Hotellerie:Dringend gesucht: Touristen

Hotellerie: Einsame Gesellen mit Selfie-Ausrüstung: Reisende haben die Stadt derzeit fast für sich allein - und auch die Hotels.

Einsame Gesellen mit Selfie-Ausrüstung: Reisende haben die Stadt derzeit fast für sich allein - und auch die Hotels.

(Foto: Yoav Kedem)

Nach langer Zwangspause dürfen die Münchner Hotels wieder Gäste beherbergen. Nur die fahren lieber ans Meer. Die Stadt will nun gezielt Urlauber aus Deutschland locken.

Von Tom Soyer

Tourismus in München war über Jahrzehnte ein Selbstläufer. Doch mit Corona kam der Stillstand - und für viele, deren finanzielle Existenz mit den Gästen aus aller Welt verknüpft ist, die Krise. Nach langem Lockdown dürfen die Hotels in München seit Freitag nun wieder touristische Gäste beherbergen. Doch hört man sich in der Branche um, wird schnell klar, dass sie sich wohl nur langsam erholen wird. So spärlich wie die Besucherzahl beim Rathaus-Glockenspiel derzeit ist, so schlecht sieht es bei der Bettenbelegung aus.

Die Folgen der Pandemie für den Städtetourismus könne er am eigenen Freundeskreis beobachten, sagt Martin Stürzer: "Kein Einziger fährt nach Berlin, Hamburg, Rom, sondern lieber ans Meer, nach Sylt, oder an die Ostsee". Stürzer betreibt die Hotels Europäischer Hof (150 Zimmer) und Marc (80 Zimmer) in der Nähe des Hauptbahnhofs, und er ist der stellvertretende Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Seine Häuser sind geschlossen. Natürlich freue ihn die Öffnungserlaubnis. Nur sei "der Beschleunigungsweg für die Hotellerie halt immer lang". Als er sah, dass nur "die eine oder andere Buchung mehr" kam, hat er den Öffnungstermin für sein kleineres Haus auf den 13. Juni verschoben. Das andere bleibe noch geschlossen. Zwei Hausmeister gehen regelmäßig durch alle Zimmer, drehen Leitungen auf und zu und betätigen Spülungen. Die Fixkosten laufen, das Personal ist in Kurzarbeit.

Im Sommer 2020, als der erste Lockdown vorbei war, seien immerhin 40 Prozent Belegung möglich gewesen, "aber auch damit habe ich nicht einmal meine Pacht erwirtschaftet", sagt Stürzer. "Wenn wir bis Ende 2022 wieder schwarze Zahlen schreiben können, dann halte ich das für optimistisch in der Stadthotellerie." Keine Wiesn, kein Kardiologenkongress, keine Messen und immer noch ein gebremstes öffentliches Leben: Das seien schwierige Rahmenbedingungen, um Stadttouristen anzulocken. Wer Meer oder Berge buche, bekomme, was er wolle; in Städten sei das Leben noch eingeschränkt. Und für viele Nationen sei das Reisen noch sehr erschwert.

München habe "mehr Zimmer als Manhattan", 85 000 sagt Stürzer. Die Anzahl ausländischer Übernachtungen sei im Zeitraum Januar bis März 2021 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2020 in München aber um 85,7 Prozent zurückgegangen, von 1,23 Millionen auf knapp 176 000. "Öffnung hurra, Geschäftsaussichten durchwachsen", resümiert der stellvertretende Dehoga-Kreisvorsitzende.

Auch für die 27 Top-Hotels der "Munich Hotel Alliance" ist die Öffnung erst einmal nur "ein Hoffnungsschimmer am Horizont", sagt deren Sprecherin Birgit Häffner. Ein Drittel der Häuser war in den vergangenen Monaten ganz zu, die anderen - darunter das Kempinski oder der Bayerische Hof - hätten mit Belegungsquoten von sieben statt der gewohnten 83 Prozent wirtschaften müssen. Da habe das Durchhalten trotziger Kraft bedurft, wie etwa bei Innegrit Volkhardt, der Chefin des Hotels Bayerischer Hof. Die habe ihr gesagt, dass ihr Vater das Haus im Krieg nicht geschlossen habe, da könne sie es jetzt nicht anders halten. Für Juni erwartet die Sprecherin der 27 Münchner Spitzenhotels zehn bis 15 Prozent Auslastung, "im Juli dann vielleicht 30 und im Herbst, mit der Internationalen Automobilausstellung IAA, vielleicht sogar bis 40 Prozent". Immer vorausgesetzt, die Inzidenz mache keinen Strich durch diese vorsichtige Rechnung.

