Deutschland gegen England in der Münchner Arena. Solche Fußballspiele sind für mich ein wahres Fest. Und natürlich stehe ich im Stadion zwischen den deutschen Fans und trage mein weißes Trikot mit dem Adler auf der Brust. Wobei: So natürlich ist das eigentlich nicht. Weil ich mir nie hätte vorstellen können, einmal das Nationaltrikot zu tragen.
Ich habe kein syrisches Nationaltrikot getragen, niemals. Wer jubelt Nationalfarben zu, die für Krieg stehen? Seit in Syrien Krieg herrschte, hatte ich mich dort nicht mehr um den Fußball und seine Vertreter gekümmert. Weil alles zusammen wie ein großer Klub von Präsident Bashar al-Assad ist. Mehr als die Hälfte der Syrer mögen diesen Klub nicht.

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Also schaute ich mich nach Alternativen um. Als ich klein war, habe ich mich gefragt, warum die deutsche Nationalmannschaft ein weißes Trikot trägt, das schnell schmutzig wird. Warum tragen sie nicht blau, gelb oder rot? Der Torwart, Oliver Kahn, machte es richtig. Er wälzte sich besonders häufig auf dem Boden, kassierte deswegen so gut wie nie ein Tor und trug klugerweise niemals weiß. Der Spieler Kahn wurde zu meinem Idol.
Als der Krieg in Syrien immer mehr wütete und meine Rolle immer problematischer wurde, entschied ich mich zur Flucht. Deutschland war mein Ziel, weil ich viel Gutes über das Land gehört und gelesen hatte. Das dort die Dinge nicht so schwarz-weiß gesehen würden, wie anderswo. Außer, wenn es um das Trikot der Nationalmannschaft ging.
Im Trikot von Syrien und auf Fan-Shirts ist bisweilen das Gesicht von Assad aufgedruckt. Bis heute fällt es mir schwer, zu begreifen, wie man sich so ein Kleidungsstück anziehen und darin Fußball spielen - oder den Fußballspielenden zujubeln kann.
Dann lieber den Adler im Ring auf der Brust mit den vier Sternen darüber. Gut, der Adler hängt auch im Bundestag und ist nicht völlig frei von politischer Bedeutung - aber er ergreift nicht Partei und steht nicht für Krieg und Verderben. Zudem kommt er auf dem deutschen Trikot im Geleit von vier Sternen, die nicht für politische Erfolge stehen - sondern für die vier Fußball-Weltmeistertitel der Deutschen.
Viele meiner Bekannten, die mich auf meinen Bildern auf Facebook gesehen haben, während ich das deutsche Trikot trug, haben mich kritisiert und mir gesagt, dass dies nicht das Trikot meines Landes sei. Doch Leute, ist es. Das ist mein neues Land, das mir Halt und Sicherheit gegeben hat, und ich unterstütze eine Nationalmannschaft, die deutlich repräsentativer für die Gesellschaft ist, als die in Syrien es unter diesen Verhältnissen je sein wird.
Wenn ich heute ein Spiel von Deutschland sehe, ist es zur Gewohnheit geworden, dass ich das deutsche Trikot trage. Wenn ich nicht damit im Stadion stehe, wie beim 1:1 gegen England (völlig unverdient der Ausgleich der Briten kurz vor Schluss), sitze ich in Münchner Sportbars und schaue mir die Spiele an. Am Samstag gegen Ungarn ist es wieder soweit. Manchmal klopfe ich dann auf den Tisch, wenn die Deutschen eine Chance haben. Und wenn sie ein Tor schießen, springe ich auf und freue mich wie ein Wilder, so dass es meiner Frau unangenehm wäre. Wären da nicht die Leute um uns herum, die genau das gleiche tun.