Die Dringlichkeit der Veranstaltung findet kurz vor Beginn der finalen Präsentationen ihren Ausdruck. „Lasst uns eine Minute schweigen, für all diejenigen, die in der Ukraine ihr Leben lassen mussten“, sagt der Moderator auf Englisch. Die rund 250 überwiegend jungen Männer im Campus-Saal der Technischen Universität (TUM) in Garching erheben sich von ihren Stühlen. Eine Minute Stille für Menschen, die nur etwa 1500 Kilometer Luftlinie von Garching entfernt Opfer eines Kriegs wurden.
An diesem Wochenende ist der Campus Schauplatz eines sogenannten Hackathons. Bereits am Freitagmorgen kommen die Teilnehmenden zusammen, hören Vorträge, besuchen Workshops und finden sich anschließend in etwa 50 Teams zusammen. Nun haben sie rund 42 Stunden Zeit für innovative Lösungen und auch, um womöglich erste Prototypen zu entwickeln. Das Thema: „Drone Defense“ – Drohnenabwehr.
Am Sonntagmorgen sind die meisten Teams bereits in den letzten Zügen ihrer Arbeit. Stapelweise Kisten mit leeren Energydrink- und Colaflaschen zeugen davon, dass die meisten Teilnehmenden auf Schlaf wohl vollständig verzichtet haben. Ein junger Mann greift die letzte Clubmate-Flasche aus einer Kiste. „Gleich gibt es Nachschub“, verspricht Connor Rehn.
Rehn ist nicht nur ein ehemaliger Soldat, der das Kriegsgeschehen in der Ukraine am eigenen Leib erlebt hat. Er ist auch Direktor des Bereichs Verteidigung und Sicherheit bei den TUM Venture Labs, einem Tochterunternehmen von TUM und UnternehmerTUM, das jungen Wissenschaftlern hilft, ihre Ideen in marktfähige Produkte zu verwandeln. Sie sind einer der Veranstalter des Hackathons, gemeinsam mit dem European Defense Tech Hub (EDTH), einem europaweiten Netzwerk zur Förderung innovativer Projekte im Verteidigungssektor.
Sollte an Universitäten auch für die Rüstungsindustrie geforscht werden? Diese Frage wird immer wieder kontrovers diskutiert. Das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“, das im Juli 2024 in Bayern verabschiedet wurde, enthält unter anderem eine Kooperationspflicht der Hochschulen mit der Bundeswehr. Vor allem aus linken Kreisen wird den Universitäten vorgeworfen, sich zum Teil der Kriegsmaschinerie zu machen. Wer für die Rüstung forsche, habe Menschenleben auf dem Gewissen, so der Tenor der Kritiker.
Ganz anders sehen das Lars Pernickel und Hannes Diener. Sie sind Teil eines Teams, das sich mit der Steuerung von Drohnen mittels Laserpointer beschäftigt. Der erste Pitch kam bei der Jury gut an, nun gehören sie zu den 16 Teams, die ihre Idee am Nachmittag größer präsentieren dürfen. „Wenn wir unsere Autonomie in Europa und auch unsere demokratischen Werte erhalten wollen, dann müssen wir anfangen, mehr in Verteidigungssysteme zu investieren“, sagt Diener.
Der 23-Jährige ist Masterstudent im Fach Robotik, nebenbei arbeitet er bereits für einen der größten Rüstungskonzerne Deutschlands. Pernickel, Doktorand der Verkehrstechnik an der TUM, pflichtet ihm bei. „Wir arbeiten hier an Systemen, die Soldaten das Leben erleichtern und im besten Fall retten sollen. Wie wichtig das ist, kann man in der Ukraine bereits gut sehen. Die moderne Technologie bestimmt das dortige Kriegsgeschehen.“
Der Hackathon schaffe Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, aber auch neue Perspektiven zu bekommen. Vor allem die Freiheit, die ein Hackathon den Forschenden biete, sei von Vorteil, so Diener. So könne man festgefahrene Prozesse etablierter Unternehmen umgehen und sei freier im Denken und in der Wahl der Mittel. „Es ist eine ganz andere Art von wissenschaftlicher Arbeit, weil es nicht darum geht, etwas besonders Beeindruckendes zu entwickeln, sondern darum, einfache, effektive und bezahlbare Lösungen für bestehende Probleme zu entwickeln“, erklärt Pernickel.

Dass Drohnen dabei nicht nur Teil einer zerstörerischen Technologie sein können, sondern auch Leben retten und zu humanitärer Hilfe beitragen können, das versucht German Stelmakh immer wieder zu erklären. Der 24-Jährige ist Student der Luft- und Raumfahrt an der TUM. Seine Familie stammt aus der Ukraine, Stelmakh kam im Alter von 13 Jahren nach München. Vor zwei Jahren gründete er mit Landsleuten das Drone Aid Collective (DAC), das Aufklärungsarbeit und Workshops zum Thema Drohnen anbietet.
„In meiner Heimat ist Krieg. Da kann man nicht einfach dasitzen und nichts tun“, so Stelmakh. Ihm sei bewusst, dass es heutzutage schwierig sei, sich zu Rüstungsthemen in der Gesellschaft zu positionieren. Doch gerade deshalb leiste er Aufklärungsarbeit. Die Qualität und Stärke der Wissenschaft für die Zukunft der europäischen Demokratie zu nutzen, sei das Beste, das man tun könne, so Stelmakh. „Noch haben wir die Zeit, diese Dinge zu entwickeln, also sollten wir sie nutzen. Besser wir investieren heute in die Entwicklung eines guten Drohnensystems, als dass wir später gezwungen sind, selbst zur Waffe greifen zu müssen.“
Der Hackathon wird privat finanziert, staatliche Förderung gibt es nicht. Dennoch zeigen sich die Unis und auch die Staats- und Bundesregierung interessiert an den Ergebnissen solcher Veranstaltungen. Beim nächsten Hackathon in Berlin soll es auch Mentoren aus der Bundeswehr geben.
Wie viel in kurzer Zeit tatsächlich erreichbar ist, zeigt sich bei den abschließenden Präsentationen. Die vierköpfige Jury, größtenteils Investoren, die den jungen Entwicklern später bei der Umsetzung ihrer Ideen helfen werden, kürt am Ende drei Gewinnerteams. Auf Platz eins landet die Idee des Teams um Dave Black. Mit Mikrofonen sollen insbesondere glasfaserbasierte Drohnen frühzeitig entdeckt werden können.
Am Ende der Veranstaltung leeren sich die Räume schnell, die Teilnehmenden müssen Schlaf nachholen. German Stelmakh stopft gut gelaunt Müll in eine Tüte. Er ist sehr zufrieden mit dem Verlauf des Wochenendes. „So viele, die hier waren, hatten am Freitag noch keine Ahnung von Drohnen-Verteidigung. Und jetzt die Ergebnisse zu sehen, das ist schon beeindruckend.“ Er hofft, dass sich künftig viele Studierende für Verteidigungsthemen interessieren. „Wir sind die Generation, die es ausbaden muss, wenn wir die Entwicklungen weiter verschlafen.“

