Olympiapark:Das hat das Sommer-Tollwood in diesem Jahr zu bieten

Olympiapark: Diese Artistin der britischen Kompanie Dream Engine zeigt in ihrer Show "Loveart" eine Tuchnummer in einem riesigen Herz.

Diese Artistin der britischen Kompanie Dream Engine zeigt in ihrer Show "Loveart" eine Tuchnummer in einem riesigen Herz.

(Foto: Dream Engine)

Seiltänzer, Luftakrobaten, Windradfreunde und Mondsüchtige bevölkern beim Sommer-Tollwood 2022 den Olympiapark, während in der Musikarena eher bodenständige Popstars auftreten. Der große Überblick.

Von Michael Zirnstein

"Klar zur Wende", das wie immer umwelt- und gesellschaftspolitisch gemeinte, aktuelle Tollwood-Motto gilt diesmal auch für das Festival selbst. Das Team des großen Münchner Kulturspektakels stellt sich gerade neu auf. Und eine Wende soll das Festival vom 16. Juni bis 17. Juli natürlich auch nach zwei Corona-Krisenjahren mit nur einem Behelfs-Festlein im Sommer '21 bringen: wieder mehr Akrobaten und Straßentheater, mehr Öko-Streetfood und Recycle-Kunst, und wieder eine prall gefüllte Musikarena.

Luftnummern

Olympiapark: Der Mond ist aufgegangen, wenn auch ein künstlicher: Das "Museum of The Moon" lässt den Erdtrabanten im Maßstab 1:500 000 über den Festivalgästen erstrahlen.

Der Mond ist aufgegangen, wenn auch ein künstlicher: Das "Museum of The Moon" lässt den Erdtrabanten im Maßstab 1:500 000 über den Festivalgästen erstrahlen.

(Foto: Ed Simmons)

Das Spannendste passiert bei Tollwood meist weit oben unter den Zeltdachspitzen. Das ist auch im Sommer 2022 nicht anders. Schon zur Eröffnung sollten die Gäste den Kopf in den Nacken legen: In 15 Metern Höhe werden dann Hochseilartisten auf einem gespannten Seil-Dreieck über der Budenstadt spazieren, Salti und andere Tricks vorführen (16.-18.6., 24. & 25.6., 1. & 2.7., 8. & 9.7., 15. & 16.7., Do. & Fr 17 bis 22 Uhr, Sa. 17-22 Uhr). Für Friedi Kühne ist das eine eher leichte Übung, denn der Profi-Slackliner hat schon ganz andere Herausforderungen gemeistert. So hält er den Weltrekord über die "Längste Highline der Welt", auf der er in Schweden 2130 Meter weit einen 600-Meter-Abgrund überquerte. Wer dem Szenestar nacheifern will, findet beim Festivaleingang eine Übungs-Slackline und Kurse in Bodennähe.

Auch bei vielen Performances im Amphitheater geht es in die Luft: Die britische Gruppe Dream Engine zeigt ihre Akrobatik in einem riesigen Herz (8.-12.7.). Die irren und irre komischen Finnen der Race Horse Company katapultieren sich in ihrer Show "Motosikai" schon mal mit dem Schleuderbrett über einen Lkw (1.-3.7.). Benoit Charpe jagt sich mit dem Trampolin in allen möglichen Positionen durch die Luft, wobei nur sein Schnurrbart gerade bleibt (4.-7.7.). Viel ruhiger, ja gar besinnlich geht es bei der Installation von Luke Jerram zu: In seinem "Museum of the moon" versammeln sich die Besucher open air unter einer auf Nasa-Daten basierenden Kopie des Mondes, freilich extrem verkleinert, aber eben auch viel näher und daher riesengroß erscheinend - ein "Spiegel der Kulturen", der zum Träumen und Sinnieren einlädt (22.-26.6.)

Große Konzerte

Olympiapark: Endlich wieder Rock-Zirkus: Touren ist für Rea Garvey gerade wie ein Zeltplatz nach dem Sturm.

Endlich wieder Rock-Zirkus: Touren ist für Rea Garvey gerade wie ein Zeltplatz nach dem Sturm.

