Typisch deutsch:Krise und Grießbrei

Typisch deutsch: Der Spielplatz ist auch ein Stück Freiheit - für Kinder und ihre Mamas.

Der Spielplatz ist auch ein Stück Freiheit - für Kinder und ihre Mamas.

(Foto: Toni Heigl)

Unsere Autorin war es gewohnt, in großen Großfamilien zu leben. Jetzt wohnt sie als Alleinerziehende in München und muss Probleme bewältigen. Aber es gibt Tricks.

Kolumne von Lillian Ikulumet

"Ich kriege die Krise" ist ein geläufiger Satz, den ich in München häufig und lange Zeit mit Irritation wahrnahm. Wissen die Menschen hier überhaupt, was eine echte Krise ist? Vor der Pandemie, so mein Eindruck, konnten die meisten Münchner sicher nicht begreifen, wie sich eine Krise im Wortsinn anfühlt. Verfolgung, Armut, Angst. Ich dachte, dass die Mamas, von denen ich diesen Satz am häufigsten hörte, einfach zu verwöhnt waren. Typisch deutscher Charakter, leicht gestresst und in Panik zu geraten, wenn es um kleine Dinge geht.

Zum Leben gehört Veränderung, neues Leben, Entwicklung. Meine mittlerweile drei Jahre alte Taliah fragt mich manchmal: Mama, ist alles okay? Alleinerziehend zu sein, kann sowohl für die Mutter als auch für das Kind ziemlich stressig sein, besonders wenn man berufstätig ist und sich zudem nebenher weiterbildet. Während ich telefoniere, spuckt mein Kind Grießbrei. Aber muss man deswegen gleich von einer Krise sprechen?

Tatsächlich ist es so, dass man hier oft das Gefühl hat, dass man zu kurz kommt, damit das Kind nicht zu kurz kommt. Alleinerziehend in München bedeutet, dass im Alltag niemand da ist, der die guten und schlechten Erfahrungen teilt. Man hat niemanden, mit dem man einen Filmabend machen kann, wenn man keinen Babysitter findet. Treffen mit Freunden zum Essen oder im Biergarten? Fehlanzeige.

Es stimmt zwar, dass Geld kein Glück kaufen kann, aber Geldmangel kann Stress, Angst und eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten verursachen. Und plötzlich hörte ich mich es selbst sagen: "Ich kriege die Krise."

München ist in vielerlei Hinsicht ein Geschenk, doch als Alleinerziehende mit einem kleinen Kind offenbart die Stadt ihre Schwäche. Da wird einem wenig bis gar nichts geschenkt. Wer es gewohnt war, in großen Großfamilien zu leben, dem fällt es vielleicht besonders auf. Wo ich herkomme, wird ein neu geborenes Kind über Jahre vom ganzen Clan umsorgt. Zur Betreuung der Kinder kann man jederzeit Verwandte einladen. Das Leben als alleinerziehende Mutter ist weniger stressig. Man hat Zeit für sich, kann sich mit Freunden treffen oder sogar Sport machen.

Münchens Muttis aber sind gewieft, auch das habe ich beobachtet. Das hilft, um der Einsamkeit entgegenzutreten. Zum Spielplatz spazieren gehen und andere Mamas treffen, von denen auch manche ohne Partner sind. Dort spielen die Kinder im Freien mit anderen. Taliah muss sich dann nicht mehr wie eine Handtasche fühlen, die überall mit muss. Dank Wippe und Schaukel baumeln die Krisengedanken davon. Mit dem Spielplatz beginnt für Mama und Tochter die Freiheit.

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