Sanierungsprojekt Tonnen- und Jutierhalle:Traum vom zentralen Tanzhaus für München scheint ausgeträumt

Sanierungsprojekt Tonnen- und Jutierhalle: Die Tonnenhalle, früher ein Lager für Rohre, soll der Aufführungsort für die freie Kulturszene werden.

Die Tonnenhalle, früher ein Lager für Rohre, soll der Aufführungsort für die freie Kulturszene werden.

(Foto: Kulturreferat der Landeshauptstadt München)

Die zeitgenössische Szene soll sich stattdessen in einem vielspartigen "Performing Arts House" im Kreativquartier präsentieren. An den jüngsten Entscheidungen gibt es Kritik.

Von Jutta Czeguhn und Sabine Leucht

Nur drei Tage waren sie zu sehen, Ende April 2022 in einer Ausstellung im Erdgeschoss der TU München an der Arcisstraße: Architekturentwürfe für ein mögliches Tanzhaus in München. Man sah spannende, inspirierende Lösungen, eine Vielfalt an Gebäudeformen, mal schlichte Strenge, mal Verspieltheit, Räume, die Geschichten erzählen über ihre Funktion, Bauten mit einer einladenden Präsenz. Bei den Modellen handelte es sich um Masterarbeiten von Studierenden am Lehrstuhl für Entwerfen und Gestalten von Professorin Uta Graff.

Die Entwürfe, die nur diesen einen kurzen öffentlichen Auftritt hatten, lagern heute wohl bei den Studenten zu Hause. Und womöglich werden die Miniaturen aus Karton und Plastik die einzige konkrete Materialisierung bleiben der schönen Vision von einem zentralen Ort, einem Leuchturm für den zeitgenössischen Tanz in der Stadt.

Denn was davon nun übrig ist, muss man wohl als praktikablen Kompromiss bezeichnen. Oder wie es Kulturreferent Anton Biebl schon vor einem Jahr formuliert hat, "eine Geste" für den Tanz. Gesten können ausladend sein, flüchtig, abwehrend, betüdelnd. In jedem Fall sind sie vielsagend. Und irgendwie konnte man schon ahnen, wie die Sache ausgeht, als Biebl damals im März 2022 im Vorhoelzer Forum der TUM vor vielen Tanzschaffenden sein "Dilemma" formulierte.

Gerade hatten Vertreter des Bayerischen Landesverbandes für zeitgenössischen Tanz (BLZT) die Ergebnisse ihrer ungemein arbeitsintensiven Machbarkeitsstudie für ein Tanzhaus vorgestellt, die sie im Auftrag der Stadt in enger Kooperation mit Uta Graffs Lehrstuhl erstellt hatten. Ein mehrere hundert Seiten starkes Konvolut, das kurz zusammengefasst, die dringliche Notwendigkeit einer gut ausgestatteten zentrale Produktions-, Spiel und Forschungsstätte für Tanz und performative Künste in München nachweist.

Und auch drei Standorte dafür nennt: das Viehhof-Areal, das Planungsgebiet um die Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke und - als klarer Favorit - die Tonnen- und die Jutierhalle im Kreativquartier. Denn praktischerweise existierte für die beiden Denkmäler bereits ein schubladenfertiges Sanierungs- und Betriebskonzept samt Finanzierung, Arbeitstitel ein "Performing Arts House" für alle Sparten der freie Szene.

Sanierungsprojekt Tonnen- und Jutierhalle: Architekturentwürfe für ein mögliches Tanzhaus in München, wie sie Architekturstudierende mit ihren Masterarbeiten bei einer Ausstellung vom 27. bis 30. April 2022 in der TUM präsentierten.

Architekturentwürfe für ein mögliches Tanzhaus in München, wie sie Architekturstudierende mit ihren Masterarbeiten bei einer Ausstellung vom 27. bis 30. April 2022 in der TUM präsentierten.

(Foto: privat)

Nun also zu Biebls damaligen Dilemma, das in dieser Woche, also etwa ein Jahr nach der Präsentation in der TUM, im städtischen Kulturausschuss via Beschluss zum Faktum wurde. Ob das Ruder bei diesem voraussichtlich 128 Millionen Euro teuren "Performing Arts House" "in Richtung Tanz" umgelegt wird, wie Biebl noch vor einem Jahr versprach, bleibt vorerst Behauptung, ebenso wie die Formulierung in der Beschlussvorlage, dass Jutier- und Tonnenhalle auf das Niveau internationaler Produktionshäuser à la Tanzhaus NRW oder PACT Zollverein in Essen gebracht werden sollen.

