Verkehrsprojekt:Ein neuer Tunnel für den Münchner Norden

Lesezeit: 3 Min.

Die SPD rückt vom Koalitionsvertrag ab und bekennt sich zu einer unterirdischen Verbindung der Schleißheimer Straße zur A99. Die Wende ist überraschend und pikant.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Der Weg für einen neuen Autotunnel im Münchner Norden ist frei: Die SPD bekennt sich nun definitiv zu einer unterirdischen Verbindung von der Schleißheimer Straße zur A99. Mit den Fraktionen von CSU/Freie Wähler und FDP/Bayernpartei gibt es dafür im Stadtrat jetzt eine stabile Mehrheit. Damit würde die Stadt eine langjährige Forderung des Autoherstellers BMW erfüllen, der sich eine bessere Anbindung wünscht. Die Wende der SPD ist überraschend und pikant: Die Sozialdemokraten brechen damit den Koalitionsvertrag mit den Grünen. Diese wollten trotzdem die gemeinsame Politik fortsetzen, heißt es in einer wortreichen Erklärung.

Wenn unter einer solchen schriftlichen Mitteilung viele Namen stehen, dann ist die Situation in der Regel brisant. Unter der Nachricht vom Mittwoch standen zusätzlich zu den Fraktionsvorsitzenden die Namen der drei Bürgermeister sowie der Münchner Parteivorsitzenden von Grünen und SPD. Ihre "unterschiedlichen Haltungen" beschreiben die Koalitionspartner so: "Während die Grünen sich auf einen starken Ausbau des Umweltverbunds konzentrieren wollen und eine Festlegung auf einen Tunnel ablehnen, möchte die SPD zusätzlich zur Stärkung des Umweltverbunds im Rahmen des Gesamtkonzepts für den Verkehr im Münchner Norden auch eine Planfeststellung für den Tunnel München-Nord (Tunnelanbindung des Autobahnkreuzes A 99/A 92 an die Schleißheimer Straße) einleiten."

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Um die Frage eines Bruchs des Koalitionsvertrags versuchen sich Grüne und Sozialdemokraten mit Wortklauberei herumzuschlängeln. Die Variante, die einen Tunnel unter dem FFH-Gebiet Panzerwiese/Hartelholz umfasst, sei "weiterhin ausgeschlossen", schreiben sie. Der Text im Koalitionsvertrag lautet jedoch: "Die Planungen für die Tunnel in der Schleißheimer Straße und der Tegernseer Landstraße werden eingestellt." Die Sozialdemokraten hatten ihre Abkehr von diesem Versprechen schon länger mit öffentlichen Äußerungen vorbereitet, nun wurde im Koalitionsrat am Montag der Umgang damit festgelegt.

Dem Vernehmen nach soll nun vor allem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf eine schnelle Entscheidung im Stadtrat pro Tunnel gedrängt haben. "Die Menschen und Unternehmen im Münchner Norden warten seit Jahrzehnten auf ein vernünftiges Verkehrskonzept", teilte er am Dienstag auf Anfrage mit. Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie neuen Fuß- und Radwegen brauche es auch dringend eine Lösung für den Individualverkehr. "Denn die Autos und täglichen Staus lassen sich nicht einfach wegdiskutieren."

Intern geht man von einem Milliardenprojekt aus.

Im Vorfeld hatten auch Reiters Fraktionschefs Anne Hübner und Christian Müller Sympathie dafür erkennen lassen, dass der Tunnel doch gebaut werden soll. Die Sitzung des Koalitionsrates mit den Grünen sei "sehr freundschaftlich" gewesen, sagte SPD-Fraktionschef Christian Müller am Dienstag. Der Tunnelbau sei den Sozialdemokraten wichtig "wegen der Betriebe im Norden, insbesondere BMW, und der Anbindung".

Doch was haben die Grünen davon, dass sie das Abweichen vom Koalitionsvertrag offenbar tolerieren? Fraktionschef Müller verneint die Frage, ob die SPD einen Preis dafür zahlen müsse. Wenn die Grünen künftig ein "dringendes Anliegen" hätten, dann werde man "ebenso freundschaftlich" darüber diskutieren. Aus Stadtratskreisen ist zu hören, dass die Grünen nun einen "Gutschein" hätten, den sie beim Koalitionspartner einlösen könnten. Und wie geschlossen waren die Sozialdemokraten in der Tunnelfrage? "Nahezu einvernehmlich" sei man in der Sache unterwegs, versichert Müller. Aus Fraktionskreisen ist allerdings zu hören, dass nicht jeder mit der Kehrtwende glücklich ist.

Die Grünen tolerieren das Vorgehen der SPD, verstehen können sie es nicht. "Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine tragfähige Gesamtlösung für den Verkehr im Münchner Norden", sagte Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, die auch für die Wirtschaft verantwortlich ist. Sie stehe zu hundert Prozent hinter dem Wunsch von BMW, eine staufreie Anfahrt für Waren und Mitarbeiter zu haben. Aber den Tunnel ohne eine vertiefte Prüfung aus den Gesamtplänen herauszureißen, könnte auch kontraproduktiv sein. "Für so eine wahnsinnig teure Jahrhundertentscheidung für den Verkehr im Münchner Norden braucht es eine fundiertere Planung." Und eine solide Finanzierung, fügte sie an. Zu den Kosten ist noch wenig bekannt, intern geht man in der Verwaltung von einem Milliardenprojekt aus.

Die FDP wünscht sich gleich noch mehr Tunnel

Ihr Fraktionschef Florian Roth hätte sich ebenso den Vergleich mit einer Alternative gewünscht, die den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Radwege in den Fokus stellt. Für so sicher wie die SPD hält er den Bau des Tunnels immer noch nicht. In dieser Legislaturperiode werde wohl nicht einmal mehr der Beschluss zum Bau fallen. "Ich vermute, das wird ein Wahlkampfthema."

Die CSU wird dieses vor der Kommunalwahl 2026 sicher gerne aufgreifen. Fraktionschef Manuel Pretzl lässt sich erst einmal über die "innere Zerrissenheit" der Koalition aus, die nun offen aufbreche. Im Übrigen hält er die Wende der SPD für eine gute Nachricht für den Münchner Norden, die Menschen dort und den Wirtschaftsstandort allgemein. "Wir haben der SPD immer signalisiert, dass sie hier mit uns zusammenarbeiten kann."

Auch die FDP wird mitstimmen pro Tunnel - und sie wünscht sich noch mehr davon in der Stadt. "Wir fragen uns, warum ein Tunnel möglich ist, wenn sich BMW dafür einsetzt, aber völlig undenkbar sein soll, wenn sich "nur" die lärmgeplagten Anwohner einen Tunnel wünschen", sagte Fraktionschef Jörg Hoffmann.

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