Eine Sensation ist das Wiedersehen mit Viola von der Burg im alten, schönen Pathos Theater, da merkt man erst, wie sehr sie in München fehlte. Sie spielt hier die Tante vom Gustl, die beiden wohnen zusammen auf einem Hof und in der Badewanne liegt die angehende DAK-Filialleiterin von Freising. Diese, die fantastisch gelassene Julia Gröbl, liest die Fagott-Stimme eines bislang unbekannten Werks von Richard Strauss, während die Tante den Gustl erfolglos versucht, zu irgendeiner Art von Tätigkeit zu überreden. Wenn er, der Gustl, nicht fünfmal durch die Führerscheinprüfung gerasselt wäre, dann könnte er jetzt die schönen Lastwagen von der Weihenstephaner Molkerei herumfahren, da käme er auch mal herum in einer Welt, die bis nach Regensburg hinauf reichte.
Wobei die Welt ja riesig ist, weil sich die Tante, der Gustl und die DAK-Filialleiterin (angehend) in einem Stück von Stefan Kastner befinden, mithin auch das Größte im Kleinen zu finden ist und umgekehrt. Schon der Titel „Der Trojanische Krieg“ verheißt weltpolitisch und historisch Bedeutendes, und so kommt es dann auch.
Aber bleiben wir erst einmal noch auf dem Hof. Was Viola von der Burg da treibt, besitzt eine Wahrheit und Würde, die sich gewaschen haben. Das ist Horváth, wie der sich seine Stücke ersehnt haben mag, das ist Karl Kraus, das ist ein literarischer Volkskunstton in größter Schönheit. Rainer Haustein steht da nicht nach, sein Gustl ist ein Naturereignis der Faulheit, aber voller Verve. Und dann wird er eh umtriebig, weil er die angehende und strahlend ungerührte DAK-Filialleiterin beeindrucken will, die eigentlich zu den US-Besatzungskräften gehört und das Land wieder aufbauen will, mit Schulheften, Hüftgelenken und Griesbrei.
Deshalb baut er das Trojanische Pferd wieder zusammen, dessen Trümmer noch im Wald hinterm Hof liegen, nur die Innenausstattung, einst von den Brüdern Asam, die macht er billiger, aber die Touristen wird das nicht abhalten. Der Gustl wittert Geschäft. Wie damals, als die Kugler-Alm noch ein Kiosk war, an dem sich die heimziehenden Römer versorgten, woraus der heutige Gastrogroßbetrieb entstand.
Man sieht: Es geht um Krieg. Um heimkehrende, herumgetriebene, angeschwemmte Menschen. Beziehungsweise um die, die da sind, wo jene ankommen. Die mythische Dimension des Ganzen sieht man im Film. Kassandra, Helena und Andromache wandern durch die Oberpfalz. Sie sind scharf auf Knödel mit Soße, die ihnen der Wirt (Sepp Schmid), welcher auch Bürgermeister ist, bereitwillig hinstellt.
Trojas Burg, nun Ruine, liegt also an der Naab oder der Vils, sie suchen und finden Achill, René Dumont, der, obwohl immer noch mit einem Profiboxermantel bekleidet, seine heldische Bestimmung satt und die beiden Hühner Babsi und Lotte liebgewonnen hat. Derweil spielen Wladimir und Estragon das, was sie einst auf dem Marktplatz von Troja spielten, also sich selbst als Figuren von Beckett.

Auf dem Hof rebelliert inzwischen der Gustl gegen seine Rolle als Nikolaus, die er einmal im Jahr bei der Schusterbäuerin verrichten soll, womit allerdings etwas Sexuales verbunden ist, und das mag er nicht mehr, trotz der Bratwürste als Lohn und der 50 Mark. Auch wenn Susanne Schroeder ein wirklich wundervolles Seidendirndl trägt und innerlich so spielt, wie sie äußerlich ausschaut.
Ob seines Trotzes, der ihn ausfüllt, kriegt Gustl allerdings nicht mit, dass Man Ray (Viola von der Burg mit brillantem Englisch) die angehende DAK-Filialleiterin zur Künstlermischpoke ins inzwischen befreite Paris zurückholen will – Pablo (Picasso) hat eine Sehnsucht. Stefan Kastner selbst wandert als Kriegsteilnehmer durch die Zeiten, Troja, Magdeburg (30-Jähriger Krieg), 20. Jahrhundert, der Müttergesangverein tritt auf, im Film hüpft Achill zu den Klängen von Schönbergs „Gurre-Liedern“ von dannen, der Krieg ist aus. Zurück bleiben sonnige Heiterkeit und der Schieber, den Gustl und die DAK-Filialleiterin tanzen, also Haustein und Julia Gröbl, wundervolle Vereinigung größter Gegensätze zu Slades „My Oh My“.
Der Trojanische Krieg, noch bis Sonntag, 29. Juni, Do., Fr., Sa., 20 Uhr, So., 18 Uhr, Pathos Theater, Dachauer Str. 110D