Süddeutsche Zeitung

Tierheim:Das Schicksal der Corona-Hunde

Im Tierheim machen sich nicht nur die Sommerferien, sondern auch die Folgen der Pandemie bemerkbar. Viele vor Kurzem angeschaffte Hunde werden einfach ausgesetzt.

Von Sarah Jakob

Die Stadt leert sich, das Tierheim dagegen füllt sich. Dieses Phänomen kennt man beim Münchner Tierschutzverein, der das Haus in Riem betreibt. Doch in diesem Jahr machen sich dort nicht nur die Sommerferien, sondern auch die Folgen der Pandemie bemerkbar. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 kam es auch in München zu einem regelrechten Haustier-Boom. "Wer mit dem Gedanken gespielt hat, sich beispielsweise einen Hund zu kaufen, wurde durch die viele Zeit in den eigenen vier Wänden ermutigt, diesen Wunsch jetzt in die Tat umzusetzen", sagt Kristina Berchtold, Sprecherin des Münchner Tierschutzvereins. Und für die Kinder, die sich zu Hause langweilten, während die Schulen geschlossen waren, schien vielen Eltern ein Hund perfekt geeignet, um ihnen Abwechslung zu bieten.

Den Gedanken findet Berchtold auch durchaus nachvollziehbar. Die neuen Besitzer hätten gerade durch den Lockdown und Home-Office oft ausreichend Zeit gehabt, um ihre Welpen in der Eingewöhnungsphase gut unterstützen zu können. Doch seitdem die strengen Regeln aufgehoben wurden, das öffentliche Leben wieder Fahrt aufnimmt und ein Spaziergang nicht mehr einen der wenigen Tageshöhepunkte darstellt, fühlen sich viele Menschen mit der Betreuung ihrer Hunde offenbar überfordert. Viele merken allmählich, dass die Anschaffung eines Hundes nicht gut genug überlegt war. "Aus einer Laune oder kurzfristigen Gefühlen heraus ein Tier zu holen, ist unverantwortlich", sagt Berchtold.

Nun, da in Bayern Sommerferien sind und die Flugreise ans Meer gebucht ist, stellt sich immer öfter die Frage: Was passiert mit dem neuen Hund? Wenn Besitzer merken, dass sie im Leben nach dem Lockdown mit dem Hund nicht mehr klarkommen, fragen die meisten beim Tierheim an, um die neuen Familienmitglieder wieder abzugeben. Aus diesem Phänomen entstand der Begriff der Corona-Hunde. "Wir schätzen, dass ungefähr ein Drittel unserer 96 Hunde Corona-Hunde sind", erklärt Berchtold. Für diese gelten die üblichen Gründe, die Halter dazu bewegen, ein Tier abzugeben: Zeitmangel, Überforderung bei der Erziehung und finanzielle Hürden, wie etwa Tierarztkosten. Besonders schlimm findet Berchtold, wenn Menschen es sich zu einfach machen und den Vierbeiner einfach aussetzen. Ein solches Schicksal teilt die junge Mischlingshündin Lilo mit zahlreichen Artgenossen. Sie wurde im Mai dieses Jahres aufgefunden und lebt seitdem im Tierheim in Riem. "Wenn die ausgesetzten Hunde vor einem Jahr im Welpenalter waren, liegt es für uns nahe, dass sie aufgrund der Pandemie angeschafft wurden", erläutert Berchtold.

Natürlich habe es in den vergangenen Monaten auch verantwortungsvolle Personen gegeben, die sich nach langer Überlegung für ein Haustier entschieden hätten und sich vorbildlich darum kümmerten, betont Berchtold. Doch in der Vergangenheit habe es auch Menschen gegeben, die einen Hund suchten, um der im Dezember 2020 eingeführten nächtlichen Ausgangssperre zu entgehen. Mit dem Hund Gassi zu gehen stellte nämlich eine Ausnahme dar, um nach 22 Uhr rauszugehen zu dürfen. "Die Leute haben also nach Alibi-Hunden gefragt", sagt Berchtold.

Derzeit ist das Tierheim voll besetzt und das Zusammenwirken von Sommerferienbeginn und Pandemielockerungen spürbar. Doch Kristina Berchtold ist zuversichtlich für die neuen Bewohner: "Es handelt sich vorwiegend um junge Tiere, die gut vermittelbar sind." Und ab da sollen sie ihr ganzes Hundeleben lang der beste Freund des Menschen sein - nicht nur für einen Lockdown.

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SZ vom 17.08.2021/sigr
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