"Fahren sie weg", brüllt ein Bauarbeiter den Busfahrer an. Herbert G., 35, ist völlig überrascht. "Es ist rot", gibt er dem aufgebrachten Mann zurück. Und der schreit: "Egal, hier bricht gleich alles ein." G. benachrichtigt noch die Leitstelle und fährt dann an.
Zu spät: Sein Linienbus, Nummer 192 und vom Max-Weber-Platz kommend, versinkt am Truderinger Bahnhof im Boden. Unter dem Fahrzeug öffnet sich an diesem 20. September 1994 ein Krater, zunächst zehn mal zehn Meter groß. Und von Minute zu Minute wird er größer. Drei Menschen reißt er in den Tod, 34 werden teils schwer verletzt.
Das Busunglück von Trudering löste eine gefahrvolle Wühlarbeit im Untergrund aus. Beim Bau der U-Bahnlinie 2 machen sich "nicht erkannte und nicht erkundbare Sandrisse in der wasserundurchdringlichen Mergelschicht" bemerkbar, wie es später im Gutachten zu dem Unfall heißen wird. Das Grundwasser dringt durch ein armdickes Loch durch die Tonschicht in den U-Bahntunnel.
Oben Asphalt, dann eine wasserführende Kiesschicht, dann die durch Sand undichte Tonschicht - und schließlich der Tunnel. Wie in einem Strudel wird die Oberfläche nach unten gezogen. Ein Wasser-Kies-Gemisch säuft ab, und mit ihm der Bus.
Drei Arbeiter im Tunnel sehen die Katastrophe noch herannahen und laufen an die Oberfläche, um die Busfahrer zu warnen. Zwei Chauffeure kommen noch weg von der Stelle. Herbert G. nicht. Der Busfahrer drückt, als der Boden nachzugeben beginnt, noch schnell auf den Knopf. Die Türen öffnen sich, Fahrgäste stürzen hinaus.
Derweil hastet der Fahrer nach hinten. Um zu sehen, ob er noch Leute retten kann. Mitten im Gang steht er, als der Bus kippt. G. wird nach hinten geschleudert und verletzt. Mit einem Seil birgt ihn die Feuerwehr und bringt in ins Krankenhaus.
Inzwischen sind die Taucher auf der Suche nach Opfern in dem gefährlichen Strudel. Die 43-jährige Grafikerin Mirra F. können sie nur leblos bergen. Nicht gefunden werden über Monate hinweg die Leichen des österreichischen Maurers Johan P., 29, der den Busfahrer noch warnen wollte, und die des Volkswirts Kay K., 27, der im rückwärtigen Teil des Busses gesessen hatte.
Sie sind schier "einbetoniert", wie Suchmannschaften berichten. Fünf Millionen Mark kostet die Bergung der Männer. Doch "es geht um die Pietät", wie es in der Begründung heißt.
Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein - und schließt nach viereinhalb Jahren die Akten. Die Ermittlungen gegen drei Bauleiter und drei Poliere des U-Bahn-Projektes werden eingestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt klagte vor allem die Boulevardpresse an: "Todeskrater: Gesichert war nur das Chaos", einer der Verantwortlichen sei zum Unfallzeitpunkt auf der Wiesn gewesen.
Die Beschuldigten werden letztlich von einem Gutachter entlastet: Das Phänomen der Sandrisse (in der Tonschicht) sei bisher nie in vergleichbaren Fällen aufgetreten. Zwar hat es Probebohrungen auch an der Unglückstelle vor Beginn des Tunnelbaus gegeben, um das Erdreich zu erkunden. Doch wäre es wie der in diesen Fällen gerne genannte Sechser im Lotto gewesen, hätten die Bohrungen einen Sandriss getroffen. Diese verliefen nämlich an der Baustelle senkrecht und nicht waagrecht - und waren deshalb nicht zu orten.