Süddeutsche Zeitung

Hellabrunn:Wie man einen Zoo niet- und nagelfest macht

Von elefantensicheren Gullis bis zu Elektrogras - Stefan Bamberger leitet die Tierpark-Werkstatt. 3000 Reparaturen fallen jährlich an. Schäden verursacht durch Tiere - aber nicht nur.

Von Philipp Crone

Die Gegner sind nur fünf Meter voneinander entfernt. Elefant Gajendra steht rüsselbaumelnd im Freien und blickt über den Zaun zu Stefan Bamberger. Der eine ist 26 Jahre alt und versucht, möglichst alles kaputt zu machen, was der andere mühsam zusammengebaut hat. Der andere ist 37 Jahre alt und hat bis vor vier Jahren als Industriemechaniker-Meister für Metall Vakuum-Anlagen betreut, später vom Büro aus Gummi-Förderbänder für Kieswerke. Dann war die Stelle des Werkstattleiters in Hellabrunn ausgeschrieben und der schlanke Mann mit dem kurzen dunklen Haar und einer so sparsamen Gestik, die höchstens von den Landschildkröten nebenan übertroffen wird, bewarb sich.

Er bekam den Job und ist seit 2015 mit seinem Team in einem permanenten Duell. 19 000 gegen zwölf. Tausende Tiere gegen drei Schlosser, drei Elektriker, drei Installateure, einen Schreiner, einen Maurer und Bamberger. Wobei das so nicht ganz stimmt. Bambergers Team tritt oft genug auch noch gegen einen anderen Gegner an, den Besucher.

Stefan Bamberger lächelt, als er Gajendra beobachtet. Der Elefant ist mit den Menschenaffen einer der schwierigsten Bewohner für den Freizeit-Triathleten aus Würzburg. Elefanten brauchen extra Sicherungen. Eine Schraube wird dann nicht nur angeschraubt, sondern zusätzlich noch angeschweißt oder angeklebt, mit einer Sicherung versehen oder gleich so versteckt und versenkt, dass Gajendra sie nicht findet. "Wir haben zum Beispiel elefantensichere Gullis auf der Anlage eingebaut, deren Deckel im Boden festgeschraubt sind." Mit elefantensicheren Schrauben. So einen Gullideckel würde Gajendra völlig problemlos rausheben und rumwuchten. "Bei einem Zebra reicht ein normaler Gullideckel und eine normale Schraube."

Bamberger suchte die Unberechenbarkeit - und fand sie in Hellabrunn

Bamberger ist in den Zoo gewechselt, weil er statt Berechenbarkeit Unberechenbarkeit im Job wollte. Bei Gummi-Förderbändern kommt nichts dazwischen, bei Orang-Utans schon. Deshalb hat der Zoo eine ganze Werkstattsiedlung hinter der Verwaltung, neben der Futterlogistik und der Gärtnerei. Bamberger sitzt meistens in seinem Büro oben drüber. Er sagt: "Alle Tiere, die Arme haben und greifen können, sind gefährlich." Er mag diese gefährlichen Tiere.

Schimpansen zum Beispiel. "Die sind clever und haben Zeit. Also nehmen sie sich ein Werkzeug und hauen auf eine Schraube, die wir angebracht haben, jeden Tag eine Stunde drauf." Das halten nicht viele Schrauben aus. So eine neue Schraube ist eben neu und damit unbekannt und spannend. Primaten agieren eher intelligent, Elefanten mit Kraft. Bambergers Aufgabe ist es, den Zoo sicher zu halten, die Bewohner zufrieden und gesund, den Zoo-Direktor ebenfalls zufrieden, weil die Kosten nicht explodieren, die Tierärzte, weil die Tiere richtig gehalten werden. Da hilft es wohl, wenn man eine schildkrötenartige Ruhe ausstrahlt. Ein Beispiel ist etwa das Elektrogras an der Elefantenanlage.