Monatelang kein Trinkgeld: Viele haben sich längst andere Jobs gesucht

Besser geht es offenbar dem Mandarin Oriental Munich, in dem Hoteldirektor Dominik G. Reiner für die erste Öffnungswoche schon 32 Prozent seiner 73 Luxuszimmer belegen konnte. Das steige in den nächsten Tagen sogar auf 40 Prozent, und er wisse aus Vergleichen mit anderen europäischen Standorten der Mandarin-Hotelkette, wie außergewöhnlich gut es im Münchner Haus laufe. "Das übertrifft unsere kühnsten Erwartungen", die Angebote mit reduzierten Preisen und hoher Storno-Flexibilität kämen an. Er freue sich, dass die ganze Belegschaft aus der Kurzarbeit zurück sei - allerdings gebe es da ein globales Problem, das auch sein Haus nun zusätzlich belaste: In der langen Kurzarbeitsphase hätten sich viele aus der Branche verabschiedet, auch sein Haus habe Angestellte beispielsweise an Mode-Luxuslabels verloren, die sich über neues Personal freuten, das mit anspruchsvoller Kundschaft umgehen kann. Vor der Pandemie hatte das Mandarin Oriental Munich 190 Angestellte, nun sind noch 120 da - und 20 Stellen sind gerade ausgeschrieben und zu besetzen. Laut Dehoga hätten mehr als 130 000 Mitarbeiter deutschlandweit die Branche verlassen, berichtet Reiner - und versteht das. Trinkgeld war ein wichtiger Gehaltsbestandteil, in der langen Kurzarbeitsphase wurde das nicht aufgefangen.

Weil ausländische Gäste wohl erst nach und nach zurückkehren, konzentriert sich das städtische Tourismus-Marketing derweil vor allem auf inländische Besucher. Mit einem Programm "Drei Tage voller Wiedersehensfreude" sollen Freunde und Verwandte zu günstigen Paketpreisen in München zwei Nächte verbringen. Münchens Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner und München-Tourismus-Chef Benedikt Brandmeier versprechen sich davon eine Belebung, zumal gerade viele Menschen in Deutschland auf Inlandsreisen umsteigen. "Die Leute haben einen großen Drang, wieder was zu erleben. In Deutschland. Die nach München zu ziehen, ist unsere Aufgabe", sagt Baumgärtner. "München ist sicher, die Biergärten sind offen - da geht doch was!"

Vier Anmeldungen für die Führung durch den Schlosspark

Darauf hoffen auch Heinz Taubmann, Geschäftsführer des Stadtführungs-Anbieters "Weißer Stadtvogel", und Reidun Alvestad-Aschenbrenner, die Vorsitzende der Münchner Gästeführervereinigung. Am Wochenende gab es nach langer Pause wieder zwei "Nachtwächtertouren" beim Stadtvogel, und Alvestad-Aschenbrenner hatte immerhin vier Anmeldungen für ihre Tour durch den Nymphenburger Schlosspark am Sonntag. Sie wünscht sich so sehr, dass nun auch die Münchner und Leute aus der S-Bahnregion die Vorzüge der gut vorbereiteten Stadtführungen entdecken. Nach 200 Tagen Zwangspause sei es überlebenswichtig für viele ihrer 190 Berufskolleginnen und -kollegen, dass es wieder losgehe. Ohnehin hätten sich viele, ähnlich wie im Hotelgewerbe, umorientieren müssen.

Einen zarten Wiederanfang gab es am Freitag auch in der städtischen Touristen-Information im Rathaus am Marienplatz. Ausländische Touristen wurden dort am ersten Öffnungstag nach der Pause zwar so gut wie nicht gesichtet. Dafür aber Einheimische, die sich das offizielle Wiesnplakat für neun (A3) oder zwölf (A1) Euro kauften. Auch das ist ja eine Art Hoffnungsschimmer nach dem derben Wiesn-Rückschlag.

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Tourismus in München
:Jede Buchung ist ein Hoffnungsschimmer

An Pfingsten dürfen auch die Münchner Hotels wieder Touristen empfangen. Die Betreiber sind erleichtert, auch wenn sich die Nachfrage nach Urlaub in der Stadt in Grenzen hält. Bis sich die Branche erholt hat, könnte es Jahre dauern.

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