Süddeutsche Zeitung

Türkische Filmtage München:Hoffnungsschimmer am Bosporus

Lesezeit: 3 min

Die Türkischen Filmtage München gehen erstmals rein digital über die Bühne. Die 32. Ausgabe widmet sich Themen, die in Ankara brenzlig sind - und dabei geht es nicht nur um Sex und Skandale.

Von Josef Grübl, München

Die Türkei ist schön, weniger schön sind derzeit die Nachrichten aus diesem Land: Ende März trat das Land unter Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan aus der Istanbul-Konvention aus, die Frauen vor Gewalt schützen soll - und begründete das mit homophoben Argumenten. Wenige Tage später düpierte derselbe Mann EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim EU-Gipfel in Ankara, indem er ihr keinen Stuhl anbot ("Sofagate"). Wenn man also nur auf die Staatsregierung schaut, wird man mit Frauenfeindlichkeit und Minderheitenunterdrückung konfrontiert.

Allerdings lässt sich dieses Verhalten nicht verallgemeinern, das Land zeigt sich zum Glück oft genug von anderen Seiten. Zum Beispiel bei den 32. Türkischen Filmtagen, die mit den Kurzfilmprogrammen "Frauenblicke" und "Queer Panorama" sogar einen Fokus auf staatlich scheinbar wenig geschätzte Gesellschaftsgruppen legen.

Zwölf Spiel- und Dokumentarfilme sowie 15 Kurzfilme stehen als Stream bereit

"Wir sehen das schon als Statement", sagt die Orientalistin Margit Lindner vom Münchner Verein Sinematürk, "wir wollen das auch als Botschaft verstanden wissen." Den von türkischen und deutschen Filmenthusiasten gegründeten Verein gibt es seit 1989, seitdem werden einmal im Jahr im Gasteig Filme aus und über die Türkei aufgeführt. Die Ausgabe im vergangenen Jahr musste ausfallen, dieses Mal finden die Filmtage aber wieder statt - als reines Online-Festival. Von Donnerstag, 15. April, an, kann man insgesamt zwölf Spiel- und Dokumentarfilme sowie 15 Kurzfilme auf der Website der Türkischen Filmtage streamen.

Die Organisatorinnen haben kurze Videobotschaften gedreht (auf Deutsch und Türkisch), in denen sie erklären, worum es in den einzelnen Filmen geht. Das ist charmant und erinnert ein wenig an die Programmansagerinnen, die es im Fernsehen schon lange nicht mehr gibt. Auch Videos mit Fragen an die Macher und Macherinnen der Filme stehen bereit. Weitere Aktionen seien nicht geplant, so Lindner, man wolle keinen Event-Charakter kreieren, der sich online ohnehin nur schwer herstellen lasse.

Die Filme sollen im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel die Politsatire "Anons - The Announcement", in der es um einen Staatsstreich und die Rolle des Rundfunks geht. Regisseur Mahmut Fazıl Coşkun hat seine Geschichte zwar im Jahr 1963 angesiedelt, man kann darin aber Anspielungen auf die Jetztzeit erkennen. Zumindest vermittelt der Film ein Gefühl, wie Militär, Medien und Politik in der Türkei funktionieren. Eine auf den ersten Blick private Geschichte erzählt Regisseur und Drehbuchautor Ümit Ünal, der mit seinen Filmen Stammgast bei den Türkischen Filmtagen ist.

Sein jüngstes Werk "Aşk, Büyü, vs. - Love, Spells and All That" ist ein Liebesdrama vor prächtiger Kulisse, gedreht wurde auf der vor Istanbul gelegenen Insel Büyükada. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die vor langer Zeit ein Paar waren und die bei ihrem Wiedersehen nach vielen Jahren feststellen, dass sie immer noch Gefühle füreinander hegen. Es ist also eine lesbische Liebesgeschichte, die es nach den Vorstellungen der derzeitigen türkischen Regierung gar nicht geben sollte, die hier aber ganz leicht und selbstverständlich erzählt wird. Das führt direkt zu den eingangs genannten Kurzfilmprogrammen: Unter dem Titel "Frauenblicke" sind acht Filme zu sehen, der kürzeste ist neun Minuten lang, der längste 24 Minuten. Es geht um Frauenschicksale, Generationskonflikte, häusliche Gewalt oder sexuelles Erwachen.

Der zweite Kurzfilmblock dreht sich um das Thema "Queer Panorama": Es gebe eine aktive LGBTQ-Filmszene in Istanbul, sagt Margit Lindner von Sinematürk, insgesamt sieben Kurzfilme über Schwule, Lesben oder Trans-Menschen werden gezeigt. In "Under The Blanket" etwa geht es um einen Teenager, der auf Männer steht und darum von einem Hodscha therapiert werden soll, die Dokumentation "Scenes I Imagine" dagegen dreht sich um die erwachende feministische Bewegung in der Türkei der Achtzigerjahre.

Die Türkischen Filmtage wollen den Dialog zwischen den Kulturen beleben, doch das ist nicht immer einfach: Früher sei man noch in Verbindung zum Türkischen Generalkonsulat gestanden, erzählt Margit Lindner, heute gebe es keinen Kontakt mehr. Auch ein Publikum mit traditionellen oder konservativen Wertvorstellungen erreiche man kaum. "Aus diesen Kreisen erhalten wir kaum Feedback", sagt die Organisatorin. Aber vielleicht ist die diesjährige Online-Ausgabe des Festivals auch eine Chance, neue Publikumsschichten zu erreichen: Die Hemmschwellen, einen anderen Blick auf die Schönheit der Türkei zu werfen, sind jedenfalls niedriger - genauer gesagt sind die Filme nur wenige Klicks entfernt.

32. Türkische Filmtage , Donnerstag, 15. April, bis Sonntag, 2. Mai, www.tuerkischefilmtage.de

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Quelle:
SZ vom 14.04.2021
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