(Foto: Christian Rocketchris)

Beim Programm in der Musik-Arena merkt man am ehesten: Der Kulturbetrieb läuft noch nicht rund wie vor Corona, denn internationale Bands touren noch spärlich - umso mehr darf man sich auf die Franzosen-Hitmaschine Zaz (17.6.), die Schotten-Rocker Simple Minds (1.7.), Umwelt-Kämpferin Melissa Etheridge (28.6.), die Walhalla-Barden Wardruna (3.7.), Punk-Godmother Patti Smith (17.7.) und - nach zwei Corona-Absagen - Sting (16.7.) freuen. Nicht weit haben es die Österreicher: Hubert von Goisern (23.6.) und Pizzera & Jaus (11. & 12.7.). Den Rest bestreitet die Creme de la Creme von hier, also aus München (Spider Murphy Gang, 21. & 22.6.; Werner Schmidbauer und Martin Kälberer mal mit Ringsgwandl, 6.7., mal mit Gert "STS" Steinbäcker, 5.7.), aus Bayern (Ringlstetter, 18.6.; Dreiviertelblut & Django 3000, 19.6.; Haindling, 29.6.; Dicht & ergreifend, 8.7.), und dem Rest von Deutschland mit Pop (Rea Garvey, 16.6.; Wincent Weiss, 20.6., Mark Forster, 7.7., Johannes Oerding, 26.6., Alvaro Soler, 15.7.), mit Rock (Bap, 30.6., Element of Crime, 24.6., Revolverheld, 25.6., The Boss Hoss, 14.7.), mit Hip-Hop (Cro, 27.6., Sido, 4.7., Deine Freunde, 10.7.) und - endlich wieder möglich - Partypower (Querbeat, 9.7., SDP, 2.7.).

Kleine Konzerte

Einfach hin zum Tollwood und schauen, denn irgendwas ist immer los bei den drei kleineren Bühnen mit mehreren Gratis-Konzerten täglich. Etwa im großen Andechser Zelt, das heuer etwas verspätet 25-Jähriges feiert, mit einem bunten Programm für jedermann von Irish (Bruning Biscuit Band, 16.6.) bis Bayerisch (Isar Dixie Stompers, 19.6., 12 Uhr), von Afrobeat (Soleil Bantu, 23.6.) bis Schlager (Die Herren Wunderlich, 19 Uhr). Die beschauliche Fassbar bietet open air wieder viel hochprozentigen Blues, Folk und Country. Und die Münchner Indie-Szene dürfte das Fassungsvermögen des kleinen Hacker-Pschorr-Brettls an mehreren Abenden sprengen bei Geheimtipp-Konzerten mit Brew Berrymore (18.6.), Phillip Bradatsch (21.6., 13.7.), Das Hobos (22.6.), Loisach Marci (2.7.) oder Maxi Pongratz (14.7.).

Markt der Ideen

Olympiapark: Endlich wieder ein Festival in voller Größe: So wie hier im Sommer 2018 soll sich die Zelt- und Budenstadt im Olympiapark ausbreiten.

Endlich wieder ein Festival in voller Größe: So wie hier im Sommer 2018 soll sich die Zelt- und Budenstadt im Olympiapark ausbreiten.

(Foto: Bernd Wackerbauer)

Dass Tollwood sich konsumkritisch gibt, heißt nicht, dass dort nicht konsumiert wird. Im Gegenteil, nur biologisch und nachhaltig soll eben alles sein: Vom Schmuck aus angeschwemmtem Meeresplastik bis zu den Heimchen, die hier nicht am Herd stehen, sondern auf demselben als Insekten-Snack gebraten werden (bei Rachada Thai im Buddha Garten). Wer es gastronomisch nicht ganz so wild, aber doch exotisch mag, bekommt bei einem neuen türkischen Slowfood-Stand alles außer Döner. Natürlich ist der Marktbummel wieder wie eine kleine Weltreise: Vom Indienort Raj Dhani, wo man Palak Paneer zu Lassi und Bollywood-Musik genießen kann, über das Marrakeschzelt, in dem Handwerker in Gewürzdüften Metallschalen dengeln, bis zur neuen Bronx-Bar, wo man wie im Film-Klischee stehend an Autoreifenstapeln trinkt.

