Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:Gras für die Wiesn

Lesezeit: 3 Min.

Sommer in der Stadt statt eines Herbsts voll Remmidemmi: Die Theresienwiese als Begegnungsort hat vielen Anwohnern Appetit auf mehr gemacht. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Anwohner fordern Erholungsraum und wollen mehr Grün auf der Theresienwiese. Bei der Bürgerversammlung geht es aber auch um den üblichen Innenstadtfrust: Verkehr, Gentrifizierung, Party-Hotspots.

Von Thomas Kronewiter, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Vier Stunden, 150 Teilnehmer, 46 Redebeiträge mit zum Teil mehreren Anträgen und Anfragen, vorgetragen im maximal fünfminütigen Stakkato-Takt - zwischen Hauptbahnhof und dem Isarufer hat sich ordentlich Leidensdruck angestaut nach einem Jahr ohne Bürgerversammlung. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) hatte gleichwohl keine Mühe mit der Abwicklung von Dutzenden Einzelanliegen im inzwischen bewährten Veranstaltungslokal des Circus Krone. Die Ludwigs- und die Isarvorstädter zeigten dabei Haltung: Nach zahllos vorgetragenen Problemen mit dem Verkehr nicht zuletzt aufgrund der Häufung von Schanigärten fanden etwa Forderungen, deren Zahl zu reduzieren, keine Mehrheit.

Der Frust gerade in den begehrten In-Vierteln ist gleichwohl erheblich gewachsen. So fand der Vorschlag, PS-starke und Platz fressende Sports Utility Vehicles, die sogenannten SUVs, aus dem Viertel zu verbannen, offenkundig wegen der beabsichtigten Signalwirkung eine deutliche Mehrheit - obwohl den Abstimmungsberechtigten klar gewesen sein muss, dass eine derart polemische Forderung keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

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Die Idee, Tempo 30 im ganzen Stadtbezirk zu etablieren, bekam ebenfalls grünes Licht. Die Ludwigsvorstädterinnen und Isarvorstädter setzten aber unterm Strich eher auf konstruktive Ansätze: Gleich zweimal kam der Vorschlag, durch Einrichtung sogenannter Superblocks nach dem Vorbild aus Barcelona Quartiere so zusammenzuschalten, dass der Durchgangsverkehr zu Gunsten von Begegnungsflächen und Aufenthaltsqualität faktisch ausgesperrt wird.

In Ost-West-Richtung könnte ein solcher Superblock von der Auen- bis zur Tumblingerstraße reichen, in Süd-Nord-Richtung von der Lagerhaus- bis zur Kapuzinerstraße, hieß es. Dort wäre nur Anwohnern, Lieferdiensten, Müllautos und Rettungsdiensten bei Tempo 10 die Durchfahrt gestattet. In Verbindung mit Einbahnstraßen gäbe es nach Auffassung des Antragstellers aus dem Dreimühlen-Viertel weniger Staus und Abgase, die Abkehr von der autogerechten Stadt würde Stadträume eröffnen. "Für Nichtanwohner", urteilte eine Glockenbachviertlerin, "wäre es völlig uninteressant, dort durchzufahren". Das fanden die Besucher auch.

Für das Zuschalten weiterer Isarquerungen wie etwa den nie realisierten Klenzesteg oder die Freigabe der Braunauer Eisenbahnbrücke zu Gunsten von Radlern und Fußgängern fanden sich klare Mehrheiten. Angesichts des "galoppierenden Wahnsinns" Verkehr warb eine Anwohnerin der Schwanthalerstraße für ein Verkehrskonzept im Sinne einer lebenswerten Innenstadt. Die Neuverteilung des vorhandenen Verkehrsraums zu Gunsten der Radfahrer hat sie jedenfalls nicht überzeugt: "Zwar sind Autospuren weggefallen, nicht weggefallen sind aber die Autos." Immerhin konnte der Bezirksausschuss-Vorsitzende Benoît Blaser (Grüne) 700 weitere reine Anwohnerparkplätze ankündigen - teilweise gebe es diese schon im Viertel.

Wie es um die Sicherheit steht? Die Zahlen aller Delikte sind zurückgegangen

In der Zeit des Lockdowns haben die Nachbarn und Nutzer der Theresienwiese deren Qualitäten für Sport und Spiel, Begegnung und Erholung offenkundig schätzen gelernt. Ein Anwohner regte mit Unterstützung der Versammlung eine Begrünung eines Teils der Oktoberfest-Wiesn in "echter Liegewiesen-Qualität" an, ein anderer Baumpflanzungen und Temporeduzierungen in der Baaderstraße. Die Idee, für Musik und Tanz, Kultur und Begegnung Freiräume zur Verfügung zu stellen, stieß ebenfalls auf große Begeisterung. Seitens des Münchner Künstlerkollektivs bringe man dafür Technik und Kontakte mit, sagte der Antragsteller. Man brauche von der Stadt nur den nötigen Platz.

Reichlich Unmut äußerten Leidtragende der Feier-Hotspots wie etwa am Gärtnerplatz, Zeugen von Drogenmissbrauch im Hauptbahnhof-Umfeld, von Prostitution, Vermüllung und Opfer von Gentrifizierung. So setzte sich die logische Forderung nach mehr Polizeipräsenz und nach Eingreifen des Kreisverwaltungsreferats zwar durch, der Antrag zur Zusammenfassung mehrerer Maßnahmen wie etwa klare Ruhezeiten von 22 bis 7 Uhr am Gärtnerplatz, die Schließung des Portals des Gärtnerplatztheaters und die Räumung von Wohnungslosen vor dem Penny-Markt dort aber scheiterte. Zustimmung dagegen gab es für den Vorschlag, die vier vorhandenen Erhaltungssatzungsgebiete auszudehnen - und zwar auf den ganzen Stadtbezirk.

Hans Reisbeck, Chef der zuständigen Polizeiinspektion 14 im Westend, hatte zuvor ungeachtet aller späteren Schilderungen stark zurückgegangene Fallzahlen quer durch alle Deliktarten konstatiert. Von 2019 auf 2020 sei die Zahl der Straftaten von 12 500 auf 10 700 zurückgegangen, gerade die Gewaltkriminalität habe um 17 Prozent überproportional abgenommen. Dafür machte Reisbeck allerdings auch den "dämpfenden Prozess" durch die Lockdown-Phasen verantwortlich. Am Ende des Abends verzichtete er auf eine Erwiderung auf zahlreich vorgebrachte Sachverhalte, anders als Petra Wurdack vom Mobilitätsreferat: Sie konnte zumindest für die Fraunhoferstraße Bewegung ankündigen. Dort sei eine Bürgerbeteiligung geplant, anschließend eine finale Planungsvariante - nach der Sommerpause.

© SZ vom 22.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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