Wer hätte das gedacht? Aus der TU kommt der Aufruf: "Make Munich Weird!" Moment. War die Technische Universität nicht gerade noch der Hort all jener, die sich strenge Wissenschafts- und Mathematik-Gläubigkeit auf die Fahnen geschrieben hatten? Die früher bestenfalls ein bisschen amüsiert lächelten, über das, was sich etwa in Schwabing tat - also leicht nördlich der eh schon leicht dubiosen Kollegen von der geisteswissenschaftlichen LMU? Wenn die TUM-ler schon sagen, München sei zu wenig spinnert, zu wenig seltsam, zu wenig schräg - so könnte man das englische "weird" ja wohl am besten übersetzen - ist das nun das ultimative Alarmzeichen? Oder ist sie jetzt wirklich da, die ganz große gesellschaftliche Umwälzung?
Auf der Technologiekonferenz "1E9" im Deutschen Museum hat Christos Chantzaras seine These vorgestellt, nach der München mehr "Weirdness" braucht, um in Zukunft zu bestehen. Er selbst hat zwei Diplome als Architekt und Kaufmann und forscht und unterrichtet an der TU am Lehrstuhl für Architekturinformatiker. Zu den Leuten, mit denen Chantzaras interdisziplinär zusammenarbeitet, gehören die Professorin für Strategie und Organisation Isabell Welpe und der Spezialist für Stadt- und Metropolen-Entwicklung Alain Thierstein.
Alternative Kultur:Sechs spannende Münchner Zwischennutzungen
Kunst im früheren Schuhhaus, Bücher im Rathaus und ein Pop-Up-Restaurant im Café: Die Beispiele zeigen, wie kreativ man mit Flächenmangel umgehen kann.
Als gemeinsamen Ansatz teilen sie: München müsse sich endlich lösen von seiner "sozialromantischen Vorstellung von Kreativität". Hierzulande denke man beispielsweise beim Wort "Kreativquartier" immer noch vornehmlich an freie Tanzgruppen, Künstlerateliers und Töpferkurse. Leute wie er denken unterdessen ans Silicon Valley. Oder besser, sie denken an schöpferische Programmierer, Designer und Ingenieure mit Erfindergeist. Und am besten an solche, die es gerade nicht ins Silicon Valley zieht, sondern die Lust darauf haben, in München etwas Eigenes aufzubauen, etwas, das dem Spirit, der überm großen Teich derzeit herrscht, kritisch gegenüber steht.
Einer der Mitdenker von Christos Chantzaras ist Max Haarich, er kommt aus dem Gründungszentrum an der TU München und monierte nicht nur dort, dass es zu oft nur um Technik um der Technik Willen gehe. Er ist mittlerweile Botschafter des utopistischen "Užupis" und vertritt die Künstler-Republik mit einem Sitz im Kreativquartier an der Dachauer Straße. Haarich ist sich jedenfalls sicher: "Was fehlt, damit Künstliche Intelligenz das Allgemeinwohl fördert und auch so wahrgenommen wird, sind Kunst und Kultur." Denn beides ermögliche es erst, den technologischen Fortschritt in einen gesellschaftlichen Fortschritt zu verwandeln. "Kunst und Kultur sind das Immunsystem unserer Gesellschaft", sagt er. Dieses Immunsystem sei in der Geschichte schon öfter zum Einsatz gekommen. "Den radikalen Umwälzungen der Industrialisierung folgte die globale Arts-and-Crafts-Bewegung, die der Technologie wieder menschliche Züge verlieh", nennt Haarich als Beispiel.
Damit die vielen jungen Köpfe der kreativen Tech-Szene auch mit den Künsten in Berührung kommen können, fordern Chantzaras und Co. vom Baureferat, den genehmigungsrechtlichen Rahmen zu schaffen für mehr Zwischennutzungen, Pop-up Labs, neue Werkstätten und Co-Working Spaces. Konsequent gedacht, müsse sich ohnehin die gesamte Stadt auf die nötige "räumliche Transformation" vorbereiten, die mit der "digitalen Transformation" einhergeht. Schließlich würden viele Räume in Zukunft nur noch für einzelne Projekte, also temporär benötigt. Deshalb müssten sie schon im Sinne der Nachhaltigkeit so anpassungsfähig wie möglich gestaltet werden.
"Wir können nicht immer neu bauen. Gebäude und gebaute Strukturen verbrauchen rund 60 Prozent der weltweit erzeugten Energie, und 30 bis 40 Prozent unserer weltweiten Ressourcen", sagt Chantzaras. Politiker und Institutionen könnten bei diesem Prozess allein jedoch gar nichts bewirken. Er ruft auch die eigene Crowd dazu auf, aus der München-immanenten Komfortzone zu treten und sich nicht einlullen zu lassen von dessen Wohlstand und der Biergartenseligkeit "Bei all der Euphorie des Startens, Entwickelns und Disruptierens" müssten sie sich selbst fragen lassen, "hört dies an der Tür des eigenen Start-ups auf, um 16 Uhr, bevor wir in die Berge fahren oder uns an die Isar legen?"
Als alteingesessener Münchner möchte man den Disruptoren von heute freilich zurufen: Im Sinne der Weirdness gibt es in München jede Menge Möglichkeiten an bereits existierende Weirdness anzuknüpfen. Was etwa könnte seltsamer sein, als rituell für zwei Wochen im Jahr in Lederhose verkleidet in Zelten zu sitzen und sich literweise Gerstenderivate in den Hals zu schütten? Wer dachte schräger als Karl Valentin, der wusste: "Früher war sogar die Zukunft besser"? Was ist spinnerter als die Aktion eines modernen Fitzcarraldo (namens Daniel Hahn), der einen alten Ammersee-Ausflugsdampfer auf eine stillgelegte Eisenbahnbrücke hieven ließ, um dort eine Party-Location einzurichten. Bleibt also am Ball, ihr Architekten der einzustürzenden Neubauten. Weird scho!