Jugendprogramm

Die Sorgen, die Jugend sei durch Corona kaltgestellt worden, sind so berechtigt wie die Vorurteile, ebendiese wäre an Tinder und Playstation verloren, unbegründet. Tollwood will Teenagern von 12 bis 17 Jahren Raum geben, zusammen Neues auszuprobieren und sich zu verwirklichen. Das geht ganz einfach durch Musik, bei Workshops im supermobilen Trendinstrument Ukulele oder im Lagerfeuer-kompatiblen Percussion-Hocker Cajon genauso wie beim Hip-Hop-Jazz-Tanzkurs, in dem Romana Ibler die Jugendlichen fit für den Dancefloor macht. Ein Hauch von Aufbegehren gegen die Spießigkeit weht beim freilich ganz künstlerischen Grafitti-Workshop von Shaya Navid mit. Das Mitmachen ist immer gratis, Anmeldung unter jugend@tollwood.de.

Rad-Projekt

Das Fahrrad war schon immer das beste Vehikel, um den verkehrstechnisch etwas abgelegenen Olympiapark Süd zu erreichen. Damit das auch die letzten Parkplatzsucher am Ackermannbogen begreifen, startet das umweltbewusste Festival heuer eine Radl-Initiative. An der Festivalkasse gibt es Info- und Kartenmaterial zu den besten Routen durch die Stadt, am Haupteingang kann man an einer MVG-Station Räder abstellen oder ausleihen, um ganz leicht zur U-Bahn am Scheidplatz zu kommen. Wie viel Spaß das Abstrampeln machen kann, zeigt der Radsportverein Solidarität Pullach bei Kunstrad- und Radball-Vorführungen im Amphitheater; und Kinder lernen im Lilalu-Zirkus, dass sogar ein Rad, also ein Einrad schon reicht um voranzukommen. Die Ausrede, die alte Mühle sei kaputt, zieht auch nicht, denn das Team Ritzel Kitzel zeigt in seiner Radl-Repair-Werkstatt, wie man sie wieder fit macht. Und jeden Samstag und Sonntag gibt es von 13 bis 19 Uhr einen kostenlosen Radl-Check mit Erste-Hilfe-Service beim Radlparkplatz. Dort bekommen alle Radler zum Dank auch kostenlose Tollwood-Sattelschoner.

Politik

Aus dem Geist der Hippie-Bewegung geboren, war Tollwood stets ein Festival der Gegenkultur. "Klar zur Wende", das Motto in diesem Sommer, ist durchaus als politischer Aufruf zu verstehen, zu allererst zum Umweltschutz: "100 Prozent erneuerbare Energien für ein klimaneutrales Bayern bis 2040" sind die Zielvorgabe, "denn Wind, Sonne, Wasser und Erdwärme gibt es bei uns genügend". Als Bremser hat man Ministerpräsident Markus Söder ausgemacht, der gesagt haben soll: "Bayern ist kein Windland." Deswegen baut die Umweltabteilung des Festivals zusammen mit Greenpeace und dem Bund Naturschutz eine Miniversion der Staatskanzlei als Informations-und Aktionsort nach, in dem man etwa Söders Telefonat mit seinem Vize Hubert Aiwanger über die "10-H-Regel" hören kann. Dass es dennoch möglich sei, nah an Winderrädern zu leben und die Stromwende zu schaffen, will Tollwood mit einem eigenen Riesenpropeller beweisen, der sich gut sichtbar hoch über den Köpfen der Besucher dreht.

Kunst

Nicht nur zum Selfie-Schießen, sondern vor allem zum Nachdenken soll immer auch das Haupt-Kunstwerk im Eingangsbereich anregen. Diesmal hat der ungarische Künstler Gábor Miklós Szőke, der hier bereits einmal mit "Armes Schwein" gegen die Massentierhaltung protestierte, die Skultpur "Die Balance" geschaffen: Ein sechs Meter hoher Orca, der inmitten von Müll im Sprung einen Traktorreifen auf der Schnauze jongliert, soll zeigen, dass der Mensch die plastikverseuchten Ozeane längst aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Hoffnung will der Ammerseer Tollwood-Haus-und-Hof-Künstler Adam Stubley mit seinen Wort-Skulpturen machen, die leuchtend etwa zu mehr "Mut" ermutigen. Auch das Museum of Urban and Contemporary Art (Muca) kooperiert schon seit vielen Jahren mit Tollwood und stellt auch heuer in seiner Urban Art Gallery wieder spannende Arbeiten etwa von L.E.T., Patrick Hartl aka Stylefighting oder Lapiz aus. Den Zaun gestaltet auch ein Stammgast, der Geländekünstler Andrey von Schlippe, diesmal mit bunten Fischen. Für das Eingangstor zum Spiridon-Luis-Ring hat sich der Österreicher Ludwig Frank von fernöstlichen Formen inspirieren lassen.

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