Nachruf auf Toni Netzle:Münchens erste Promi-Wirtin ist tot

Lesezeit: 2 min

Toni Netzle ist an diesem Mittwoch im Alter von 91 Jahren gestorben. (Foto: Stephan Rumpf)

Musiker oder Könige, Minister oder Schauspieler: Bei Toni Netzle im Alten Simpl waren aus fast jeder Branche die wichtigsten Vertreter mal zu Gast. Nun ist die Wirtin im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Philipp Crone, München

Die Beschreibung als Münchner Original ist mittlerweile längst so abgenutzt, dass man denjenigen, die es wirklich sind, mit diesem Attribut keinen Gefallen mehr tut. Andererseits: Wie soll man Toni Netzle anders beschreiben? Anders geht natürlich schon: Sie war Münchens erste Promi-Wirtin, damals, im Alten Simpl. Sie war die vielleicht berühmteste Unberühmte der Stadt, die fast aus jeder Branche die wichtigsten in ihrem Lokal zu Gast hatte. Ob Musiker oder Könige, Minister oder Schauspieler. Alle waren da. Bei Netzle galt der Satz "In ist, wer drin ist" schon lange, bevor er in München erstmals ausgesprochen wurde. Wenn man nun verstehen will, warum Netzle von Elvis über Ellington bis Eichinger alle versammeln konnte, dann kommt man an einem Münchner Original und seiner Definition nicht vorbei.

Original, also eigen, auf eine Münchner Art und Weise. Das war Netzle schon von Anfang an. Sie wollte gar nicht Wirtin werden, sondern Schauspielerin - und das ist vielleicht oder gerade in München die ideale Voraussetzung, um Wirtin zu werden. Sie erkannte, dass in einem Lokal eben immer auch eine Inszenierung stattfindet. Die Gäste inszenieren sich, und die Gastgeberin führt Regie, indem sie die richtige Besetzung an ihre Tische holt. Was sie von vornherein konnte, war die richtige Ansprache für die unterschiedlichsten Charaktere zu finden. Was sie nicht konnte, war das Gastro-Alphabet. "Ich konnte Weiß- und Rotwein nur nach der Farbe unterscheiden", sagte sie einmal.

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Bis zu ihrem Tod hat sie keinen Tropfen Alkohol getrunken. Das war aber ja nicht wichtig. Wichtig war, dass sie trotz der großen Schauspiel-Ambitionen aus der ersten Klasse der Falckenbergschule das Angebot nicht ablehnte, sondern annahm, weil es eine kleine Bühne im Simpl gab. Sie sperrte 1960 auf und wurde Gastro-Schauspielerin. Der eine wurde mit einem Spruch empfangen, die andere mit Verständnis, und schnell sprach sich herum, dass da eine war, die einfach sie selbst war. Zuweilen auch streng, denn so war Netzle. Eine an alles denkende Gastgeberin, die aber auch resolut dazwischengehen konnte. Das gefällt ja den meisten vermeintlich wichtigen Menschen ohnehin. Netzle legte los, ihre Kollegen aus der Branche kamen, das brachte auch ein bisschen Glamour, ihr Lebensgefährte war Musiker und brachte ebensolche mit. Die Branchen mischten sich und so wurde es interessant, wer kam, und was besprochen wurde. Ein weiterer Freund war Toningenieur, kannte wieder welche, machte auf der kleinen Bühne einen guten Sound und schon kamen die Namhaften.

Erst kam Duke Ellington, dann alle anderen. Netzle schenkte aus, setzte sich dazu, mahnte und lobte. Sie bekam zwei Kinder und warf Robert de Niro und Harvey Keitel raus ("der Laden war voll und die sahen wie Penner aus"). Brigitte Bardot, Bernd Eichinger, Franz Josef Strauß, Kaiserin Soraya, Bayern-Kicker. Niemand wollte verpassen, was im Simpl passierte. 1992 gab Netzle das Lokal in der Türkenstraße ab, nach 32 Jahren. Sie schrieb Bücher, las viel, bis zuletzt. Denn das Erzählen, die spannende Darstellung, das konnte sie einfach. Ein Original, das ändert sich eben nicht. Netzle war vor einigen Wochen in ihrer Schwabinger Wohnung gestürzt und erholte sich davon nicht mehr. Sie ist an diesem Mittwoch im Alter von 91 Jahren gestorben.

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