Typisch deutsch:Fußgänger haben in München gute Überlebenschancen

Coronavirus  -  Kassel

Ein Zauberkasten für Fußgänger - allerdings in Coronazeiten nicht ganz ungefährlich.

(Foto: dpa)

In seiner Heimatstadt Lagos hingegen fühlte sich unser Autor früher unsicher auf der Straße. Hier hat er keine Angst mehr vor dem Verkehr - wegen der funktionierenden Ampeln.

Kolumne von Olaleye Akintola

Der Fußgänger ist nicht zu beneiden, ist er doch das schwächste Wesen im Straßenverkehr. Mit der Erfindung des Smartphones wurde seine Position nicht gerade gestärkt. Im Gegenteil: Mit dem Telefon vor der Nase wurden für ihn auch Laternenmasten, Bananenschalen oder sonstige Hindernisse auf den Bürgersteigen dieser Welt zur Gefahr. Daran ist nicht zu rütteln. Und doch dürfen sich Münchens Fußgänger glücklich schätzen. Denn wer den Kopf oben hat und die Augen offen, hat hohe Chancen, den Fußmarsch durch diese Stadt verletzungsfrei zu bewältigen.

München lässt einen, in Zeiten ohne Beschränkungen, furchtlos durch die Stadt gehen. Wenn ein Auto auf einen zufährt, muss man in aller Regel nicht zur Seite springen. Um Crashs mit Radfahrern zu vermeiden, hilft es, den Kopf zu drehen, ehe man die Richtung wechselt. Hier regiert nicht das Chaos. Fußgängern wird es leicht gemacht, den Code des Überlebens zu entschlüsseln. Egal wie viele unterwegs sind, reihen sie sich wie Perlen in einer Kette, die den Abstand durch Knoten regelt. Dieser Tage sind die Knoten recht weit auseinander.

Als ich hier vor Jahren ankam, war es eine Wohltat zu sehen, wie Fußgänger sich durch die Straßen Münchens und all seine Autos bewegen. Wie zauberhafte Feen, denen keine Stoßstange der Welt etwas anhaben kann. Mir fiel gleich auf, dass sich die Fußgänger hier eine Kultur des Wartens angeeignet haben. Ganz selten hüpfen sie auf die Straße und schlängeln sich durch den laufenden Verkehr. Stattdessen drücken sie auf einen Kasten und warten auf ein Lichtsignal.

Die Ampelknöpfe Münchens: Eine bessere Krankenversicherung gibt es nicht. Dazu muss man wissen, dass ich in der Großstadt Lagos groß geworden bin, in einer Stadt, in der an die 25 Millionen Menschen leben - und sich weniger geordnet bewegen. Kinder müssen auf dem Weg zur Schule eskortiert werden. Erwachsene halten sich vorm Überqueren einer Straße bei den Händen, um eine starke Macht herzustellen, damit die Autos anhalten. In vielen Teilen der Stadt fehlen Ampeln, nicht wenige sind kaputt.

So müssen Fußgänger ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Nicht selten kommt es dann zum Crash, weswegen es in Nigeria den Begriff des Hit-and-Run-Vehicles gibt. In München ist es eher eine Stop-and-Wait-Mentalität. Wer sich nicht daran hält, zieht die neugierigen Augen der Polizei auf sich, die in diesen Tagen omnipräsent ist. Nur haben wir dank Corona ein Dilemma, wegen der gelben Box an der Fußgängerampel: In den Tagen, die von der Viruskrise bestimmt sind, sollte man vielleicht öffentliche Knöpfe lieber meiden.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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