Patrick (Martin Armknecht) ist oder besser war Daniels (Timothy Peach) bester Freund, bis er sich zugunsten der rund 25 Jahre jüngeren Emma (Mia Geese) von Laurence getrennt hat, die wiederum die beste Freundin von Daniels Frau Isabelle ist. Besagte Laurence taucht in dem Stück des oscarprämierten französischen Erfolgsautors Florian Zeller "L'envers du décor", das unter dem Titel "Die Kehrseite der Medaille" Premiere in der Komödie im Bayerischen Hof hatte, allerdings nicht selbst auf. Ihre Interessen vertritt dafür sehr energisch Nicola Tiggeler als elegante und scharfzüngige Hochschul-Professorin Isabelle (die auch im wahren Leben mit Timothy Peach verheiratet ist). Als Zumutung empfindet sie denn auch eine unbedacht von ihrem Mann ausgesprochene Essenseinladung an den Verräter-Freund mitsamt seinem "Flittchen".
Das Milieu ist großbürgerlich; Daniel ist ein Verlagslektor von Mitte Fünfzig, Patricks Beruf wird nicht thematisiert, zumindest aber verschenkt er teureren Rotwein, als Daniel ihn vorrätig hat. Als neues Domizil für sein junges Glück hat er gerade ein Penthouse besichtigt und für eine Urlaubsreise eine Villa in Italien gebucht. Bezahlen dürfte diese luxuriösen Unterbringungen wohl kaum Emma; denn die schlägt sich als Barfrau durchs Leben, derweil ihre Castings auf dem Weg zur Schauspielerin erfolglos verlaufen.
Vordergründig meistern die vier das heikle Zusammentreffen mit dem Austausch eher belangloser Höflichkeiten. Interessant wird das Ganze erst durch ein aus den Komödien Molières und später auch Nestroys bekanntes, heute aber eher selten eingesetztes Theatermittel: das Beiseitesprechen, bei dem der Dialogpartner des Sprechenden auf der Bühne nicht mitbekommen soll, was sein Gegenüber gerade denkt oder fühlt, das Publikum hingegen schon. Klingt komplizierter, als es beim Anschauen ist, denn der Boulevard-gestählte Regisseur Pascal Breuer und sein Ensemble bekommen das artifizielle Spiel mit zwei Ebenen dank punktgenauem Timing und geschickt eingesetztem Licht zum großen Vergnügen des Publikums handwerklich ausgezeichnet hin.
Beim Wechsel zwischen Gesagtem und Gedachtem frieren die Körperbewegungen derjenigen, über die gerade "A-part" gesprochen wird, ein: Mit einem Glas in der Hand, mit herausgestreckter Zunge oder über das Sofa geworfen verharren sie in ihren Positionen, bis ihr Gegenüber sie aus ihrer Erstarrung erlöst. Hörbar nur für die Zuschauer, kann so der Hormon-Blitz-verwirrte Daniel von Emma schwärmen, "wie Morgentau im Abendrot bringt sie mein Inneres zum Schwingen". Nur das Publikum wird Zeuge seines erotischen Kopfkinos, in dem er die verführerisch energiegeladene Emma in seine Arme reißt, um mit ihr davonzueilen aus dem allzu vertrauten Ehedasein. Dass auch Isabelle ihre Ehe mitunter als Belastung empfindet, zeigt sich, als sie Daniels Frage "Hast du schon mal an eine Scheidung gedacht?" prompt mit "Nein, nur an Mord" beantwortet.
Emma indes ist clever genug, mit charmanter Arglosigkeit nicht nur die Männer, sondern auch die ältere Frau für sich einzunehmen. Die leiht ihr schließlich sogar gerne eines ihrer Kleider, nachdem ihr eifrig Sahne schlagender Ehemann das der jungen Frau bekleckert hat. Eine originell konstruierte und fluide dahingleitende Gesellschaftskomödie, an der lediglich eines auszusetzen ist: Während die beiden Männer in aller Breite ihr rivalisierendes "Gorilla-Gehabe" ausagieren können, müssen die beiden Frauen für ihren Schlagabtausch hinten von der Bühne verschwinden und plötzlich "versöhnt" wieder auftauchen. Dabei wäre ihre "Kehrseite" sicher nicht minder spannend gewesen.
Die Kehrseite der Medaille, bis 30. Juni, Komödie im Bayerischen Hof