Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Museum Dahoam

Es ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, an welchem Erbstück das Herz hängen bleibt. Vor allem, wenn es auch noch unschön anzusehen ist.

Kolumne von Olaleye Akintola

Er funkelte zwar, hatte jedoch ein klobig-altertümliches Antlitz. Alles in allem war es in meinen Augen ein ungewöhnlich hässlicher Spiegelschrank, den sich meine Gastgeberin an die Klowand gestellt hatte. So wie er dastand, gab er dem Klo das Ambiente eines verfallenen Scheißhauspalasts. Als guter Gast behielt ich meine Ansichten für mich. Eines Tages aber brach ich bei einem Toilettenbesuch aus Versehen einen der Leuchter des Spiegelschranks ab. Da begann der Keks zu krümeln.

Zunächst dachte ich mir nichts weiter dabei, notfalls würde ich halt einen neuen Spiegelschrank kaufen, der fürs Auge weniger belastend ist. Als mein Freundin aber das Malheur sah, brach sie beinahe in Tränen aus. Das Trumm stammte von ihrem verstorbenen Vater, erfuhr ich, deswegen sei die Beschädigung durchaus ein Problem. Als ich anbot, den gleichen Schrank nachzukaufen, machte ich es nur noch schlimmer. Abgesehen davon, dass der furchtbare Spiegelschrank nicht mehr hergestellt wird. Wahrscheinlich aus gutem Grund.

Für mich ist ein Spiegel einfach ein Spiegel. Und wenn er hässlich, alt und kaputt ist, werfe ich ihn weg. In Bayern sehen das viele Leute ganz offensichtlich etwas anders. Manche horten Gegenstände über Jahrzehnte und reichen sie über Generationen weiter. Egal wie unbrauchbar sie sind. So entsteht ein Arsenal an Artefakten. Häuser sind damit vollgestellt, bisweilen gar die Garage. Ich hätte nie geglaubt, dass es im Autoland Deutschland Garagen gibt, die nicht für das Unterstellen von Autos dienen.

Bei manchem Mitbürger fragt man sich, wie viel er im Laufe seines Lebens noch sammeln will. Wozu gibt es die brillante Erfindung eines Wertstoffhofs? Stattdessen legen sich Bürger in Kellern und Dachböden regelrechte Museen an. Mit Vintage-Möbeln, Dekokram und allerlei anderem. Warum macht mein geschätztes Bayernvolk das? Vielleicht ist es wie bei einem Literaturnarr, der durch volle Bücherregale zeigen will, wie belesen er ist. Nostalgie, die beweist, wie der Mensch vor sich hin altert.

Ich selbst bevorzuge die Strategie: Hebe nur auf, was du auch im Alltag brauchst. Ich hätte gar nicht den Stauraum wie etwa einer meiner Freunde, der seine Lebensgeschichte um sich herum versammelt hat: Bei ihm stehen Federkiel und Tinte herum, er hat Bündel von D-Mark-Scheinen und sogar seinen ersten Reisepass aufgehoben, und als Kriegsveteran findet man bei ihm auch noch seine alten Militärschuhe. Wenn er über früher spricht, verwendet er die historischen Gegenstände als narratives Geleit. Wenn ältere Nigerianer solche Geschichten erzählen, haben sie keine Beweisstücke, nur ihre Worte. Ein Kind kann viele Kleidungsstücke haben, ein Greis hat dafür viel Stoff zum Erzählen. Dafür reicht auch der Stauraum im Kopf.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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SZ vom 26.06.2020/vewo
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