Keine Verkehrstoten mehr: Diese Bilanz hat sich München vorgenommen. Doch von der „Vision Zero“ ist die Stadt noch weit entfernt. Vergangenes Jahr starben im Straßenverkehr 19 Menschen, darunter zehn Fußgänger und fünf Radfahrer – fast alle waren Senioren.
Jetzt will die Stadt auf 200 bis 300 Straßen neue Tempo-30-Limits einführen und so die Sicherheit erhöhen. Möglich macht dies eine Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) vom vergangenen Herbst. Die Verwaltung darf nun in bestimmten Fällen bei einer einfachen Gefahrenlage die Geschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzen. Das gilt etwa für Straßen zwischen zwei 30er-Abschnitten oder Zonen, die nicht länger als 500 Meter sind. Solche Lücken, auf denen wieder 50 gefahren werden darf, gibt es in München viele, die Stadt will sie nun schließen.
Bisher galt: Vor allem in Wohnvierteln und Gebieten, in denen viele Fußgänger und Radler unterwegs sind, konnte eine Kommune ein ganzes Quartier als Tempo-30-Zone ausweisen, in der grundsätzlich die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ gilt. Auch vor Schulen, Kliniken und Betreuungseinrichtungen konnte die Stadt schon früher Tempo 30 einführen. Wo es derartige Einrichtungen aber nicht gibt und auch keine anderen Ausnahmeregelungen gelten, musste früher erst immer ein Unfall passieren, damit die Behörden eine Straße wirklich als gefährlich einstufen und das Tempolimit von der Regelgeschwindigkeit 50 auf 30 Kilometer pro Stunde senken durften.
Verwirrendes Rauschen im Schilderwald
Das führte zu absurd anmutenden Verkehrsregeln, wie sich im Münchner Stadtteil Untergiesing zeigte. An der Kreuzung Claude-Lorrain-Straße/Sachsenstraße endet eine Tempo-30-Zone. Die Autofahrer konnten dann in der Sachsenstraße auf einer Mini-Strecke von 400 Metern wieder Gas geben, bevor das nächste Tempo-30-Limit an einer engen Unterführung begann. Der Straßenabschnitt erfüllte nicht die rechtlichen Voraussetzungen für eine Tempo-30-Zone, unter anderem, weil Wohnbebauung fehlt. Und der Einfachheit respektive Sicherheit halber die Höchstgeschwindigkeit herunterzusetzen, war auch nicht erlaubt.
Seit Donnerstag darf auch auf diesem Abschnitt Tempo 30 gelten, der Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching hatte schon lange darauf gedrängt. An der Einmündung der Sachsenstraße zeigt nun ein Schild das Ende der Tempo-30-Zone an, darüber hängt ein neues Tempo-30-Schild. Dieses für Verkehrsteilnehmer verwirrende Rauschen im Schilderwald ist der Rechtssicherheit geschuldet.

„Das ist Deutschland“, sagt Mobilitätsreferent Georg Dunkel. Denn einfach hat es das Mobilitätsreferat trotzdem nicht: Es muss jede einzelne Maßnahme auf Rechtssicherheit überprüfen. Denn die Münchner sind schnell mit Klagen gegen neue Verkehrsregeln zur Hand, aktuell laufen drei gegen die Stadt. Unter anderem geht ein Anwalt gegen das 30er-Tempolimit in der Implerstraße vor. Und gegen Tempo 30 aus Lärmschutzgründen auf der Leopoldstraße hatte ein Anwohner zumindest teilweise Tempo 50 zurückgeklagt, wenn auch nur stadtauswärts. Auch im Fall einer Einbahnregelung in der Giesinger Gietlstraße/Aignerstraße hat die Stadt gegen einen Anwohner verloren.
Das soll sich nicht wiederholen, deshalb dauert die Prüfung der einzelnen Anordnungen relativ lange. Aktuell sind 18 weitere Straßen in der Umsetzung, bei 50 läuft noch die Prüfung. Derzeit gilt auf bereits rund 85 Prozent der Münchner Straßen Tempo 30. Die Einführung neuer, aber kurzer Tempo-30-Teilstrecken wirkt sich bei einer Gesamtlänge des Straßennetzes von über 2000 Kilometern nur gering auf deren prozentualen Anteil aus.
Politisch wäre flächendeckend Tempo 30 kaum durchzusetzen
Dass München flächendeckend Tempo 30 einführt, auch auf breiten Hauptverkehrsstraßen, ist laut Dunkel nicht zu erwarten. Dort müsse der Verkehr weiterhin fließen, sagt er. Auch politisch ist das kaum durchzusetzen, wie es ein Vorstoß der Grünen im Jahr 2021 zeigte. Sie schlugen vor, München zur „Modellkommune“ für ein stadtweites Tempo 30 zu machen. Das sorgte für Krach mit dem Koalitionspartner SPD – und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte das Vorgehen der Grünen, die sich nicht mit der SPD abgestimmt hatten, äußerst unprofessionell.
Mobilitätsreferent Dunkel würde sich trotzdem wünschen, dass in Deutschland nicht mehr Tempo 50, sondern 30 zur Regelgeschwindigkeit wird. Das würde die Vorzeichen umkehren und man müsste nur noch die Hauptstraßen mit 50 beschildern. In Spanien gilt diese Regel seit 2021. Dort muss auf Straßen mit nur einer Fahrspur pro Richtung 30 gefahren werden.
Im Vergleich zu Ländern wie Spanien oder Italien, wo Kommunen mehr Selbstbestimmung beim Verkehr haben, liegen die Hürden für Tempolimits in Deutschland immer noch deutlich höher. Zumindest bei der Leopoldstraße rechnet die Stadt München damit, dass sie noch dieses Jahr wieder in beiden Richtungen Tempo 30 einführen kann. Die Rechtsabteilung arbeitet daran.