Kunstaktion in der Maxvorstadt:"Leb wohl, Türkenstraße"

Mit einer Kunstaktion will in der Maxvorstadt der Verein Münchner Forum warnen: vor den Exzessen eines entfesselten und heiß gelaufenen Immobilienmarkts.

Von Katja Gerland, Maxvorstadt

Nichts Ungewöhnliches in der Türkenstraße - so scheint es, wenn man die hippen Läden und Cafés in der Maxvorstadt an diesem Donnerstagvormittag passiert. Studenten trinken ihren Kaffee, manche warten in der Außengastronomie schon darauf, ihre Mägen zu füllen, und andere haben es eilig, an den Ort zu kommen, zu dem sie an diesem Vormittag eben müssen. Und dann springt da doch etwas Ungewohntes ins Auge. Türkise Plakate hängen an den Schanigärten und Schaufenstern der Türkenstraße. Plakate einer bislang unbekannten Partei, die sich in stechendem Orange mit dem Namen "Deutsche-Immobilien-Partei" (DIP) vorstellt und außergewöhnliche Themen bewirbt. Da liest man etwa "Wir entmieten für Sie" auf einem Plakat an den Zäunen eines Schanigartens. Ein Stück weiter ist die Aufschrift "Wertsteigerung geht am besten ohne Menschen" in einem Schaufenster zu sehen. Was hat es damit auf sich?

Kunstaktion in der Maxvorstadt: "Wir entsorgen Denkmalschutz für einen entspannten Abriss", verspricht die "Deutsche-Immobilien-Partei".

"Wir entsorgen Denkmalschutz für einen entspannten Abriss", verspricht die "Deutsche-Immobilien-Partei".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mirko Schütz, der ein weiteres Plakat in der Hand hält, sorgt für Klarheit: "In München herrschen katastrophale Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt, und es wirkt so, als ob es sich in der Türkenstraße häuft." Bernadette Felsch, die ihm Reißzwecken zum Befestigen reicht, sieht es ähnlich: "Das ist hier wie ein Brennglas." Schütz und Felsch sind Teil des Münchner Forums, eines Vereins, der sich schon seit Jahrzehnten in Fragen der Stadtgestaltung engagiert. Aus ihrem Eindruck ist nun die Ausstellung "Leb wohl, Türkenstraße" entstanden, in der sich zwei Arbeitskreise des Münchner Forums, das Junge Forum und der AK "Wer beherrscht die Stadt?", auf satirische Weise von der Straße verabschieden, die laut Schütz immer öfter Schauplatz einer regelrechten "Hypergentrifizierung" ist. Die Deutsche-Immobilien-Partei ist also rein fiktiver Natur, die Wahlslogans müssen mit einem Augenzwinkern gelesen werden, doch die Probleme sind real - das hat vor einigen Jahren auch die Hausgemeinschaft an der Ecke Türken-/Schellingstraße erleben müssen.

Kunstaktion in der Maxvorstadt: Bernadette Felsch, Mirko Schütz, Nina Müller und Bernhard Fischer (von rechts) engagieren sich gegen die Gentrifizierung der Türkenstraße.

