Süddeutsche Zeitung

München:Messerattacke auf Zehnjährigen - Angreifer muss in Psychiatrie

Der 58-Jährige hatte den Buben in einem Kaufhaus in der Innenstadt attackiert und schwer verletzt. Offenbar litt er unter Wahnvorstellungen. Das Schwurgericht wertet die Tat als versuchten Mord.

Von Susi Wimmer

Der Zufall kann ein wankelmütiger Geselle sein und in alle Richtungen kippen. So war es purer Zufall, dass der zehnjährige Felix (alle Namen geändert) gerade in einem Kaufhaus an der Rolltreppe spielte, als Daniil F. nach ihm griff und in paranoidem Wahn auf ihn einstach. Dass der Bub den massiven Angriff überlebt hat, kann man ebenso dem Zufall zuschreiben: Die Schnitte verfehlten nur um Millimeter die Luftröhre, Felix überlebte. Jetzt wurde der 58-jährige Täter wegen versuchten Mordes von der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht München I verurteilt. Er wird auf unbestimmte Zeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.

"Der zehnjährige Bub hatte Glück und optimal reagiert", sagte die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl in ihrem Urteil. Denn Felix konnte instinktiv mit den Händen die Messerklinge etwas abwehren. "Aber er leidet bis heute unter den Auswirkungen der Tat", meinte Ehrl, "und er wird ein Leben lang daran zu tragen haben." Und alles nur, weil Daniil F. seine Krankheit nicht einsehen und nicht mehr in einer betreuten Wohngemeinschaft leben wollte.

Bei dem gebürtigen Ukrainer wurde schon vor Jahrzehnten eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Er wurde mit einer monatlichen Depotspritze behandelt. F. wollte die gesetzliche Betreuung aufheben lassen, scheiterte allerdings vor Gericht. Daraufhin setzte er seine Medikamente ab, zog sich zurück und plante, sich beim Sozialamt eine eigene Wohnung geben zu lassen. Die WG-Einrichtung kündigte ihm und wollte am 8. November 2021 mit ihm reden, damit er sich wieder am Programm beteilige. Dazu kam es nicht mehr.

Wahnvorstellungen führten zu der Tat

Zu dieser Zeit war Daniil F. bereits in eine andere Welt abgetaucht, in der alle Anzeichen darauf hindeuteten, dass der CIA ihn in die Ukraine entführen und töten würde. Deshalb ging er am 6. November mit einem langen Küchenmesser in einer Tüte aus dem Haus. Er wollte sich am Marienplatz impfen lassen, aber auch dort schien der CIA zu lauern: in Form von blauen THW-Autos, die herumstanden, und Spritzen im Impfzentrum, die ihn töten sollten. "Er dachte, seine Entführung stehe kurz bevor", fasste Richterin Ehrl die Aussagen der Gutachter zusammen.

Im Kaufhaus TK Maxx, so habe er geplant, werde er einen ihm unterlegenen Menschen suchen und notfalls auch töten, um verhaftet zu werden. Nur so könne er der Entführung entgehen, schildert die Richterin den wahnhaften Gedankengang. An der Rolltreppe dort spielte Felix mit seinem Bruder. F. näherte sich ihm bewusst heimtückisch von hinten und schnitt ihm viermal über die Vorderseite des Halses.

Bis heute, so sagte Ehrl, leiden Felix und seine Familie unter den Folgen. In der linken Hand fehlt dem Buben die Kraft, weil Sehnen durchtrennt wurden, die Narben quälen ihn und er leidet immer noch unter Ängsten und Schlafstörungen. Aber die Familie versuche "in bemerkenswerter Art, das Geschehene zu verarbeiten".

Verteidiger Christian Gerber sagte nach der Verkündung, man werde keine Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.

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