Süddeutsche Zeitung

Initiative "treibgut":Ein Baumarkt für Kulturschaffende

Lesezeit: 4 min

Die Initiative "treibgut" sammelt alte Theaterkulissen, Festivaldeko und Bühnenaufbauten und gibt sie für wenig Geld weiter. Vielen Künstlern in München ermöglicht sie so erst ihre Arbeit - und einkaufen kann dort jeder, der günstige Materialen benötigt.

Von Laura Kaufmann

Sebastian Blanz gerät ins Schwärmen, wenn er durch das Lager im Kreativquartier an der Schwere-Reiter-Straße führt. "Eine solche Platte kostet locker 500 Euro. Die sehen schick aus, lassen sich biegen, damit kann man alles machen - und die wären im Müll gelandet", sagt er und zeigt auf eine vier Meter lange, verspiegelte Alu-Dibond-Platte, die neben einem Schwerlastregal voller Latten lehnt. Die Platten, von denen mittlerweile nur noch eine übrig ist, landeten statt auf dem Müll im Lager der Initiative "treibgut". Und fanden über diesen Umweg von "Van Gogh Alive", der laut Eigenaussage "besucherstärksten Multimedia-Ausstellung der Welt", zu einer Show von "broke today", einem jungen Münchner Künstlerkollektiv.

Und genau das ist der nachhaltige Gedanke hinter "treibgut": Sie sammeln gebrauchte Theaterrequisiten, Festivaldekorationen, Ausstellungsstaffage von großen Kulturinstitutionen ein und geben sie für kleines Geld weiter. Ein Gewinn für die Umwelt und ein Gewinn für Künstler oder Veranstalter, die so Kosten sparen können.

"In jedem Theater oder Atelier wird im Keller Material gehortet, von dem man denkt, man braucht es irgendwann wieder. Und irgendwann landet es doch auf dem Müll", sagt Boris Maximowitz, selbst eigentlich Bildhauer. 2015 kam er mit seinem Mitbewohner Jonaid Khodabakhshi, Veranstaltungstechniker, auf die Idee von einem gemeinsamen Fundus für alle. Das Projekt wurde von den Kammerspielen unterstützt und bald auch vom Kulturreferat, indem es das Lager im Kreativquartier zur Verfügung stellte. Umweltingenieur Sebastian Blanz und Industriedesigner Florian Gnauck stießen später dazu. Und die ursprünglich fünfte im Bunde, Szenografin Lisa Geller, hat nun nebenan die ergänzende Initiative "treibstoff" gegründet; nach dem gleichen Prinzip, nur für Kostüme.

Die Idee der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft hatte wie gehofft Potenzial, wuchs und wuchs. Heute gibt es bei "treibgut" zwei Tage die Woche, an denen Interessierte vorbeikommen, nachschauen, was im Lager ist, und sich von der Crew beraten lassen können. Die aktuelle Inventarliste ist im Kopf der Betreiber, die außerdem Erfahrung im Veranstaltungsbau haben und Rat zu Konstruktion, Statik und einer nachhaltigen Herangehensweise im Hinblick auf eine spätere Weiterverwertung geben können. "Wir versuchen mitzudenken, was derjenige brauchen könnte", sagt Maximowitz.

Mit dem wachsenden Erfolg wird die Initiative zeitintensiver und raumgreifender, und die Betreiber arbeiten auf Hochtouren daran, dass sie ihnen nicht über den Kopf wächst. Bislang konnten sie sich neben ihrer noch ehrenamtlichen Tätigkeit für "treibgut" mit Gelegenheitsengagements und Teilzeitjobs über Wasser halten, "mittlerweile sind wir nah an Vollzeit", sagt Boris. Und mittelfristig brauchen sie Unterstützung. "Unser Anspruch ist natürlich, Aushilfen auch bezahlen zu können", sagt Florian Gnauck. Anträge für die dringend nötigen Förderungen laufen.

Interesse am Fortbestehen der Initiative sollte die Stadt haben: "treibgut" könnte ein Baustein sein, München zur "Zero Waste City" zu machen - vor ein paar Monaten erst hat die Stadt einen Antrag gestellt, dem "Zero Waste Europe"-Netzwerk beizutreten. Bis 2035 will die Stadt klimaneutral sein. Sie muss also Strategien entwickeln, langfristig mehr Müll zu vermeiden und Ressourcen wiederzuverwerten.