Denn wie soll das gehen, wenn jene Modifikationen, die die Autorinnen und Autoren der Machbarkeitsstudie am städtischen Konzept vorschlugen, nun als zu kostspielig und zeitaufwendig abgelehnt wurden? Wunsch war ein Haus gewesen, nicht nur für den Spielbetrieb am Abend, sondern mit Leben erfüllt "24/7", in multifunktionalen Probenräumen für Akteure aller Tanzrichtungen, für Profis wie Laien, für Forschung und Archive. Schwierig.

Immerhin, das Kulturreferat ist jetzt beauftragt worden, "bei der Weiterentwick­lung der Flächen im Kreativquartier und dessen Umgriff zu prüfen, ob Flächen von circa 2000 Quadratmetern für die Bedarfe des zeitgenössi­schen Tanzes in räumlicher Nähe zum Aufführungsort in der Tonnenhalle ausgewiesen werden können". Auch auf dem Vieh­hof-Areal und an anderen Orten stadtweit soll nach Räumen für die Tanzschaffenden gefahndet werden. Womit der zeitgenössische Tanz allerdings wieder da wäre, wo er seit Jahren schon ist, versprengt über die Stadt, im Schwere Reiter, Pathos, in der Muffathalle, in Studios an der Lindwurmstraße oder im Hoch X.

Sanierungsprojekt Tonnen- und Jutierhalle: In der Jutierhalle, erbaut 1926, ließen einst die städtischen Wasserwerke ihre Leitungsrohre mit Jute ummanteln.

In der Jutierhalle, erbaut 1926, ließen einst die städtischen Wasserwerke ihre Leitungsrohre mit Jute ummanteln.

(Foto: Kulturreferat der Landeshauptstadt München)
Sanierungsprojekt Tonnen- und Jutierhalle: Nach den jüngsten Plänen sollen in der Jutierhalle flexible Holzmodule eingebaut werden. Die Idee der Tanzschaffenden, Produktions-, Archiv-, Begegnungs- und Vermittlungsräume zusammenzuführen, lässt sich dort nicht realisieren.

Nach den jüngsten Plänen sollen in der Jutierhalle flexible Holzmodule eingebaut werden. Die Idee der Tanzschaffenden, Produktions-, Archiv-, Begegnungs- und Vermittlungsräume zusammenzuführen, lässt sich dort nicht realisieren.

(Foto: bez+kock Architekten)

Vieles deutet darauf hin, dass im Kreativquartier kein Leuchtturm für den zeitgenössischen Tanz entstehen wird. Vielmehr werden die Tanzschaffenden prominenter Teil einer Drehscheibe, eines Begegnungsorts, der die unterschiedlichen Kultur-Akteurinnen und -Akteure dort zusammenführt.

Womöglich ist es ja das, was Walter Heun, Erster Vorsitzender des Bayerischen Landesverbandes für zeitgenössischen Tanzes (BLZT), bei der Präsentation der Studie vor einem Jahr mit "choreografischem Denken" gemeint hat. Und vielleicht äußert er sich deshalb nun auf SZ-Anfrage keineswegs enttäuscht über die aktuelle Entwicklung: "Der BLZT freut sich, dass die Machbarkeitsstudie für ein Tanzhaus in München so gut angenommen wurde und darüber die Planung und Fertigstellung der Jutier- und Tonnenhalle eine neue Dynamik bekommen hat. Nun ist es wichtig, beim Betreibermodell und der Ausschreibung der Intendanz darauf zu achten, dass dem Tanz die Leadership-Rolle in der Tonnenhalle zukommt, so wie es auch die Beschlussvorlage insinuiert."

Etwas verhaltener ist Benno Heisel, Vorstand Netzwerk Freie Szene München: "Die Entwicklung, die der Prozess um Jutier- und Tonnenhalle genommen hat, zeigt, wie wichtig es ist, dass Kulturpolitik mit Entschiedenheit und Visionen gemacht wird. Die teils Jahrzehnte alten Entscheidungen, auf denen der vorliegende Kompromiss aufbaut, konnten leider von uns trotz offener Gespräche mit Referaten und Parteien nicht mehr angerührt werden. Wie ein Betriebskonzept für diesen Bau aussehen kann, ist mir nicht klar."

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