Tierpark Hellabrunn:"Jeder Tag zählt"

Orang-Utans im Tierpark Hellabrunn in München, 2018

Der Zoo macht Defizit.

(Foto: Robert Haas)

Der Tierpark Hellabrunn häuft wegen der coronabedingten Beschränkungen große Betriebsverluste an. Der Direktor fordert deshalb eine Neuregelung des Besucherkontingents.

Von Julian Raff, Untergiesing

"Es ist ein Sterben auf Raten", fasst Tierparkdirektor Rasem Baban die Lage zusammen und lässt so keinen Zweifel an deren Ernst, ist er doch an sich kein Freund dramatischer Worte: 50 000 Euro Betriebskosten fallen in Hellabrunn jeden Tag an. Dem stehen, durch das strenge Besucherkontingent, nur 16 000 Euro an Einnahmen gegenüber. Die zweimonatige Komplettschließung und die verhängten Einschränkungen haben bis dato einen Verlust von rund fünf Millionen Euro auflaufen lassen.

Dass auf das österliche Traumwetter, fast pünktlich zum Neustart am 11. Mai, eine Phase wackliger Witterung folgte, setzt in der Krise eine bittere Pointe, verschärft sie aber wirtschaftlich kaum noch: Bis auf weiteres erhalten pro Tag lediglich 2185 Besucher Einlass, knapp ein Drittel des sonst üblichen Durchschnitts. Wer rein will, muss seine Karten übers Internetportal München Ticket vorab buchen. Das System soll sowohl Enttäuschungen als auch den üblichen Besucherschlangen an den Eingängen vorbeugen. Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung hatten sich die Tierparkfreunde daran gewöhnt. Das Limit wird seither auch an verregneten Tagen schnell erreicht, obwohl die Häuser vorerst auf unbestimmte Zeit geschlossen bleiben.

Tierpark Hellabrunn in München vor Wiedereröffnung in der Coronakrise, 2020

Direktor des Tierparks Hellabrunn: Rasem Baban.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wer Glück hatte und trotz trüber Prognose ein paar Wolkenlücken erwischte, bekam freilich ein fast ungetrübtes, betont entspanntes Tierparkerlebnis geboten, mitten in den Pfingstferien: So ruhig, wie es auf der anderen Seite des Zauns zugeht, lassen sich deutlich mehr Zoobewohner blicken als gewohnt: Eisbärin Quintana genießt die frischen Temperaturen und spielt vor verzücktem Publikum Ball, aufgerichtet zu imposanter Größe und von Mutter Giovanna nur noch von Kennern zu unterscheiden. Das Panzernashorn nimmt blubbernd ein Bad direkt zu Füßen der Besucher. Die Silbergibbons turnen durchs Bambusgehölz. Die Vielfraße machen Liebe im frisch renovierten Heim, ein seltenes Schauspiel, wie die Tafel aufklärt. Die Besucher nehmen sich viel Zeit und genießen mit Ruhe und Abstand. Es habe keine Verstöße gegen die Hygieneregeln gegeben, lobt Baban.

In reiner Harmonie gehen Zoo-Management und Publikum allerdings nicht gemeinsam durch die Krise. Der Tierpark steht vor einem Dilemma, das ausgerechnet seinen treuen Stammgästen das größte Zugeständnis abverlangt: Mehr als 70 000 Münchnerinnen und Münchner haben eine Jahreskarte, die sich bereits ab dem vierten Besuch rentiert und in den letzten Jahren massiv promotet wurde. Ebenso wie Kinder unter vier Jahren und Schwerbehinderte hätten sie weiterhin Anspruch auf freien Eintritt - theoretisch jedenfalls. Praktisch bleibt das schmale Kontingent an vorbuchbaren Null-Euro-Tickets auch weiterhin ausgeschöpft. Eine Happy-Hour-Regelung ermöglicht zwar am Vortag von 17 Uhr an den Zugriff auf freie Restbestände, erfordert aber geduldiges Lauern vorm PC und einen blitzschnellen Klick, falls diese tatsächlich aufploppen. Ein Glücksspiel, durch das sich mancher treue Tierparkfan ausgesperrt sieht, zu Gunsten derer, die mit dem Tageseintritt von regulär 15 Euro das dringend benötigte frische Geld in die Kasse bringen. Rechtlich kein Problem für den Tierpark, der sich im Kleingedruckten der Geschäftsbedingungen gegen höhere Gewalt abgesichert hat, aber dennoch eine unschöne Zwangslage.

