Tourismus im Oberland:Die Münchner sind wieder da

Aussflügler am Wallberg und am Tegernsee (v.a. Münchner) am Feiertag an Fronleichnam

Die Region ist beliebt, um dort zu wandern oder einen Schiffsausflug zu machen.

(Foto: Florian Peljak)

Zuletzt waren sie nicht immer gern am Tegernsee gesehen gewesen. Doch nach dem Lockdown soll es wirtschaftlich wieder aufwärts gehen. So wirbt jetzt ein Hotelier mit großflächigen Bannern: "We love Münchner - in guten wie in schlechten Zeiten."

Von Thomas Anlauf

München, Freising, München, Starnberg, München, Augsburg, M, FS, M, STA, M, A, so liest sich das Autokennzeichen-Alphabet am Donnerstagmorgen auf dem Parkplatz der Wallbergbahn. Binnen eineinhalb Stunden steigen 64 Wanderer den steilen Sommerweg - der im Winter eine der härtesten Rodelbahnen Deutschlands ist - hinauf in Richtung Wallberggipfel. Viele Münchner sind darunter, etwa zwei junge Krankenschwestern, die ihren freien Tag nutzen, um sich durch dichten Morgennebel nach oben zu kämpfen, statt die Kabinenbahn zu nehmen.

Da ist aber auch Rudi, der unten im Tegernseer Tal aufgewachsen ist. Er schimpft im Aufstieg auf die Münchner: "Des hätt's ned braucht", schnauft er. "Alle haben daheim bleiben sollen, aber die Münchner meinen, sie müssen mit Corona auf die Berge." Der Rudi ist mit seiner Meinung nicht allein im Tegernseer Tal. Es gab gewaltig Ärger wegen der Münchner, die während der strengen Ausgangsbeschränkungen trotzdem zu Tausenden aus der Stadt losfuhren, um der klaustrophobischen Enge der eigenen Wohnung zu entfliehen. Sie glaubten, sie könnten auf den Münchner Hausbergen ganz allein frische, gesunde Luft atmen.

Es war ein Trugschluss. Die Bilder von der mit Ausflüglern überfüllten Neureuth-Alm über dem Tegernsee im Frühling entsetzten viele im Tal. Bürgermeister Johannes Hagn (CSU) schrieb im Namen aller fünf Bürgermeister einen Brandbrief an die Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Nachdem Hagn wegen eines mit dem Virus infizierten Bauhofsmitarbeiters den Betrieb der Einrichtung weitgehend einstellen musste, schrieb er seiner Parteifreundin: "Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Verwaltungen auch in zwei Monaten noch arbeitsfähig sind. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wer hinter den "Münchnern" den Dreck wegräumen soll . . . Die Bergretter sind Ehrenamtliche, die woanders gebraucht werden. Daher bitten wir aus dem Tegernseer Tal Dich dringend darauf einzuwirken, dass die Allgemeinverfügung dahingehend erweitert wird, dass sich die Leute nur in Ihren Landkreisen aufhalten dürfen. Insbesondere was Spazierengehen und Sport betrifft." Das saß. Die Münchner waren plötzlich die Deppen.

Heute klingt der Tegernseer Bürgermeister am Telefon etwas zerknirscht. Eigentlich will er gar nicht mehr mit der Presse reden. "Meine Stimmung ist nicht gut", sagt er. Auf die Berichterstattung hin sei er "abgesoffen vor lauter Mails", viele Menschen schimpften über Hagns Vorstoß, er bekam aber auch viel Zuspruch von Leuten, denen insbesondere der Tagestourismus aus München und dem Umland schon längst zu viel wurde. Dabei lebt das Tegernseer Tal auch ganz gut von den Münchnern, erzählt Thomas Baumgartner. Der Leiter für Marketing und Kommunikation bei der Tegernseer Tal Tourismus GmbH sitzt auf einer Holzbank vor dem Tegernseer Bräustüberl und sagt: "Fast dreißig Prozent hier leben vom Tourismus. Und auch der Tagesgast gehört bei uns dazu." Ein Großteil davon sind Münchner oder aus dem Münchner Umland.

Aussflügler am Wallberg und am Tegernsee (v.a. Münchner) am Feiertag an Fronleichnam

An Fronleichnam reisten zahlreiche Menschen aus München und der Region wieder an den Tegernsee.

