Süddeutsche Zeitung

15 Jahre nach dem Tsunami:Batticaloa, auferstanden aus Ruinen

Vor 15 Jahren verwüstete ein Tsunami viele Küsten des Indischen Ozeans. Hunderttausende starben, die Hilfsbereitschaft war enorm. Ein Besuch bei einem Münchner Hilfsprojekt im Osten Sri Lankas.

Von Monika Maier-Albang

Sie stellen sich auf für das Foto, immer. So kennen sie das hier aus der Zeitung, wenn Ehrungen ausgesprochen oder Honoratioren abgebildet werden: ernst blicken, Haltung annehmen. Und so stehen Sumithira Jeyakanthan und ihr Mann nun also sehr aufrecht und ein bisschen schüchtern vor ihrem Haus. Es hat ein helles Meeresblau an der Front, wo die Wäsche zum Trocknen unterm Vordach hängt und ist quietschgrün an den Seiten. So haben sie es gestrichen, das Haus Nummer eins der Munich Colony, das erste gleich rechts am Mayor Monatzeder Square in Batticaloa, Sri Lanka.

Vor 15 Jahren ist die Idee zur Munich Colony entstanden. Gleich nach dem Tsunami, der am 26. Dezember 2004 viele Küstenstreifen des Indischen Ozeans verwüstete, war eine Delegation aus München in den Osten Sri Lankas gereist. Initiator war Hep Monatzeder, seinerzeit dritter Bürgermeister. Er kannte Batticaloa bereits von einem Brunnen-Projekt, das die Stadt München dort begonnen hatte. Nun, nach den Verheerungen, wollte man Soforthilfe leisten.

Mehr als 2000 Menschen aus Batticaloa waren tot oder wurden vermisst und auch später nie gefunden. Straßen, Brücken, Schulen, Tempel - alles, was in Ufernähe stand, lag in Trümmern. 6500 Menschen hatten sich vor der Flutwelle retten können, aber alles verloren. Sie lebten in Flüchtlingslagern, teilten sich Zelte und Essen mit jenen, die aus dem Norden der Insel vor der Terrorherrschaft der Tamil Tigers geflohen waren. 2004 lag das vor allem von Tamilen bewohnte Batticaloa unweit der Frontlinie, von der aus das singhalesische Militär gegen die LTTE kämpfte.

Der Bürgerkrieg ist erst seit 2009 beendet. Und Sumithira Jeyakanthan, die 14 Jahre alt war, als der Tsunami ihre Familie wegspülte, hat heute selbst eine kleine Tochter. Ihre Mutter, ihr Vater, ein Bruder, eine Schwester waren in den Fluten ums Leben gekommen. Sumithira Jeyakanthan hatte ihre beiden Brüder retten können - der eine sieben, der andere elf. Die drei Kinder bekamen das erste von 85 Grundstücken zugewiesen, aus denen die Munich Colony heute besteht.

Die Siedlung wurde sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernt im Hinterland gebaut - zurück an den Strand, auf ihre ehemaligen Grundstücke, konnten die Menschen nicht. Die sri-lankische Regierung hatte schon kurz nach dem Tsunami eine Schutzzonen-Regelung erlassen; gefährdete Bereiche direkt an der Küste dürfen bis heute nicht wieder bebaut werden. Was im Prinzip auch eingehalten wird - außer von Hotelketten mit guten Beziehungen.

Die Fundamente für die Munich Colony errichtete eine Baufirma - sie haben nach all den Jahren keine Risse, was bei den sandigen, zur Monsunzeit überfluteten Böden hier nicht selbstverständlich ist. Beim Bau der Häuser mussten die späteren Bewohner mit anpacken. Man wollte die Gebäude nicht einfach fertig hinstellen. Die Menschen sollten eine Beziehung zu ihrem künftigen Zuhause aufbauen, es wertschätzen. Die Stadtverwaltung wählte aus den vielen Hilfsbedürftigen vor allem "women headed families" aus - Mütter, deren Männer, Fischer zumeist, gestorben waren und die nun ohne Einkommen dastanden.