Ein weiterer Baustein der Finanzierung ist die Übernahmegebühr, die größere kulturelle Institutionen an "treibgut" zahlen. Schließlich müssten sie anderenfalls auch Entsorgungskosten entrichten. In Zukunft sollen den Institutionen dafür Co₂-Zertifikate ausgestellt werden können, mit denen sie ihrerseits wiederum bei Förderungen punkten.

Manche Requisiten muss "treibgut" allerdings ablehnen

Regelmäßig muss "treibgut" aber Angebote ablehnen. "Requisiten wie Möbel zum Beispiel können wir leider nicht annehmen", sagt Sebastian Blanz. Kein Platz. Ihren Materialumsatz im vergangenen Jahr schätzt die Initiative auf 50 Tonnen, die anderenfalls im Müll gelandet wären. Theoretisch wäre noch mehr gegangen. Der Fokus im 150 Quadratmeter großen Lager liegt vor allem auf Materialien, die sich gut umarbeiten und weiter verwerten lassen. In den Schwerlastregalen türmen sich an die 3000 helle Bilderrahmen aus einem Museum, Latten sind mit ihrer Länge beschriftet, um die Suche zu erleichtern. Roboterarme stammen von einem Filmset, dunkelblauer Moltonstoff von den European Championships. Das Volkstheater versorgt "treibgut" regelmäßig mit Bühnenbildern, weiße Sockel stammen aus einem Museum.

"Stellwände bekommen wir zum Beispiel ständig - die brauchen sich Künstler nicht selbst mit Baumarktmaterial und in ihrer eigenen Zeit selbst zusammenbauen, sondern können sie hier fertig für viel weniger Geld abholen", sagt Boris Maximowitz. Mittlerweile lassen sich die Besucher auch von den vorhandenen Materialien inspirieren, statt mit einer fertigen Idee im Kopf ins Lager zu kommen.

Etwa ein Drittel des ursprünglichen Preises, schätzen die Betreiber, zahlen die Besucher meist für ihre Funde. Abhängig ist das aber vom Zustand der Ware und vom "sozial-variablen Preissystem", wie Maximowitz es nennt: Ein junges, aufstrebendes Kollektiv mit einer tollen Idee zahlt weniger als ein kommerzieller Veranstalter.

Eine Szenografin etwa steckt gerade ihren Kopf zur Tür hinein. Sie bringt Material zurück, das sie sich für einen Abschlussfilm der HFF ausgeliehen hat. "Für den Film haben sie mehrere Räume in Räumen gebaut, das wären sicher an die 6000 Euro Materialkosten gewesen, nicht umsetzbar", schätzt Florian Gnauck. "Bei uns hat sie ihre Requisiten für ein Achtel des Preises gefunden." Einkaufen soll und darf bei "treibgut" aber jeder, auch zum Beispiel ein Schreiner auf der Suche nach Werkstoff. Hätten sie mehr Platz, könnten sie sich auch im Architektur- und Bausektor nach zu rettenden Materialien umsehen. "Im Idealfall werden wir so etwas wie ein Baumarkt für wiederverwendbare Materialien", sagt Maximowitz.

Wenn sie denn mehr Platz finden. Ihr Lager quillt förmlich über und hält sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Aber Platz in München, das ist keine leichte Aufgabe. Am liebsten wäre es den Initiatoren, im Kreativquartier zu bleiben, wo sie gut vernetzt sind. Die Außenbühne des "Import Export" etwa ist komplett aus "treibgut"-Materialien entstanden.

Aber bei "treibgut" sind die Optionen rar gesät. Selbst ihr momentan bestehendes Lager soll mittelfristig abgerissen werden. Also halten sie die Augen offen, zentral wäre wichtig, 1000 Quadratmeter wären schön. Einen Stadtratsantrag haben die Grünen im November gestellt. Die "treibgut"-Betreiber bleiben optimistisch. Denn für gute Ideen sollte immer Platz sein, auch in einer Stadt wie München.

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