Den Begriff Bergsteigen habe ich immer mit Strapazen und Entbehrungen verbunden. Und vor nicht allzu langer Zeit zudem mit der Angst davor, entdeckt zu werden. Als ich vor gut vier Jahren in München ankam, steckte mir eine 30-tägige Flucht in den Knochen inklusive einer dramatischen Woche in den Bergen. Zwischen der syrischen Stadt Raqqa und der südlichen Grenze der Türkei ragen sie um die tausend Meter aus der Erde. Nur über die Bergpfade hatte ich eine Chance, unentdeckt an den Grenzwächtern des IS vorbeizukommen. Wie sehr hätte ich mir seinerzeit eine Hüttenbrotzeit gewünscht.
Wenn man eine Woche unter Felsen geschlafen hat, zugedeckt mit nichts als einem braunen Tarnmantel, will man von Bergen und Gipfeln erst einmal nichts mehr wissen. Um unerkannt in die Bergregionen zu gelangen, musste ich auf jegliches Gepäck verzichten, ein Rucksack hätte mich und meine Fluchtpläne sofort verraten. Und so schlug ich mich durch - mit nichts als meinem Mantel und meinem Mobiltelefon. Die Bergbauern gaben mir Ziegenmilch und Brot, und die Felsen boten den nötigen Sichtschutz. Nach sieben Tagen gelangte ich unbemerkt in die Türkei. Drei Wochen später erreichte ich München. Dort begegnete mir wenig später der Begriff "Hochgefühl".

Typisch deutsch:Manches Verbot ist nur schwer zu verstehen
Neuerdings flüstert unser Autor aus Nigeria, wenn er in der Bahn telefoniert. Auch auf andere Tabus musste er sich erst einstellen.
Vier Jahre in München lehren einen, dass man sich auch hier in bergigem Grenzgebiet in Gefahren begibt. Der Unterschied: Die Münchner tun dies freiwillig. Manche quälen sich über steile Pfade auf Gipfel hinauf und senden dann Beweisfotos über soziale Netzwerke in die Welt. Andere springen mit Fallschirmen oder Fluganzügen von oben ins Land hinab und landen bisweilen so unsanft, dass sie ihre Waghalsigkeit bereuen. Das hat es also mit diesem Hochgefühl auf sich?
Mit den Eindrücken meiner Flucht konnte ich vieles von dem zunächst nur mit Zynismus ertragen. Bis ich mit dem Begriff "Wandern" bekannt gemacht wurde. Wandern ist die entschärfte Variante von Bergsteigen, aber ambitionierter als spazieren gehen. Man trägt dabei einen Rucksack und befindet sich fernab von städtischem Gebiet, nur nicht dort, wo man vor Anstrengung kollabiert oder mangels Erfahrung abstürzt. Man kann zum Beispiel an den Staffelsee fahren und von dort aus Wanderungen machen, ohne steile Wege meistern zu müssen. Wo auch immer man will, zieht man dann seine Trinkflasche aus der Tasche und schaut sich die schöne Natur an. Mit Bächen, die herabfließen wie das wellige Haar einer Meerjungfrau. Solche Eindrücke machen Appetit auf Brotzeit. Zu diesem Zweck sind Wanderstrecken mit Hütten ausgerüstet. Spätestens dort ist es mit jeglichen Strapazen und Entbehrungen vorbei.