Bernadette Felsch, Mirko Schütz, Nina Müller und Bernhard Fischer (von rechts) engagieren sich gegen die Gentrifizierung der Türkenstraße.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ihren Fall hat das Münchner Forum auf einem der Plakate abgebildet: Eine Jugendstil-Treppe aus dem Bilderbuch mit schnörkeligem Treppengeländer und tiefbraunen Holzstufen ist dort zu sehen, die jahrzehntelang das Treppenhaus im Eckgebäude zierte - zumindest bis zum 1. Februar 2018, an dem eine Gruppe von Handwerkern die Treppe aus dem Hausflur riss und durch ein Provisorium ersetzte, das dort bis heute steht. Der damalige Eigentümer, die Omega AG, begründete die Aktion mit Notsicherungsmaßnahmen. Vorangegangen war jedoch eine Anfrage des Landesamts für Denkmalpflege, das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert besichtigen zu wollen. Mitglieder der Hausgemeinschaft vermuten damals wie heute einen Zusammenhang zwischen der Anfrage und dem Treppenabriss. Schließlich hätten die Bauteile, wären sie nach dem Termin in die Denkmalliste aufgenommen worden, den Abriss verhindern oder verzögern können. Inzwischen hat das Haus den Eigentümer gewechselt, und auf den Plakaten wird mit dem Slogan "Wir entsorgen Denkmalschutz für einen entspannten Abriss" auf die Geschichte hingewiesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Münchner Forum mit einer Aktion im öffentlichen Raum auf Probleme in der Stadtentwicklung aufmerksam macht. Seit seiner Gründung im Jahr 1968 positionierte sich der Verein mehrmals deutlich, wenn es um große Bauprojekte ging. Etwa 1976, als das Engagement des Münchner Forums mit dazu beitrug, den Abriss der Seidlvilla zugunsten gewerblicher Neubauten zu verhindern. Auch im Kampf, die Arkaden der Alten Akademie an der Neuhauser Straße zu erhalten, ließ das Münchner Forum nicht locker. Der Investor Signa AG beabsichtigte, die Arkaden teilweise mit Geschäftsflächen zu bebauen. Der Verein zeigte daraufhin anhand von Klebestreifen auf dem Boden und einer Menschenkette auf, wie viel öffentlicher Raum der Arkaden dem Vorhaben weichen müsste. Mittlerweile ist klar: Der vom Stadtrat genehmigte Bebauungsplan folgt zum Großteil den Wünschen der Signa AG.

"Kurz vor der Bundestagswahl ist der richtige Zeitpunkt, um auf das Thema hinzuweisen", sagt Schütz über die aktuelle Kunstaktion des Münchner Forums. Deshalb sei natürlich auch der Protest in Form von fiktiven Wahlplakaten nicht zufällig gewählt. Zwischen den Porträtfotos und Symbolbildern, mit denen sich Münchens Politiker um den Einzug in den Bundestag bewerben, reiht sich die DIP widerspruchslos ein. Lediglich ein Plakat, das mit einem gezeichneten Motiv die Entmietung in der Türkenstraße thematisiert, hebt sich ab. Etliche Strichmännchen sind dort zu sehen - jedes davon stellt einen Mieter dar, der seine Wohnung wegen Vorhaben von Investoren an der Türkenstraße verlassen musste. Einer davon ist Stefan Sasse, der bis vor Kurzem noch die Hausnummer 50 sein Zuhause nannte. Nun ist Sasse nach Haidhausen übergesiedelt, mit dem Thema Türkenstraße hat er aber noch nicht abgeschlossen: "Ich will mich weiter in der Maxvorstadt beteiligen", sagt er. So auch bei der Kunstaktion des Münchner Forums, für die er ein ganz spezifisches Ziel vor Augen hatte: Das "irre komplexe Thema", wie er die Vorfälle in der Türkenstraße zusammenfasst, zu vereinfachen. Das Ergebnis ist auf einem der Plakate zu sehen: Aus seiner Feder stammt das Strichmännchen-Motiv.

Bis zum 27. August hängen die Plakate des Münchner Forums noch in der Türkenstraße. Dann sind die Schaufenster wieder anderweitig dekoriert, die Schanigärten nicht mehr Teil der Kunstaktion. Zurück bleibt dann, so hofft es zumindest Sasse, ein geschärftes Bewusstsein in der Nachbarschaft und darüber hinaus. Denn dass sich die Investoren künftig von der Türkenstraße fernhalten, bezweifelt er. Ganz im Gegenteil, Sasse ist sich sicher: "Wir müssen die Leute vorwarnen."

Weitere Informationen sind im Internet unter www.deutsche-immobilien-partei.de zu finden.

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Türkenstrasse 50

SZ PlusWohnen in München
:Der letzte Mieter

25 Jahre lang hat Stefan Sasse in der Türkenstraße 50 in München gewohnt. Dann wurde ihm gesagt: Bitte ausziehen, der Eigentümer hat Großes vor. Was macht man da? Chronik einer Gentrifizierung.

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