Bamberger macht an einem Novembervormittag von seinem Büro aus erst eine Runde durch die Werkstätten, bevor er sich zu den Elefanten aufmacht, Gajendra zulächelt und das Elektrogras prüft. Bambergers Schreibtisch könnte in der Gummi-Förderbänder-Firma stehen. Zwei Plüschgiraffen hängen über dem Bildschirm, sonst gibt es keinen Hinweis auf einen Zoo-Arbeitsplatz. Schadensmeldungen, 3000 pro Jahr, kommen per Computer rein, dann wird priorisiert und verteilt. Der Schreiner muss zum Beispiel die Fertigung einer Transportbox im Blick haben, wenn ein Tier den Zoo verlässt und an einen anderen weitergegeben wird. Das ist termingebunden, während die Sitzbretter für die Waschbären auch ein paar Tage später fertig werden dürfen.

In Hellabrunn wimmelt es nicht nur von Tieren, sondern auch von Baustellen

Die Schreinerei liegt neben der Schlosserei, in der an diesem Tag zwei Kollegen gerade an Metallrohren für das Vielfraß-Gehege arbeiten. "Wir besprechen mit den Pflegern, wann wir die Arbeiten vor Ort machen wollen", sagt Bamberger. Im besten Fall sind die Arbeiten auch vor neun Uhr abgeschlossen, wenn der Zoo öffnet. Aber in Hellabrunn ist man auch längst daran gewöhnt, dass es nicht nur von Tieren, sondern auch von Baustellen wimmelt. An diesem Tag ist das etwa eine Handwerkereinheit am Infopavillon gegenüber vom Elefantenhaus. Dort muss das Dach schneesicher gemacht werden. Macht eine externe Firma, Bamberger grüßt kurz im Vorbeigehen, zwei bis drei knappe Sätze mit ruhiger Stimme. Kurz, bestimmt, gelassen - so laufen die Gespräche mit Externen, seinen Mitarbeitern, seine Telefonate.

Zoo-Chef Rasem Baban spricht bei Bamberger von einem "kühlen Kopf". Techniker in einem Zoo müssten nicht nur fachlich kompetent sein, sondern bei der Mischung aus "vielen Tieren, vielen Gebäuden, Anlagen und unterschiedlichen Menschen" das Zusammenspiel auch menschlich gut begleiten. Bambergers "professionelle Ruhe" sei unerlässlich in einem Zoo.

Am Schildkrötenhaus steht ein Sprinter, hier wird gearbeitet, genauso wie an der Vielfraß-Anlage, die am nächsten Morgen einen neuen Zaun bekommt. Und in einer Außenanlage der Affen hängt ein Mann auf einer der von Wasser umgebenen Affensinseln in einem Loch und reinigt die Kanalisation. So wie die Tierpfleger den Großteil ihrer Zeit damit verbringen, Tiermist zu entsorgen, müssen auch die Handwerker oft reinigen. Die Kanalisationen unter den Gehegen verstopfen regelmäßig und werden ausgepumpt. Ein Standard-Auftrag. Im Winter sind es oft Heizungen und eingefrorene Pumpen, wobei im Sommer grundsätzlich mehr kaputt geht. Da sind mehr Besucher im Zoo, die Spielplätze werden stark genutzt, so dass Bambergers Leute immer wieder Leitern, Schaukeln und Klettergerüste prüfen müssen. Kinder liegen bei der Schrauben-Sicherheit zwischen Zebra und Schimpanse.

Seit Bambergers Team eine eigene Plexiglasschleuse entwickelt hat, entwischt kein Vogel mehr

Bamberger betritt das Dschungelzelt. Dort ist bei den Löwen eine verkehrsschildgroße Plexiglasschleuse angebracht. Die hat Bambergers Team entwickelt. "Es sind kleine Vögel durch das Dachnetz in das Löwengehege geflogen und konnten durch die Luke der Löwen entweichen." Entweichen, vielleicht noch ein Industriemechaniker-Überbleibsel. Die Handwerker bauten eine Tür, die von den Löwen aufgedrückt wird, wenn sie reinwollen. Mit einer Feder gespannt, geht sie wieder zu - seitdem entweicht kein Vogel mehr.

