Wer um Punkt elf Uhr auf dem Marienplatz steht, weiß normalerweise, wo er ist. Da starren Hunderte Touristen auf das Rathaus und hören dem Glockenspiel zu. Oberbürgermeister Dieter Reiter erscheint deshalb am Donnerstag erst dann auf dem Platz, als das Geklingel verstummt. Schließlich hat er etwas zu sagen zu der weißen Stele dort, die mit 18 weiteren den Touristen künftig Orientierung in der Stadt geben soll. Der "Wegweiser", wie Reiter das neue Orientierungssystem etwas despektierlich nennt, entbinde künftig sicherlich einige Münchner von der Aufgabe, "zum 874. Mal zu erklären, wo es zum Hofbräuhaus geht". Tatsächlich steht auf einer Seite der Tafel ein Hinweis, in welcher Richtung der weltberühmte Trinkpalast liegt. Doch die 19 neuen Stelen können weitaus mehr, als nur den Weg zum Bier weisen.
Denn das Orientierungssystem, das mit seinen Stelen über die Altstadt und darüber hinaus an einigen weiteren bedeutenden Orten wie dem Königsplatz verteilt ist, bietet nicht nur klassische Innenstadtpläne mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten, Straßennamen und Verkehrsverbindungen. Die Stelen können auch interaktiv genutzt werden. Jede der weißen Tafeln hat zugleich kostenloses Wlan, mit dem man auf das digitale Informationsangebot der jeweiligen Stele zugreifen kann. Auf der Seite, die über die an der Stele angegebene Internetadresse aufgerufen werden kann, finden sich Wegstrecken zu bestimmten Zielen - sowohl als kürzeste Distanz als auch in Kombination mit Sehenswürdigkeiten in der Nähe.
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Außerdem erscheinen auf der Seite Informationen zum öffentlichen Nahverkehr, Lokale und Geschäfte in der Umgebung werden angezeigt. Über eine App, die an den Stelen heruntergeladen werden kann, gibt es Informationen über den aktuellen Standort in Deutsch und Englisch. Sobald sehbehinderte Menschen die App auf ihrem Handy haben, bekommen sie ein akustisches Signal, wenn sie in der Nähe einer Stele sind. Das System wurde mit dem Behindertenbeirat abgestimmt.
"Die Stelen vereinigen das Beste aus beiden Welten", sagt Reiter. "Klassische Pläne werden kombiniert mit umfassenden Informationen für das Smartphone." Mit diesem System könne sich München sehen lassen. Es sei aber auch notwendig gewesen, für die Münchner Altstadt "etwas Besonderes" zu entwickeln. Bis das System fertig war, dauerte es allerdings geraume Zeit. "Wir haben ganz schön lange an dieses Thema hingearbeitet, um es mal vorsichtig zu sagen", erinnert sich der Oberbürgermeister.
Eigentlich sollten die Stelen nämlich bereits vor einem Jahr in Betrieb gehen. Im April 2016 gab es bereits zwei verschiedene Entwürfe, die zwei Wochen lang auf dem Viktualienmarkt standen. Damals wurden Touristen befragt, wie sie die schwarze und die weiße Stele optisch und von ihrer Nützlichkeit her bewerten. Im Sommer vor zwei Jahren einigte sich der Stadtrat schließlich darauf, die weiße Variante weiterzuentwickeln. Doch vom Prototyp bis hin zur fertigen Informationssäule dauerte es noch mehr als zwei Jahre. Denn das Projekt, das federführend von Else Gebauer vom Wirtschaftsreferat betreut wurde, musste mit dem Bau- und dem Planungsreferat sowie vielen weiteren Fachstellen abgestimmt werden. Das Design der Stelen stammt vom Schwabinger Büro Wangler und Abele, das unter anderem das Informations- und Orientierungssystem am Terminal 2 des Münchner Flughafens und das visuelle Erscheinungsbild am NS-Dokumentationszentrum entwickelt hat.
Wie Oberbürgermeister Reiter die Münchner kennt, könne er darauf wetten, dass es bald eine lange Vorschlagsliste geben werde, was an den Orientierungstafeln verbesserungswürdig sei. Tatsächlich kommt am Marienplatz schon nach wenigen Minuten eine Passantin vorbei und betrachtet kritisch die Stele. "Die ist korrekt, aber ich verstehe sie nicht ganz", sagt sie. Ein amerikanisches Touristenpaar schiebt sich vor die Tafel und findet die Informationen wiederum sehr gut.
Erste Kritik wird am Donnerstag von den Grünen laut: Stadtrat Paul Bickelbacher will, dass das System nicht nur ein Angebot für Touristen ist. Der Fußverkehr müsse auch für den ganz normalen Alltag der Münchner attraktiv gemacht werden. "Wir fordern daher die Ausweitung des Orientierungssystems mindestens auf das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings", sagt Bickelbacher.