(Foto: Florian Peljak)

Seit vielen Jahren gehören die Tegernseer Voralpen, die Seen und die Wirtshäuser zu den beliebtesten Ausflugszielen der Münchner. Mit der Regionalbahn ist es gerade mal eine Stunde zum Endbahnhof Tegernsee, bei der Fahrt mit der Oberlandbahn kann der Ausflügler auch in diesen Tagen wieder die Autoschlangen betrachten, die sich von der Salzburger Autobahn über die Landstraße nach Gmund und dann entlang der zwei Seestraßen links und rechts des Tegernsees in Richtung Berge schieben. Auch am Donnerstag fuhren wieder Tausende mit Bahn und Auto in die Region, schon um zehn Uhr füllten sich die Parkplätze an den Wanderparkplätzen zwischen Tegernsee und Wildbad Kreuth.

Der Zorn einiger aus der Talbevölkerung über die Wildparker und manchmal rücksichtslosen Münchner entlud sich oftmals an den Falschen. Nina B. steht auf dem Wanderweg in Richtung Wallberghaus. "Ich habe hier auch schon ein spezielles Erlebnis gehabt", erzählt die Münchnerin, die am Tegernsee eine kleine Zweitwohnung hat. Sie lebt dort seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen, das Auto mit Münchner Kennzeichen steht vor der Tür. Eines Tages klemmte ein Blatt in Klarsichthülle hinter den Scheibenwischern. In fetten Druckbuchstaben stand dort: "Bleibt in München. Ihre Uneinsichtigkeit kann den Tod ins Tal bringen!" Die Autos anderer Münchner sollen mit Eiern beworfen worden sein. Tourismusmanager Baumgartner hat davon jedoch nur in der Zeitung gelesen.

Aussflügler am Wallberg und am Tegernsee (v.a. Münchner) am Feiertag an Fronleichnam

In jüngster Zeit waren die Münchner Ausflügler am Tegernsee nicht bei allen Einheimischen willkommen.

(Foto: Florian Peljak)

Schön findet er so etwas natürlich nicht. Denn die Münchner sind wichtig fürs Geschäft im Tal, selbst wenn sie nur ein paar Stunden bleiben. Etwa 3,5 Millionen Tagesgäste kamen im vergangenen Jahr an den Tegernsee, schätzt Baumgartner. Jeder gibt dort im Durchschnitt 24 Euro aus, ein Drittel davon entfällt auf den Einzelhandel. 2019 wertete die Tegernseer Tal Tourismus GmbH die Bewegungsdaten der Telekom aus. An Spitzentagen waren demnach zusätzlich zu den 24 000 Einwohner der fünf Talgemeinden bis zu 22 000 Reisende registriert worden. Viele davon kommen aus München, Baumgartner geht sogar davon aus, dass sich das starke Bevölkerungswachstum der Landeshauptstadt der vergangenen zehn Jahre direkt auf die Besucherzahlen am Tegernsee auswirkt. So verzeichnete der Tourismus in der Region in diesem Zeitraum eine Steigerung von 20 Prozent.

Das wissen auch die Geschäftsleute. Nach dem Streit um die Münchner, die mitten in der Corona-Krise trotzdem in Scharen anreisten und zum Teil wüst im Naturschutzgebiet parkten, hängte der Gmunder Hotelier und Unternehmer Korbinian Kohler großflächige Banner an seine Häuser am Tegernsee, etwa am Gasthof zur Weissach: "We love Münchner - in guten wie in schlechten Zeiten", steht darauf. Kohler soll zwar auf die Aktion auch Beschimpfungen erhalten haben, aber ebenso Zuspruch. Mittlerweile scheinen sich die Wogen wegen der Münchner, die eine örtliche Taxifahrerin am Mittwochabend noch als "nicht rücksichtsvoll in den Bergen" bezeichnet, langsam zu glätten, auch wenn zuletzt am Pfingstwochenende wieder zahlreiche Autos mit Münchner Kennzeichen zum Teil wild am Straßenrand geparkt hatten.

Der Deutsche Alpenverein appelliert deshalb an die Wanderer, "beliebte Wanderziele zu meiden", wie der DAV-Vizepräsident Manfred Sailer sagt. Auch sollten sich die Menschen in den Bergen vernünftig verhalten. "Bergwiesen sind keine großflächigen Picknick-Areale, sondern sensible Natur." Diesen Naturraum "müssen wir auch während der Coronazeit schützen!" Auf rücksichtsvolle Wanderer legten die Hüttenwirte schon vor mehr als 120 Jahren Wert, wie ein Willkommensgruß im Alten Wallberghaus aus dem Jahr 1899 zeigt: "Ist der Gast recht froh und traut, stets wird er hier gut aufgenommen."

In dem Berggasthof klingelt seit Anfang der Woche fast ständig das Telefon für eine Zimmerreservierung: "Wir sind am Wochenende komplett ausgebucht", sagt Caroline vom Wallberghaus und lacht unter ihrer Mundmaske. Die Münchner sind wieder da.

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