Im Schildkröten-Außengehege wurde die Begrenzung einen Meter vom Besucherweg entfernt angelegt und ein kleiner Rasenstreifen eingesetzt. "So können Besucher die Schildkröten nicht mehr füttern." Zwar stehen im ganzen Tierpark Nicht-füttern-Schilder, aber nicht alle halten sich daran. Was mit der neuen Abgrenzung allerdings noch immer nicht verhindert werden kann, ist das Bewerfen der Tiere. Manche Besucher werfen laut Bamberger allen Ernstes Steine auf die Tiere. Graffiti, rausgerissene Schilder, aus Beten gerissene Pflanzen oder in Gehege geworfene Gegenstände ist Bamberger gewohnt. Aber Tiere bewerfen? Der 37-Jährige schüttelt kurz den Kopf. "Und das wird immer häufiger."

Im schlimmsten Fall müsse man die Tiere vor Besuchern schützen, "in dem man Glasscheiben, Netze oder Gitter in die schönen Anlagen einbaut". Oder eben den Abstand zu den Tieren vergrößert, wodurch der Besucher sie schlechter sehen kann. Eigentlich versuchen moderne Zoos seit Jahrzehnten, Zäune möglichst unsichtbar zu gestalten. "So wie im Löwengehege in Gelsenkirchen, da sieht man den Graben gar nicht und hat das Gefühl, der Löwe komme direkt auf einen zu." Regelmäßig treffen sich die deutschen Zoo-Handwerker und tauschen sich aus. Bamberger kommt zur Außenanlage der Elefanten. Das Elektrogras.

Elektrogras ist ein Euphemismus für einen Stromzaun. Die Geschichte dieses Grases bei den Münchner Elefanten ist eine über Intelligenz. Die Gärtnerei hatte ursprünglich viel Bambus auf der Außenanlage gepflanzt und mit Elektrogras vor den Elefanten geschützt. Die fressen Bambus gerne. Dann aber kam der erste Elefant auf die Idee, das Elektrogras mit einem Stock wegzuhalten, ein anderer schaffte es, die Stromleitung zu kappen, und Gajendra arbeitete mit den Stoßzähnen. Die Elefanten lernten voneinander, wie sie an die Pflanzen rankommen. Ergebnis: Der Bambus wurde über Nacht vernichtet, Bambergers Team musste ausrücken und die Lücke schließen. Elektrogras wird bei den Elefanten jetzt nur noch dafür benutzt, die Bepflanzung auf der äußeren Seite des Wassergrabens zu sichern.

In Hellabrunn fallen 3000 Reparaturen im Jahr an

Das sind die Aufgaben, deretwegen Bamberger im Zoo arbeitet. Auch wenn es meistens um kaputte Glühbirnen oder klemmende Türen und Tore geht. 3000 Reparaturen eben. Stört Bamberger das? "Die Tiere können nichts optimieren, wir schon." Und so sieht die Aufgabenliste dann aus: Vier neue Schilder für den Tierpflegertreffpunkt, die Schieberanlage bei den Gorillas muss befestigt werden, das wackelnde Geländer im Schildkrötenhaus fixieren, das lockere Schloss der Wanderheuschrecken reparieren, die Böschung der Pinselohrschweine mit E-Gras schützen oder die Rotlichtbirne bei den Nasenkakadus austauschen.

Vieles sind dann schon auch hausmeisterartige Aufgaben. Dass Bamberger seine cleversten Gegner wie Gajendra gern hat, wundert da kaum. Mit ihnen wird es ihm eben nie langweilig.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2019/cro/vfs
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