Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Klang einer Utopie

Der theatralische Zauberkünstler Thom Luz inszeniert am Residenztheater die vierte Premiere der neuen Intendanz von Andreas Beck und zeigt im Marstall "Olympiapark in the Dark".

Von Egbert Tholl

Wenn man die Kunst von Thom Luz begreifen will, muss man am besten an einen Ort gehen, den es nicht mehr gibt. Einen Ort wie das Basler Radiostudio auf dem Bruderholz, das vor vielen Jahren als das modernste Europas galt und inzwischen abgerissen wurde, was nicht nur zur Heimatlosigkeit der den dortigen Teich bewohnt habenden Schildkröten führte, sondern kurz davor auch zum "Radio Requiem". Das installierte Thom Luz im Sommer dieses Jahres in das schon verlassene Studio hinein, aus dem Musik und Worte gesendet wurden, die im Moment ihres Entstehen auf dem Bruderholz von vielen Menschen irgendwo da draußen gehört wurden. Das Requiem war auch eine Feier des Augenblicks und der Menschen, die den Augenblick herstellen, sehr analog, und verschwand wie ein letzter im Nebel sich auflösender Klang.

Nun inszeniert Thom Luz zum ersten Mal am Münchner Residenztheater, wo er zur Trias der hauseigenen Regiekräfte gehört, wie zuvor in Basel, woher alle miteinander und der Intendant Andreas Beck nach München kamen. "Olympiapark in the Dark" hat an diesem Samstag, 26. Oktober, im Marstall Premiere.

Die Frage, wie viel man in dieser Produktion sehen kann - Olympiapark im Dunkel - relativiert sich, wenn einem Thom Luz erzählt, er habe meist als erstes einen Titel für eine Arbeit und bastele dem dann detektivisch hinterher. Nun ist dieser Titel, ähnlich wie der von Charles Ives' zuständlichem Musikstück "Central Park in the Dark" reichlich schön, was man als Verheißung nehmen kann. Und vielleicht nicht zu konkret. "Ich fand es einen guten Weg, übers Horchen anzukommen an einem Ort." An Münchens einst utopischstem Ort, dem Olympiagelände.

In München war Luz schon. 2013 bei "Spielart" und davor mit seiner zweiten Regiearbeit überhaupt im Schwere Reiter. Bei "Spielart" zeigte Luz damals "When I Die", worin eine reizende Schweizer Dame Besuch von verstorbenen Komponisten bekam, die ihr die Werke diktierten, mit denen sie zu Lebzeiten nicht mehr fertig geworden waren, was natürlich auch zu einem klanglichen Erleben zwischen wundersamer Schönheit und weher Traurigkeit führte. Und schließlich war Thom Luz dann noch in diesem Jahr an den Kammerspielen zu Gast, im April, und zeigte sein "Girl from the Fog Machine Factory", eine wundervolle (Musiktheater-)Produktion, die in der Zürcher Gessnerallee herausgekommen war, also in der freien Szene, und auf ihrem Weg zum Berliner Theatertreffen in München Station machte.

Thom Luz ist ein Meister analoger Wahrheit und liebt das Theater schon deshalb, weil es sich nicht digitalisieren lässt. Weil das mit sinnlichem Erleben im Kern nicht funktioniert, egal welche Versuche in dieser Hinsicht unternommen werden. "Ich verstehe Theater als die Verabredung, wir teilen Zeit und Aufmerksamkeit in diesem einen Raum." Mit den Menschen, die dort etwas machen, deren Poesie, deren Einsamkeit - paradigmatisch war das damals im alten Tonstudio zu erleben. Das kann dann auch bedeuten, dass am Ende von eineinhalb Stunden Aufbauen, Herrichten und Arbeiten mit Bühnentechnik vier Minuten vollendete Verzauberung stehen.

Die bei Luz oft mit Nebel verbunden sein können. Bühnennebel, der vielleicht an Kindheitserlebnisse erinnert, an Wandern in den heimatlichen Schweizer Alpen im Nebel, der jede Wahrnehmung verändert, der aber auch magisch durchbrochen werden kann, wenn man über dem Wolkenmeer steht. Und dann war da noch der Zirkusworkshop in der Schule, bei dem auch eine Nebelmaschine dabei war. "Das hat mich wahnsinnig geflasht, dass es eine Maschine gibt, die nur dafür gebaut wurde, um Nebel herzustellen. Bis dahin kannte ich nur sinnvolle Maschinen aus der Erwachsenenwelt." Ähnlich ging es ihm, als er später Objekte von Jean Tinguely kennenlernte; Luz fand es außerordentlich interessant, dass ein erwachsener Mensch Maschinen baut, die nichts Sinnvolles können. "Poesie entsteht, wenn etwas Nutzloses hergestellt wird."

In "Olympiapark in the Dark" wird es offenbar gar nicht so viel Nebel geben, aber mittels Auftragskompositionen die "Einladung ans Publikum weg vom Sichtbaren hin zum Hörbaren. So versuche ich, einen Abend zu machen, der übers Gehör funktioniert." Also über etwas Unphysisches. Wie Nebel. "Gegen Klang kann sich niemand wehren." Sein Abend wird mit einer Führung durchs anfangs leere Theater beginnen, durch Barbara Melzl, die als Schauspielerin das Haus seit vielen Jahren kennt. Sie zeigt den Neuen das Theater. In dem dann langsam etwas entsteht, das klingt. Und den Zuschauer verändert.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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