in der Sonne trocknete. Hier kann man Igel wochenlang dabei zusehen, wie sie sich ein dickes Polster anfuttern, ehe sie sich einen Winterschlafplatz suchen. Manche Vögel fliegen in Schwärmen in den Süden, wo sie in wärmeren Gefilden überwintern. Ihnen sind die Corona-Regeln egal.

Diese Bilder kenne ich von Syrien nur aus Büchern. Der Herbst in Syrien ist sehr kurz, staubig und trocken. Die Natur hat keine Farben, außer gelbe Blätter, die wir mangels Alternativen zum Feuermachen benutzten.

Hier in Bayern ist es nass und kalt. Manchmal gibt es starken Wind, der auch zum Sturm werden kann. Und dann ist es gut, wenn man sich an einen Kachelofen lehnen kann. Die bunten Farben verführen dazu, im Wald spazieren zu gehen, wo Blätter unter Schuhen rascheln. Wie damals in den Wäldern von Ungarn. Wir waren auf der Flucht und die Polizei kam uns auf die Spur und fasste einige meiner Mitflüchtlinge. Einem Freund und mir gelang die Flucht. Wir legten uns auf den Boden und bedeckten uns mit den Blättern, damit wir von der Polizei nicht entdeckt werden konnten. Wir hatten uns regelrecht eingeigelt.

Normalerweise feiert man um den 11. November herum in Bayern das St.-Martins-Fest. Bis jetzt aß ich jedes Jahr eine Gans bei einer deutschen Familie. Wir erinnerten uns daran, wie St. Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte. Die deutschen Jugendlichen in diesem Jahr sammeln Decken und Kleidung und schicken sie in Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos. Meine Nachbarin spendet ein Zelt, das sie sonst immer im Herbst für Bergtouren benutzt hatte. Auch wegen solcher Gesten genieße ich mittlerweile den Herbst. Inzwischen erfreut mich auch der Anblick der kleinen Leuchtfeuer, die aus den Kürbisgesichtern scheinen. Sie erschrecken mich nicht mehr, sie sind Zeichen der Hoffnung.

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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