Süddeutsche Zeitung

Spezialeinheit:497 Mal mussten Münchens Extremistenjäger eingreifen

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Zehn Staatsanwältinnen und Staatsanwälte deckten im vergangenen Jahr militante Netzwerke auf und verfolgten antisemitische Straftaten. Welche Fälle bei den Spezialisten auf dem Tisch landeten. 

Von Martin Bernstein

Ihre Zentrale ist im vierten Stock eines modernen Bürogebäudes an der Münchner Karlstraße. Von dort aus ermitteln die zehn Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gegen militante Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: mutmaßliche Terroristen und Extremisten jeglicher Couleur, Neonazis, Verschwörungsideologen und sogenannte Reichsbürger, die im Verdacht stehen, schwere Straftaten begangen zu haben, aber auch Islamisten, Linksextremisten und Unterstützer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Und immer häufiger: Judenhasser.

104 von insgesamt 497 Ermittlungsverfahren, die die Münchner Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, kurz ZET, vergangenes Jahr in Bayern einleitete, bezogen sich auf antisemitisch motivierte Straftaten, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Ein "erschreckendes Ausmaß", sagt Bayerns Justizminister Georg Eisenreich am Mittwoch bei der Vorstellung der Zahlen.

Aber auch ein Beleg, wie die vor sechs Jahren geschaffene ZET arbeitet. Mehr als eine Strafverfolgungsbehörde will man sein, erläutert die Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann, die Chefin der Extremistenjäger. Die ZET ist für sie das "Kompetenzzentrum Staatsschutz" der bayerischen Justiz. Auch die bundesweit erste Hate-Speech-Beauftragte im Justizbereich ist dort angesiedelt, die Staatsanwältin Teresa Ott. Und Oberstaatsanwalt Andreas Franck, der bayernweit für die Verfolgung antisemitischer Straftaten von besonderer Bedeutung zuständig ist.

Wie wichtig die Verfolgung strafrechtlich relevanter Hasspostings im Internet ist, macht Behördenchef Reinhard Röttle deutlich. Die Verrohung der Sprache ist für den Münchner Generalstaatsanwalt die Basis für die hohe Gewaltbereitschaft, die er derzeit insbesondere in der verschwörungsideologisch geprägten Szene ausmacht - "bis hin zu Entführungs- und Umsturzplänen".

Wie die Arbeit des ZET mutmaßliche Putschpläne vereitelt

Dass derartige Pläne Anfang Dezember bei der größten Razzia der bundesdeutschen Geschichte offenbar aufgedeckt werden konnten - Durchsuchungen gab es auch in München -, ist nicht zuletzt den Ermittlerinnen und Ermittlern der ZET zu verdanken. Eine Durchsuchung in der Nähe von Bayreuth und die anschließende Überwachung eines ehemaligen KSK-Soldaten erbrachten Hinweise auf ein Netzwerk von "Reichsbürgern", Rechtsextremisten und ehemaligen Bundeswehrangehörigen, die nach Auffassung der Bundesanwaltschaft einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen. Auch ein in München aktiver ehemaliger Oberst soll beteiligt gewesen sein.

Pandemie und russischer Angriffskrieg, Klimakrise und Energieverteuerung haben in den vergangenen Jahren nach Röttles Einschätzung eine "dynamische Gemengelage" ergeben. Diese "ungute Mischung" nutzen laut dem Münchner Generalstaatsanwalt manche Verschwörungsideologen - Röttle spricht von "Querdenkern" - für den Versuch, "jedes staatliche Handeln in Misskredit zu bringen". Einen Vordenker der Szene, den QAnon-Propagandisten Oliver Janich aus München, erreichte vor Kurzem in dessen selbst gewähltem philippinischen Exil ein von der ZET erwirkter Strafbefehl wegen Volksverhetzung, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und deren Billigung. Er hatte öffentlich den Mord an Politikern befürwortet.

Kriegswaffen für deutsche Rechtsextremisten

Im Presseraum der Generalstaatsanwaltschaft liegen auf einem Tisch Waffen, Asservate aus einem ZET-Ermittlungsverfahren. Sie stehen beispielhaft für die Arbeit der Extremistenjäger - aber auch für die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. "Strukturermittlungen" führt die ZET laut Tilmann in vielen Fällen. Das heißt: Es geht um die Aufdeckung und juristische Zerschlagung extremistischer Netzwerke. Im vergangenen Jahr gelang das im Fall eines ehemaligen AfD-Mitglieds aus dem Landkreis München. Der Mann soll zwischen 2016 und 2018 Waffen aus den ehemaligen jugoslawischen Bürgerkriegsgebieten nach Bayern geschmuggelt haben. Ende Mai wurde er in erster Instanz vom Münchner Landgericht noch nicht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.

War die Schmuggelware schon brisant - die Abnehmer waren es noch mehr. Fast alle gehören der rechtsextremen oder der "Reichsbürger"-Szene an. Weil anfangs der Verdacht bestand, dass es um die Bewaffnung einer rechten Gruppierung gehen könnte, schaltete sich die ZET ein. 17 Beschuldigte standen am Ende in der Anklageschrift. Viel zu viele für einen Gerichtssaal. Unter anderem deshalb wurden zahlreiche Verfahren abgetrennt und werden an anderen Gerichten verhandelt. Auch in München. Einige Prozesse sind längst abgeschlossen, andere haben noch nicht einmal begonnen. Den Überblick zu behalten und mutmaßliche rechte Netzwerke am Ende noch zu erkennen, gelingt manchmal nur noch den Experten von der Münchner ZET.

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