Die Räume im Haus sind klein, aber "wunderschön, wir sind sehr glücklich"

Den drei Kindern halfen Verwandte und ehemalige Nachbarn beim Bau des Hauses. Nun, 15 Jahre nach dem Tsunami, führt Sumithira Jeyakanthan ihre Gäste hindurch. Hinter dem Eingang liegt ein Raum, von dem aus man ins Schlafzimmer kommt; dort schläft ihre Einjährige gerade unter dem Moskitonetz; sie hat Fieber, so wie auch ihr Mann. Wenn im Dezember der Monsun über den Osten der Insel fegt, holen sich viele Menschen eine Erkältung. Im Haus gibt es eine kleine Küche und das Klo. Ein weiteres Zimmer nutzt die Familie als Abstellraum und für den Hausaltar. Die Räume sind klein, aber für hiesige Verhältnisse sind die Häuser, von denen jedes um die 5000 Euro gekostet hat, mehr als solide. "Es ist wunderschön, wir sind sehr glücklich", sagt Jeyakanthan. Die Grundschule, deren Besuch in Sri Lanka kostenfrei ist, liegt ums Eck. Man ist an die Wasserleitung angeschlossen. Und ein Bus fährt in die Stadt; wobei sie meist das Fahrrad nehme, erzählt Jeyakanthan.

Die Kokospalmen, gepflanzt nach dem Einzug, überragen längst das Dach. Überall in der Siedlung haben die Bewohner Gärten angelegt, im feuchtwarmen Klima wuchern Bananenstauden, Cashew- und Pferderettichbäume, deren Schoten man essen kann. Viele Zäune sind aus dem harten Kern der Palmwedel gemacht - das ist haltbar und günstig, die Bäume wachsen ja vor der Haustür. Jedes Haus hat eine individuelle Farbkombination, in den meisten leben acht, neun Menschen - zur Not finden auch noch der jüngere Bruder des Ehemanns und die alleinstehende Tante einen Platz auf der Matratze. "Die Leute halten die Häuser in Schuss", sagt Babu V. Pretheepan, ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung, spürbar stolz, weil der Plan der Eigenverantwortlichkeit aufgegangen ist.

Rund 1,7 Millionen Euro Aufbauhilfe gingen in den Jahren nach dem Tsunami nach Batticaloa und in angrenzende Ortschaften. Geld, das auch die Leser der Süddeutschen Zeitung gespendet haben, die das Projekt "Hilfe für Batticaloa" seinerzeit unterstützte. 700 000 Euro Spenden gingen auf das Konto ein, erinnert sich Hep Monatzeder. Die Stadtsparkasse verdoppelte den Betrag und auch die Stadt Nürnberg spendete zu. So entstand in Batticaloa nicht nur die Munich Colony.

Vier Brückenübergänge, die am Rand der Lagunenstadt weggespült worden waren, wurden mit dem Geld erneuert, die Läden auf einem Marktplatz instand gesetzt. Fischer bekamen neue Boote, die Stadtverwaltung vier Fahrzeuge: einen Bagger, mit dessen Hilfe man erst einmal den Schutt wegräumen konnte, einen Jeep und zwei Laster. Alle Fahrzeuge stehen noch heute auf dem Autohof der Kommune, sie werden gut gepflegt und mit Ersatzteilen versorgt.

Der Jeep, den die Stadtverwaltung nutzt, hat 321 000 Kilometer auf dem Tacho. Die hier gängigen, aus Indien importierten Tata-Laster sind bis heute im Straßenbau im Einsatz. Und wer die große Brücke über die Lagune passiert, kommt am - schon etwas verblichenen - Schild mit der Aufschrift Munich-Victoria-Friendship-Road vorbei.

Die Region um "Batti", wie die Einheimischen ihre Stadt nennen, ist auch zehn Jahre nach Kriegsende die ärmste der Insel. 300 000 Menschen leben in der Region; viele suchen Arbeit in den Emiraten, die Männer auf dem Bau, die Frauen als Hausmädchen. Nicht wenige von ihnen, so berichtet Tharshini Ravindran von der in Batticaloa ansässigen Hilfsorganisation Women in Need, kommen zurück, geschwängert von ihrem Master. Zwar versorgt die "schlammige Lagune", von der die Stadt ihren Namen erhielt, die Menschen mit handtellergroßen Krabben und unzähligen Fischarten. Doch es gibt hier weder Industrie noch Tourismus.

