Abgeschoben ins Heim:"Sie wusste nicht, dass sie in Tschechien ist"

Lesezeit: 3 Min.

Das Gerichtsgebäude für das Amtsgericht, das Landgericht I und II in München. (Foto: dpa)

Nach dem Urlaub holen wir dich wieder: Mit diesem Versprechen lockt ein Münchner seine greise Mutter in ein billiges Pflegeheim ins Ausland - und lässt sie einfach dort, wie in einem Gefängnis. Nun wurde er wegen Freiheitsberaubung verurteilt.

Von Susi Wimmer

Sieben Monate lang kauerte Gerda W. (Name geändert) mit offenen Wunden und Hämatomen am Rücken weggesperrt in einem Seniorenheim in Tschechien und wartete. Nämlich darauf, dass ihr Sohn und seine Frau sie nach ihrem Urlaub abholen würden. In Wahrheit hatte der 67-Jährige seine 92 Jahre alte Mutter ohne ihr Einverständnis und auch gegen das Gesetz in das Billigheim abgeschoben und lebte mittlerweile in der Münchner Wohnung der Seniorin - und von ihrer Rente. Dank engagierter Menschen konnte die Frau gerettet werden. Jetzt verurteilte das Amtsgericht München den Sohn und seine Ehefrau wegen Freiheitsberaubung zu je einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung.

"Grauenvoll", sagt Rechtsanwältin Michaela Böhnlein zu der Geschichte, und: "einfach gruselig". Die Anwältin war als Berufsbetreuerin in dem Fall bestellt worden. "Ich war so schockiert, dass ich mich selbst auf den Weg nach Tschechien gemacht - und eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe." Aber man muss die Geschichte von vorne erzählen.

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Bereits Ende 2018 gaben der Sohn und seine erwerbsunfähige Ehefrau, 56 Jahre alt, die Seniorin in eine Klinik. Sie habe Probleme aufgrund ihrer Demenz. Es ging um Diagnostik und das weitere Vorgehen. Die alte Dame wurde nach Hause entlassen, und wenige Wochen später wieder in die Klinik gebracht. Sie lasse sich nicht versorgen, erklärte die Schwiegertochter, die als vorläufige Betreuerin bestellt worden war. Wie Michaela Böhnlein erzählt, habe man im Krankenhaus die 92-Jährige aber als so fit erachtet, dass sie zu Hause bleiben und von einem ambulanten Pflegedienst versorgt werden könne. "Man hat der Schwiegertochter auch Unterstützung angeboten. Aber die hat sie abgelehnt", erzählt die Anwältin.

Im Januar 2019, so stellte das Amtsgericht fest, holten der Sohn und seine Frau die Seniorin aus der Klinik ab und fuhren sie in ein Seniorenheim nach Tschechien. Sie erklärten der Frau, man werde sie nach dem Urlaub wieder abholen. Dann fuhr das Ehepaar zurück nach München und machte sich in der Wohnung der alten Dame in der Blumenau breit.

Da die Justiz auch weiterhin die vorläufige Betreuung begleitete, hakte eine Verfahrenspflegerin immer wieder nach, weil die Seniorin zu den anberaumten Terminen nicht erschien. "Nach und nach kam raus, dass man die Frau nach Tschechien gebracht hatte", erzählt Böhnlein. In ein abgesperrtes Heim, das die Senioren nicht verlassen konnten. "Solch eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung darf nur ein Gericht verfügen", sagt die Anwältin. Auch die zuständige Richterin war damit alles andere als einverstanden. Der Sohn selbst, so stellte sich im Prozess heraus, hatte das Heim bei der Justiz als "supertoll" angepriesen. Michaela Böhnlein wurde als Berufsbetreuerin eingesetzt, und zusammen mit der Verfahrenspflegerin beschloss sie im August 2019, nach Tschechien zu reisen.

Etliche deutsche Senioren eingesperrt

"Die Menschen dort sind eingesperrt, wie es schlimmer nicht sein kann", erzählt die Anwältin. Sie fanden die Münchnerin in einem Dreibett-Zimmer, "einem gruseligen, dunklen Loch". Ohne persönliche Habe, ohne Zahnbürste, ohne Handtuch, ohne Schuhe. Die Frau hatte sehr fettige Haare, trug dreckige Kleidung und klebrige Unterwäsche. "Sie wusste nicht, dass sie in Tschechien ist." Die Verfahrenspflegerin erzählte vor Gericht, die 92-Jährige sei sofort in Tränen ausgebrochen. Sie warte ja schon so lange auf ihren Sohn, der versprochen habe, sie abzuholen. "Sie hat uns nicht mehr losgelassen und konnte ihr Glück kaum fassen."

In dem Heim, so sagt Michaela Böhnlein, waren etliche deutsche Senioren eingesperrt. Vom Personal habe keiner Deutsch gesprochen. "Die Bettnachbarin unserer Seniorin hat mich weinend gepackt und gefleht, wir sollten sie doch auch mit nach München nehmen." In der Verwaltung habe man ihnen erklärt, die Seniorin habe keinerlei persönliche Gegenstände. Auf Socken sei ihnen die 92-Jährige zum Auto gefolgt. Auf der Heimfahrt, als die alte Dame bei der Toilette Hilfe benötigte, hätten sie drei tennisballgroße Hämatome am Rücken gesehen sowie eine massive offene Wunde. Diese Heime, sagt die Rechtsanwältin, seien halt billig: Während man in Deutschland 3000 bis 4000 Euro pro Monat bezahlen muss, kostet ein Heim in Tschechien gerade mal 900. So lange ein Betreuer bestellt ist, kann das Gericht prüfen und überwachen. "Aber wenn der Angehörige als Bevollmächtigter agiert, kann niemand mehr eingreifen."

In diesem Fall gab es ein Happy End. Die 92-Jährige lebt jetzt in einem Pflegeheim in München, "sie hat sich gut erholt", freut sich die Anwältin. Sie habe ein Hörgerät erhalten und eine Brille, beteilige sich am Heimleben und besuche regelmäßig die Musikgruppe. Nur, dass sie ihr Sohn besucht, darauf wartet sie vergeblich. Vor Gericht sagte ein Polizist, dass sich die Frau nicht einmal über die Zustände in dem Heim in Tschechien beklagt habe. Und sie habe ihren Sohn immer noch in Schutz genommen.

Zugunsten der Angeklagten wertete die Richterin ein umfassendes Geständnis. Die beiden Verurteilten verzichteten auf eine Berufung, das Urteil ist laut Sprecher Klaus Peter Jüngst rechtskräftig (Az 820 Ls 275 Js 118454/20).

© SZ vom 21.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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