Manche Abonnenten hätten dem Zoo allerdings die Kalkulation unnötig verhagelt, indem sie bestellte Null-Euro-Tickets nicht einlösten. An manchen Tagen verfielen so bis zu 40 Prozent der Gratistickets. Solches "Bunkern", erklärt Baban, verwehrt anderen den Eintritt und das unnötigerweise: Die Freitickets sind übertragbar und gelten in Verbindung mit der ausgeliehenen Jahreskarte am Eingang ohne Identitätskontrolle. Schrankenloser Vortritt für Dauerkartenbesitzer würde bei alldem die Einnahmen noch weiter drücken. Es nütze halt nichts, jetzt den Dauergästen ein "Goodie" zu spendieren "und später gibt es uns nicht mehr", wirbt Baban um Verständnis für die umstrittene Praxis. Immerhin schließt er inzwischen nicht mehr aus, den Betroffenen später doch noch mit verlängerter Geltungsdauer ihrer Jahreskarten entgegenzukommen.

Eisbärenjunges im Münchner Tierpark Hellabrunn, 2017

Besucher fotografieren die junge Eisbärin "Quintana", die sich hinterm Baum versteckt. So dichtes Gedränge darf's dieser Tage nicht geben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Unter den treuen Tierparkfreunden ist anfänglicher Unmut weitgehend geduldiger Einsicht gewichen. Gerade Senioren, die Hellabrunn fast täglich besuchen und von manchen Tieren schon als Bezugsperson erkannt werden, äußerten sich verständnisvoll, berichtet Christa Knappik, die als ehrenamtliche Artenschutzbotschafterin oft im Tierpark unterwegs und entsprechend mit der Stammkundschaft vernetzt ist.

Ob nun mit oder ohne Jahreskarte, es bleiben viele Tierparkfreunde aus Gründen außen vor, die Baban und sein Team generell nachvollziehen können, nicht aber in einem wesentlichen Detail: Das Limit von 2185 Gästen ergibt sich aus einer Berechnung, der zufolge jeder Besucher 20 von insgesamt rund 44 000 Quadratmetern an Zoofläche braucht. Die entsprechende Auflage des Freistaats gilt für Zoos und botanische Gärten, unter anderem aber auch für die geschlossenen Räume von Museen und Galerien. "Der Außenraum wird zum Innenraum gemacht", so Baban, "das verstehen die Besucher nicht, wir verstehen es auch nicht."

Nach aktuellem Wissensstand übersteigt die Infektionsgefahr drinnen jene unter freiem Himmel um ein Vielfaches. Der Zoodirektor setzt sich daher bei der Staatsregierung für eine Fünf-Quadratmeter-Regelung im Freien ein, zumal sich die Besuche ja über den Tag verteilen. Seiner Bedeutung für Artenschutz und Umweltbildung nach, so Baban, sei der Zoo zwar systemrelevant, aber trotz städtischer Mehrheit an der Betreiber-AG kein kommunaler Eigenbetrieb zum Zweck der Daseinsvorsorge, für dessen Defizite notfalls der Steuerzahler hafte. Wenn schon nicht um die schiere Existenz, gehe es jetzt um wichtige Investitionen, etwa den Umbau des früheren Braunbärengeländes für die Löwen. Im jetzigen Gehege sei deren Haltung zwar geduldet, längerfristig müsse der Zoo die Tiere aber abgeben, falls kein neues Refugium gebaut werden könne. Für eine Neuregelung des Besucherkontingents "zählt jeder Tag", so Baban: "Ich kann nicht warten, bis das in der Staatsregierung jemandem auffällt."

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