Der Wilde Westen fängt gleich hinter der A96 an: Seit Monaten ist die Fürstenrieder Straße eine riesige Baustelle. Barrieren, wohin man schaut, gelbe Markierungen auf der Straße, Autos, die im Stau stehen. Hier bauen die Stadtwerke München (SWM) auf rund anderthalb Kilometern zwischen Ammerseestraße und Agnes-Bernauer-Straße den ersten Abschnitt der Tram-Westtangente.
In Richtung Westen, in der Gotthardstraße, bietet sich ein ähnliches Bild. Hier entsteht die Verlängerung der U-Bahn-Linie U5 Richtung Pasing. Dafür musste das Baureferat die Straße erst aufreißen, um dann unter einem Betondeckel die Trasse zu bauen.
Albert Sesselmeier ist davon überzeugt, dass es zumindest die Tram nicht bräuchte. Er ist der Sprecher der Bürgerinitiative „Keine Tram Westtangente“, die das nach derzeitigem Stand 490 Millionen Euro teure Projekt komplett ablehnt. Der 60-jährige Laimer wohnt in der Hohenwarter Straße, einen Steinwurf von der Fürstenrieder Straße entfernt.
Er ist in der Gegend aufgewachsen und kann sich noch an ruhigere Zeiten erinnern, als es noch so wenige Autos gab, dass er mit seinem Bruder in einer Nebenstraße Fußball spielen konnte. Die Zeiten sind längst vorbei, aber noch schlimmer ist aus seiner Sicht das jetzige Verkehrschaos, das er täglich auf der Fürstenrieder Straße sieht. „Das ist ein einziger Hindernisparcours“, sagt Sesselmeier. Seiner Meinung nach ist die ganze Baustelle zu unübersichtlich gestaltet und deshalb eine riesige Gefahrenzone. Dazu kämen noch die Wildparker, die ihre Autos in der gesperrten Fläche in der Fahrbahnmitte abstellten, gesperrte beziehungsweise verlegte Fußgängerüberwege und Ampelschaltungen, die so kurz seien, dass Menschen mit Rollator es bei Grün nicht ganz über die Straße schafften.
„Ich warte auf den ersten Todesfall“, sagt Sesselmeier. Seine rund 100 Mitstreiter sehen das ähnlich. Und auch die CSU ist ein lautes Sprachrohr gegen das Projekt. Nach dem offiziellen Spatenstich am 7. Juni wetterte Stadträtin Alexandra Gaßmann über die angeblich dilettantisch geplante Baustelle. Nachdem die CSU 2018, damals noch im Regierungsbündnis mit der SPD, der Trasse zugestimmt hatte, fährt sie jetzt einen strikten Anti-Tram-Kurs, den Bau der Tram-Nordtangente haben die Parteifreunde in der Staatsregierung erfolgreich gestoppt.
Bei der Westtangente ist das nicht mehr gelungen, auch wenn die Gegner, seien sie nun politisch organisiert oder nicht, keine Gelegenheit zur Kritik auslassen. Elektrobusse, sagen sie, wären billiger und besser gewesen.
Das sieht die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) freilich anders. Für sie ist die Tram-Westtangente ein überaus wichtiges Zukunftsprojekt, das viel mehr Fahrgästen zugutekomme als Busse und noch dazu schneller und pünktlicher sei.
Der erste Bauabschnitt soll Ende 2025 fertig sein. Dann folgt bis Ende 2027 der Abschnitt Ammerseestraße bis Ratzingerplatz und bis Ende 2028 die Abschnitte Romanplatz bis Agnes-Bernauer-Straße und Ratzingerplatz bis Aidenbachstraße. Insgesamt wird die Tangente 8,3 Kilometer lang sein.
Sesselmeier glaubt nicht an diesen Zeitplan. Er rechnet mit 2035. Stefan Bauer, Technischer Koordinator für Großprojekte bei den SWM, sieht dagegen keinen Grund, an der aktuellen Prognose zu zweifeln, auch wenn der Bau aufwendig ist.
Denn es reicht nicht, einfach Bäume zu fällen und ein paar Gleise auf der Straße zu verlegen. Im Untergrund liegen zahlreiche Leitungen, sogenannte Sparten, die erst einmal neu verlegt oder tiefer gelegt werden mussten. Derzeit erneuern die SWM im Bereich der Kreuzung Agnes-Bernauer-Straße und Fürstenrieder Straße eine rund 100 Jahre alte Hauptwasserleitung, was wiederum bei Fahrgästen der Tramlinie 19 zu Verdruss führt.
Das bedeutet Schienenersatzverkehr bis Ende Januar
Sie müssen an der Siglstraße in Ersatzbusse umsteigen, die regelmäßig proppevoll sind. Die Fahrt nach Pasing verlängert sich etwa um 20 Minuten. Von 2. Dezember an fährt die Tram dann immerhin wieder bis zum Willibaldplatz, doch Am Knie ist Schluss. Hier werden derzeit die Tramgleise verlegt, um für den künftigen U-Bahnhof Platz zu schaffen. Das bedeutet Schienenersatzverkehr (SEV) bis Ende Januar – sofern der Zeitplan eingehalten wird.
Das Thema Sicherheit sei ausreichend geklärt, sagen MVG und Mobilitätsreferat. Auch ein Verkehrschaos sei nicht zu erkennen, höchstens zähflüssiger Verkehr, obwohl die Straße 70 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit eingebüßt hat.
Das Mobilitätsreferat hat mit verschiedenen Maßnahmen, unter anderem mit Ampelschaltungen, den Verkehr dosiert. Bis alles wieder wie früher flutscht, dauert es aber noch eine Weile. Im kommenden Jahr wird eine Hälfte der Brücke über die A96 abgerissen und neu gebaut, der Verkehr fließt bis Ende 2027 einspurig.
Wie sich der Verkehrsfluss entwickelt hat, lässt sich auch an Daten des Navigationsgeräte-Herstellers Tom-Tom ablesen, Schulferien sowie Sonn- und Feiertage ausgenommen.
Demnach hat sich die Durchschnittsgeschwindigkeit in der Fürstenrieder Straße im Vergleich zum Jahr 2022 in Süd-Nord Richtung in der morgendlichen Hauptverkehrszeit zwischen 6 und 9 Uhr von 30 auf 20 Kilometer pro Stunde verringert, abends zwischen 15 und 19 Uhr von 27 auf 19 Kilometer pro Stunde.
In der Gegenrichtung kamen die Autofahrer morgens im Schnitt mit 18 Kilometer pro Stunde voran statt mit 27, abends mit 16 statt 28.
Erkennbaren Ausweichverkehr hat Tom-Tom in der westlich gelegenen Waldwiesenstraße ausgemacht, wo allerdings der Verkehrsfluss nicht nennenswert beeinträchtigt ist. Deutlich mehr Stau zeigen die Navis am Ende der A96 an, weil sich an der Ausfahrt zur Fürstenrieder die Fahrzeuge zurückstauen.
Pendler brauchen also noch etwas Geduld – und auch die nächste Großbaustelle zeichnet sich bereits ab. Von 2027 an will die Stadt den Landshuter Allee-Tunnel sanieren. Dann bekommt der ohnehin staugeplagte Mittlere Ring ein neues Nadelöhr.
In einer früheren Version ist vom Abschluss der Arbeiten Ende 2029 die Rede. Laut SWM soll die Tangente Ende 2028 fertig sein.