Etwas weiter nördlich, bei Passikudah, stehen an einer palmengesäumten Bucht einige Hotels, aber auch sie sind momentan "dry", leer also. Nach den islamistischen Anschlägen vom Ostersonntag kehren die Urlauber nur zögerlich auf die Insel zurück. Batticaloa aber hat außer der Legende vom "singenden Fisch", der nur bei Vollmondnächten zu hören sein soll, dem weißen Clock Tower an der Hauptkreuzung (einem Vermächtnis der Briten) und einer verfallenen niederländischen Festungsanlage aus dem 17. Jahrhundert ohnehin nichts, womit man Touristen locken könnte. Der Bürgermeister der Stadt, T. Saravanapavan, ist seit zwei Jahren im Amt. Seine touristischen Pläne hängen hinter seinem Schreibtisch: ein schwimmender Markt, Menschen, die auf Elefanten reiten, eine Seilbahn, ein Wasserpark. Was das Internet an Bildern halt so hergibt. Investoren sucht er bislang vergeblich. Aber vom kommenden Jahr an immerhin soll es von Batticaloa aus eine Flugverbindung in den Süden Indiens geben. Also hofft man nun auf indische Touristen.

Die terroristischen Anschläge vom Ostersonntag haben die Menschen in Batticaloa geschockt. Die Attentäter, die aus dem Nachbarort Kattankudy stammten, hatten Hotels und Kirchen auf der Insel ausgewählt. In Batticaloa traf es die Zions-Gemeinde, eine evangelikale Freikirche. Der Anschlag, so zeigten Videoaufnahmen, sollte eigentlich die Gläubigen in der katholischen St. Mary's Kathedrale treffen. Als der Attentäter dort ankam, war der Gottesdienst schon vorbei. Also fragte er Passanten nach der nächstliegenden Kirche - und ging, mit seinem Sprengsatz im Rucksack, eine Straße weiter zur Zions-Kirche.

"Wir hätten nie mit so etwas gerechnet", sagt Babu V. Pretheepan, der vor 15 Jahren das Münchner Hilfsprojekt mit koordinierte und heute Chef der Feuerwehr in Batticaloa ist. "Zehn Jahre lang hatten wir keine Explosionen mehr gehört, hatten wir in Frieden gelebt." Als er mit seinen Leuten an der Kirche eintraf, stand dort alles in Flammen. "Wir dachten zunächst, dass der Generator explodiert ist." Sie hätten die Schreie der Menschen gehört, die unter den Trümmern eingeschlossen waren, mussten sich aber erst eine Schneise bahnen durch die brennenden Motorräder, die die schmale Einfahrt blockierten. Dann standen sie da, vor einer Wand aus Feuer.

Die Feuerwehr der Stadt gibt es erst seit 2007 - 14 Mann, drei Autos, keine Schutzkleidung. Die Männer haben weder Helme, noch geeignete Schuhe, noch Anzüge. Einer seiner Männer habe einfach einen Schlauch ergriffen und sei durchs Feuer in die Kirche gelaufen, erzählt Pretheepan. 31 Menschen starben in Batticaloa, 83 Familien haben Verletzte zu beklagen. Man habe nach den Anschlägen viel Hilfe und Anteilnahme erfahren, sagt die Frau des Pastors, Michelle Mahesan - auch von den muslimischen Nachbarn, mit denen man eigentlich gut zurechtkomme.

Feuerwehr-Chef Pretheepan jedenfalls hofft, dass er nie wieder in so eine Lage gerät. Und er fragt, ob im kalten, fernen Deutschland nicht vielleicht ein paar ausrangierte Feuerwehranzüge liegen, mit denen er seine Mannschaft aufrüsten könnte. Man würde sie hier in Ehren halten, so wie die Autos. Das einzige, das aus München kam und nicht mehr benutzt wird, ist ein USB-Stick, von dem Pretheepan erzählt. "Der erste, den wir hier hatten. 256 Megabytes. Damals der größte, den es gab."

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Quelle:
SZ vom 27.12.2019/berj/infu
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